Hamlet - Schauspielhaus Bochum
Die schwebende Schwere
von Andreas Wilink
Bochum, 15. Juni 2019. Der Geist spricht nicht mit Hamlet. Er spricht aus ihm. Hamlet im Dialog mit sich selbst. Sein vielfach wiederholtes "Du bist hier" wird zur um Bestätigung ringenden Selbstbefragung. Hamlet, die wund laufende Denkmaschine. "Mein Gehirn ist eine Narbe", sagt er mit Heiner Müller, aus dessen knappen Stückseiten hier im Schauspielhaus Bochum, das gegenüber vom William-Shakespeare-Platz liegt, einiges dem Text beigefügt wird.
Totale existentielle Krise
"Das Drama der ansteckenden, nahezu universellen Selbstentfremdung", so Stephen Greenblatt in seiner Studie Hamlet im Fegefeuer, schildert die totale existentielle Krise. Keinem ist zu trauen. Keiner traut sich selbst. Alles aus dem Lot. Alles in Auflösung, augenfällig auch dadurch, dass Johan Simons zwei Wesen mit offener Identität ins Spiel bringt: "Abgesandte, Totengräber, Clowns"; Kampfgirl Jing Xiang als Totengräber, Clown und Abgesandte, ist die eine, die wunderseltsame Kindfrau (Ann Göbel) und Pop-Prinzessin, wie Jane Birkin sie einst war, die andere, die kaum mehr als "Er ist allein" sagt und Phantom- und Spiegelbild jeder weiteren Person sein könnte. Nicht zuletzt das von Ophelia.
Die 'reale' Ophelia (Gina Haller, eingewandert aus Shakespeares Geisterreich – eigensinnig, aufsässig, feministisch, ghettogestählt und ihrem Partner absolut gewachsen) wiederum hält rührende Zwiesprache mit Hamlet und assistiert ihm bei seiner Vaterbeschwörung. Da würgen dann zwei Besessene in einem Exorzismus mit schartiger Stimme und kobolzendem Gestus die Bluttat am König durch dessen Bruder Claudius aus. "Hamlet" – ein Studiengang in Physiologie.
Balance und Quintessenzen
Aber, Halt! Zurück zum Anfang. Zunächst reiht sich auf der Bühne frontal das wunderbare Ensemble, tritt einer nach dem anderen ab und nimmt in der ersten Reihe Platz: Einer / Eine bleibt übrig und spricht vom Vater. Über das kreideweiße Feld, den Kampfplatz, hat Johannes Schütz eine Balkenkonstruktion gehängt, an der ein matt leuchtender Ballon und auf der Gegenseite ein großes kupfernes Rechteck in Bewegung sind. Beide Gewichte halten sich wie bei einem Mobile in der Schwebe. Variablen in einem Spiel mit unbekannten Größen, das sind Shakespeares Figuren: Hamlet – ein Balanceakt. Hamlet – ein Sturz ins Leere. Aus dem Hintergrund sirrt oder röhrt, stanzt und klirrt es aufrührerisch.
Als Partitur auch behandelt Sandra Hüller – ganz bei sich und zugleich im reflektierten Selbstverhältnis die Quintessenz der Figur darstellend – den sich durch sie hindurch verjüngenden Text, den sie im Reden zu verfertigen scheint. Sie singt und sagt ihn direkt und gelöst, staunend, sanft und sinnend, verträumt flüsternd, ruppig baritonal grollend, im Schaulauf für Dritte, burschikos und kess. Sie ist Hamlet, der Antifleischliche und Reine, der Verwesung, Begierde, Lust und Völlerei widerwärtig findet. Ist der Wittenberger Student und Protestant, der den Triumph des Geistes über die Materie verkörpert und das Symbolische über das Reale stellt. Man meint, Hüller bedürfe keinerlei Kraft, es sei kein Aufwand dabei, sie spräche unter freiem Himmel.
Chiffre und Geschlecht
"Remember me", fordert der gemordete Vater vom Sohn. Es ist die Bitte einer ruhelosen Seele, gerichtet an den Lebenden, ihrer zu gedenken. Mahnung, Drohung und mehr Appell, ihn im Gedächtnis zu behalten, als ihn zu rächen. Hamlet ist Chiffre: Hüller, in grauer Hose und schwarzem Pulli, lässt nicht einen Moment an geschlechtliche Festlegung und Zuordnung denken. Unerheblich, sich damit zu beschäftigen – ebenso wie mit dem Abhandeln des Finales – dem Gift, den Degen, dem großen Sterben. Das erledigt eine Erzählerin (Ann Göbel) in nüchterner Mitteilung. Fünf Tote liegen am Rande. Das ist, was zählt. Was soll uns der Plot! Es gibt wichtigere Fragen und packender zu gestaltende Situationen.
