Traurige Zauberer - Der Schweizer Regisseur und Autor Thom Luz huldigt in Mainz der Illusionsmaschine Theater
The Great Klaviermusik Swindle
von Alexander Jürgs
Mainz, 21. Mai 2016. Der Zuschauerraum bleibt leer. Bei "Traurige Zauberer" sitzt das Publikum auf der Hinterbühne. Der Blickwinkel ist also der, der normalerweise den Darstellern vorbehalten bleibt. Eine einzelne Person taucht zwischen den Stuhlreihen auf, ein Mann in feinem Zwirn, mit Anzug, Fliege und allem Pipapo. Er setzt sich ans Klavier, spielt monoton. Man sieht dazu auf Klappleitern einige alte Tonbandgeräte. Bald hört man, immer mit langen Abständen, ein undefinierbares Klacken, Gelächter, Applaus vom Band. Wie seltsam das alles ist.
Unter Marthaler-Einfluss
Der Schweizer Thom Luz, 1982 in Zürich geboren, ist bekannt dafür, dass er das Theater gerne auf den Kopf stellt, dass er ein Faible dafür hat, Grenzen auszuloten. Inszeniere lieber ungewöhnlich: Diesem Motto ist er verpflichtet. Und es ist immer die Musik, die in seinen Stücken eine zentrale Rolle spielt. Dass Christoph Marthaler ihn geprägt hat, scheint auf der Hand zu liegen. Luz hat auch lange in einer Indieband gesungen. "My Heart belongs to Cecilia Winter" heißt sie, im Moment pausiert das Projekt.
Mit seiner Theaterarbeit ist Thom Luz sehr erfolgreich: Seine Adaption von Judith Schalanskys Atlas der abgelegenen Inseln für das Schauspiel Hannover wurde 2015 zum Berliner Theatertreffen eingeladen, seine Produktion "When I die" läuft seit 2014 weltweit an den führenden Häuser der freien Szene. Das Theater Basel hat ihn zum Hausregisseur gemacht. Und "Traurige Zauberer" hat Luz nicht nur inszeniert, sondern auch geschrieben. Es ist seine erste Arbeit am Mainzer Staatstheater. Angekündigt wurde der Abend als "eine stumme Komödie mit Musik", aber das ist eine Finte. In der Inszenierung wird, nach einem tatsächlich recht stillen Anfang, quasi am Stück gesprochen, gesummt und gesungen, auf Deutsch, Französisch und Englisch.
Käfig, Kauz und Klavier
Nachdem der Vorhang zum Zuschauerraum sich schließt (die Tonbänder mit dem Gelächter laufen weiter), gibt es Rummelplatzmusik. An der Orgel sitzt wieder einer in schwarzem Maßanzug. Irgendwann erhebt er sich und das Klavier spielt einfach weiter. Die Bühne ist karg eingerichtet und dunkel. Das wenige Licht, das eingesetzt wird, ist warm. Garderobentische sind am Rand aufgereiht, mit Spiegeln darauf, eine ganze Armada an Klavieren, uralte Plattenspieler. Ein Kauz (Graham F. Valentine spielt ihn herrlich derb) singt ein paar Takte, ein Käfig mit purpurfarbenen Kostümen wird auf die Bühne gerollt, eine Frau steht verloren da.
Und die Zauberer üben ihr Handwerk. Einer füllt einen Umzugspappkarton mit Kunstnebel, öffnet ihn plötzlich, der Rauch bricht heraus. Ein anderer hantiert mit silbernen Tellern und Tassen, verrenkt sich. Die Musik (von dem Violinisten und Pianisten Mathias Weibel aus Bern) verstummt so gut wie nie. Die Szenen sind oft skurril, sind komisch. Man muss häufig lachen, aber niemals laut.
"Traurige Zauberer“ wirft einen melancholischen Blick auf die Welt der Magie und Zauberei, es huldigt der Illusionsmaschine Theater. Das Stück ist wie ein wehmütiger Abgesang auf eine untergehende Welt. Es geht um Verlust, um den Tod, um sinkende Kreuzfahrtschiffe und Bränden zum Opfer fallende Theaterhäuser. Das amüsiert einen; und das rührt einen. Skizzenhaft wird von zwei konkurrierenden Illusionisten erzählt, von dem großen Nikola und dem großen Alexander, vom Lehrmeister, dem der Schüler irgendwann den Rang abläuft und der ihm außerdem die Geliebte wegschnappt.