Grandios, wie Johan Simons diese sich organisch entwickeln lässt: wenn Hamlet sich an die Mutterbrust (der divahaft sonoren Mercy Dorcas Otiero) schmiegt und sich greinend, schmusend, albernd in die Aggression steigert; wenn Hamlet und Laertes (der furios präsente Dominik Dos-Reis) sich wechselseitig mit der Parole "Fang an" zum Kampf hochputschen; wenn "Die Mausefalle" sich als jäh trillernde Pantomime entbändigt und Claudius (Stefan Hunstein) sich gleich einem todeswilligen Tier in seinen Pelzmantel verkriecht; wenn in der Totengräberszene einige der zahllosen Stahlkugeln, die außerhalb des Karrées liegen, wie zum Zen-buddhistischen Billard ins Spiel rollen.
Anmut und Befremden
Unbefangen, informell, ja, kinderleicht, als verlöre Schwermetall durch chemisches Zutun oder durch Alchemie sein stoffliches Gewicht, erzählt Simons das Drama ohne Druck und Drang. Die bekannten Sentenzen und irre klugen Paradoxien hören wir wie zum ersten Mal. "Hamlet" – eine Offenbarung. Jedes Zeremoniell ist aufgehoben. Es bleibt das Ritual in der Rahmung einer artifiziellen Installation. Die Inszenierung wagt es, zu tanzen mit Irritation und Widersinn, Verrat und Verlust, Spaß und Spott, Narretei und Drôlerie, Tod und Verzweiflung. So gewinnt sie Schönheit, Anmut und Befremden, graziöse Wucht, uneindeutige Zeichenhaftigkeit, Tiefe und Klarheit.
Fortinbras (Mourade Zeguendi), der anfangs türenschlagend den Bühnenraum verließ, kehrt nach Hamlets Schweigen zurück auf das Schlachtfeld und beklagt (auf Französisch) die Welt, wie sie sich ihm darbietet. So schließt sich ein Kreis und die zwingend konsequente, beglückende erste Saison von Johan Simons' Bochumer Intendanz: von Feuchtwangers "Jüdin von Toledo" zu "Hamlet" – in einem Friedhofsbild.
Hamlet
von William Shakespeare
Deutsche Übersetzung von Angela Schanelec und Jürgen Gosch, mit Auszügen aus "Die Hamletmaschine" von Heiner Müller
Regie: Johan Simons, Textfassung: Jeroen Versteele, Bühne und Kostüme: Johannes Schütz, Musik: Mieko Suzuki, Dramaturgie: Jeroen Versteele.
Mit: Konstantin Bühler, Mercy Dorcas Otieno, Dominik Dos-Reis, Ann Göbel, Gina Haller, Sandra Hüller, Stefan Hunstein, Bernd Rademacher, Mieko Suzuki, Ulvi Teke, Lukas Tobiassen, Jing Xiang, Mourade Zeguendi.
Premiere am 15. Juni 2019
Dauer: 2 Stunden, 30 Minuten, eine Pause
www.schauspielhausbochum.de
"Hüller mache ihre Sache großartig: Hamlets Brillanz, seine intellektuelle, wenn auch leider nicht tatkräftige Überlegenheit könnten nicht besser herausgearbeitet sein", schreibt Martin Krumbholz in der Südddeutschen Zeitung (18.6.2019). Der komplexe Text entfalte eine Widerstandskraft, aber es tun sich Widersprüche auch auf. Hamlets Auseinandersetzung mit Laertes bleibe ein Scheingefecht, "und so ist es auch inszeniert: Das Schlussbild wird nicht ausgeführt, sondern lediglich erzählt." Aller Einwände ungeachtet habe der Abend wunderbar humorvolle Momente, und darin liege Simons' Charme. Fazit: "Der Zusammenprall der relativ idealistischen Deutung Hamlets mit der eher unklaren Anlage der gesamten Inszenierung verursacht vorübergehend Kopfweh, ist aber letztlich wohl doch zu verschmerzen. Der Rest war einfach nur Jubel."
Simons' "Hamlet" sei "zweieinhalb Stunden lang transparente Bühnenarbeit", schreibt Lars von der Gönna in der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (17.6.2019). "Wir sehen sozusagen das Gemachte, illusionslos. (…) Hätte der Abend nicht Sandra Hüller, wäre das ein zähes Unterfangen." Hüller durchmesse den Text "mit schlanker, von den Verhältnissen angefasster Natürlichkeit".
Für Max Florian Kühlem beweist dieser "Hamlet", dass Bochum mit Johan Simons einen "grandiosen Regisseur" gefunden hat. Sandra Hüller sei als Hamlet "ein großer Trauernder". "Das Publikum erlebt ein grandios aufspielendes Ensemble in einer konzentrierten Textarbeit in einem Bühnenbild aus wenigen, klaren Setzungen", so Kühlem in den Ruhr Nachrichten (17.6.2019). "Der überragende Verdienst des Regisseurs und seiner berühmten Hauptdarstellerin ist, dass ihr Spiel in einer bis in die Nebenrollen großen Ensembleleistung aufgeht."