Betäubend schön
Erzählt wird aber auch noch von einem anderen Zauberer, dessen Trauzeuge der Avantgarde-Komponist Karlheinz Stockhausen gewesen sein soll. Er soll sich von dem Musiker eine Bühnenmusik gewünscht haben: so traurig wie der Blues, aber so schmissig wie der Boogie Woogie. Zu hören bekommt man sie nicht, genauso wie auch all die sagenumwobenen Tricks der Magier nur aufgezählt werden. So muss man sich im Kopf ausmalen, was hinter den klangvollen Namen stecken mag: der Kartentrick mit der unerwarteten Wendung, das Jungfrauenrätsel, das verschwindende Licht, die Münzenvermehrung.
Je länger der Abend läuft, umso atmosphärischer wird es. Schwarze Stoffbahnen werden von der Raumdecke heruntergelassen. Gemeinsam singen die Darsteller "J'attendrai", jenes Chanson, das die italienisch-französische Sängerin Rina Ketty in den 1930er-Jahren zum Star machte. Sie imitieren das Geräusch von in den Himmel steigenden Feuerwerksraketen. Vor dem großen Nikola liegt eine Frau auf dem Boden. Immer wieder fleht er sie an, sie möge doch noch einmal für ihn schweben. Fly. Fly. Fly. Der süßliche Geruch des Trockennebels füllt den Raum, der wohlig-melancholische Klang des Klaviers schläfert einen ein, die Glühlampen an den Garderobentischen leuchten goldgelb. Selten Schöneres gesehen.
Traurige Zauberer
von Thom Luz
Uraufführung
Regie: Thom Luz, Ausstattung: Lisa Maline Busse, Musik: Mathias Weibel, Dramaturgie: Malin Nagel.
Mit: Ulrike Beerbaum, Antonia Labs, Leonhard Dering, Vincent Doddema, Denis Larisch, Graham F. Valentine.
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause
www.staatstheater-mainz.com
"'Das hab’ ich jetzt nicht verstanden', hört man eine aus dem Magier-Quartett flüstern, 'aber die Musik war schön'. Dem ist nichts hinzuzufügen", beendet Michael Jacobs seine Kritik in der Allgemeinen Zeitung (23.5.2016) mit ehrlicher Ratlosigkeit und beschreibt den Abend davor als "ein Auftauchen, Verschwinden, Antäuschen und Musizieren an allen Ecken, ein Proben-Lauf zur letzten Show mit doppeltem Boden, wo sich die Rollen und Identitäten eines magischen Zirkels in mannigfaltigen Spiegelsplittern brechen"; immerhin werde bei diesem "kaleidoskopischen Warm-up" klar: "Das Magiergewerbe ist kein leichtes."
"Der angeblich stumme Abend verzückt und verblüfft durch eine Vielzahl nie gehörter Klänge", schreibt Matthias Bischoff in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (23.5.2016). Die melancholische Grundstimmung verdichte sich im Laufe der neunzig Minuten des Abends immer mehr, selbst die "vielen kleinen Bizarrerien und komischen Einfälle" seien mit einem "Schleier aus Wehmut" überzogen. Der ganze "bisweilen spröde, immer aber sehr leise und rührende Abend" sei eine Verbeugung vor einer verschwundenen Welt, das wehmütige Heraufbeschwören des Tingeltangels und der ehrlichen Kleinkunst, so Bischoff: "Sensationen gibt es nicht, dafür viele schöne Theatermomente."
Pressestimmen zum Gastspiel beim Berliner Theatertreffen 2017:
Der Abend wirke bei allem ein bisschen zu schnell und zu früh zusammengeflickt, kritisiert Ulrich Seidler von der Berliner Zeitung (18.5.2017). "Die Schauspieler handeln deutlich im Auftrag der Kunst, sie kommen in kein Spiel. Sie sind auch meist sehr weit weg, gehen im Nebel oder im Halbdunkel verloren, so dass es beim Mitträumen einige tote Punkte zu überwinden gibt." Umso dankbarer nehme man die Möglichkeiten der unerschöpflichen und unkontrollierbaren Sinnerzeugung mittels Theater zur Kenntnis.
"Dieser kleine Abend stellt das Publikum auf eine harte Geduldsprobe", so Ute Büsing vom Info Radio (18.5.2017). Ein wehmütiger Abgesang auf eine untergehende Welt habe Thom Luz seine zweite Theatertreffen-Einladung beschert. "In Berlin, wo mit der Volksbühne und dem Berliner Ensemble gerade gleich zwei stilprägende Theatertanker rundum erneuert manche meinen ja auch: zerstört! – werden, fällt sowas auf fruchtbaren Boden. Mag sich die Jury gedacht haben."
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