"Dieser Hamlet ist so normal, so sensibel, so schwach und so beseelt von dem Wunsch nach Ehrlichkeit und Fairness wie kaum ein anderer Hamlet zuvor", schreibt Bernd Noack auf Spiegel online (16.6.2019). Johan Simons rolle seiner Titeldarstellerin als Spielfeld eine Welt am Abgrund aus. "Das Sein oder Nichtsein ist in Simons' spielerisch kluger Inszenierung kein hohles Zitat, vielmehr Programm: Wenn die Schauspieler aus der ersten Zuschauerreihe heraus agieren, dann sind sie ganze Weilen unter uns, verwischen die Grenze zwischen Bühne und Parkett und machen die Sache, die sie da verhandeln, zu unserer."
Die Inszenierung zeige Hamlets Isolation, sagt Christoph Ohrem auf Deutschlandfunk Kultur in Fazit (15.6.2019). Der Abend stelle eine Befragung des Theaters als solches dar. "Sandra Hüller spielt die Wechsel zwischen dem Lauten und Wahnsinnigen und dem Ruhigen sehr präzise und berührend. Das ist ein Fest, sich das anzuschauen."
Patrick Bahners schreibt in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (22.6.2019): Die Verteilung der Personen im Raum sei nicht "durchweg realistisch zu lesen". Die Fallen des Stücks könnten nur "zuschnappen", wenn die Opfer ahnungslos sind. In Bochum fänden "die Verabredungen vor Zeugen statt", die Figuren "haben keine Geheimnisse voreinander und sind füreinander dennoch ein Rätsel". Diese oder jene Szene könne auch "eine Projektion" sein. Die Inszenierung erzeuge den Eindruck, dass "sich die Schauspieler das Stück gemeinsam erarbeiteten, indem sie auf das reagieren, was sie sehen und hören". Die Schauspieler wechselten ständig zwischen den Standorten auf der Bühne und den Sesseln im Saal, griffen scheinbar spontan in das Geschehen ein und zögen sich wieder zurück. "Sein oder Nichtsein, das ist hier auch die Frage zwischen Tun und Lassen, Handeln und Zuschauen." Der Rest sei "Reden, gewitzt und gebrochen, befreit und befangen, einsilbig und vielsagend".
Elisabeth Elling schreibt auf wa.de, dem Online-Portal des Westfälischen Anzeigers (online 17.6.2019, 20:10 Uhr): Sandra Hüller sei ein "zarter, schmächtiger Prinz". Die "Arme hängen runter, ratlos, der Bewegungsradius ist begrenzt, einmal halten die Füße sie fest, währen der übrige Körper wegstreben will". Ihre Stimme sei "sanft und inwendig, flehend und traurig". Neben diese "kindlichen Züge" setze Hüller "die Raserei", wenn der Geist des toten Vaters von Hamlet Besitz ergreife. "Grollend, hallend, brüllend und Rache fordernd". Wie "selbstverständlich und schwerelos Hüller diesen Kontrast nimmt: ein Ereignis".
Im Kölner Stadt-Anzeiger schreibt Regine Müller (online 19.6.2019, 3:00 Uhr): Dank Mikroport kämen Sandra Hüller die "großen, schweren, weltberühmten Sätze" wie "zufällig, eben erdacht" und "wundersam leicht" von den Lippen. Hüller beherrsche den "immer überraschenden Wechsel von scharf gemeißelter Sentenz zu beiläufig dahin geworfenen, spontan wirkenden Einfällen" perfekt und mit "atemberaubendem Rhythmusgefühl". Der Effekt sei "grandios", denn dieser Tonfall befreie das Drama von "jedem Druck und gewinnt doch in der Leichtigkeit des Artifiziellen einen eigenen Ernst, eine fast rituelle Wucht". Johan Simons halte den ganzen Abend in einer "spannungsvollen Schwebe" und beweise "einmal mehr meisterhaftes Timing und Mut zur Leichtigkeit". Ein "großer Abend".
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„Unterdessen nahen die Truppen des Fortinbras in Begleitung englischer Gesandter. Sterbend bestimmt Hamlet seinen Gefährten Horatio zum Sachwalter seines Andenkens und gibt seine Stimme Fortinbras als seinem Nachfolger. Der norwegische Prinz ordnet für Hamlet ein Begräbnis mit militärischen Ehren an.“
Schlusspartie:
FORTINBRAS
Laßt vier Hauptleute Hamlet auf die Bühne
Gleich einem Krieger tragen; denn er hätte,
Wär er hinaufgelangt, unfehlbar sich
Höchst königlich bewährt! Und bei dem Zug
Laßt Feldmusik und alle Kriegsgebräuche
Laut für ihn sprechen!
Nehmt auf die Leichen! - Was wir sehen dort,
Dem Schlachtfeld ziemend, schändet diesen Ort.
Geht, heißt die Truppen feuern!
Ein Totenmarsch. Sie gehen ab, indem sie die Leichen wegtragen; hierauf wird eine Artilleriesalve abgefeuert.
Emphatisch hat das Peter Brook (übrigens seit 2011 auch mit einem multikulturellen Ensemble) inszeniert: eine halbe Stunde lang (auch hier szenische Nachdrücklichkeit) wird der Sarg des Hamlet aus dem Dunkel des Schlachtfelds ins Licht emporgetragen.
Das ist doch der interessanteste Satz am ganzen "Hamlet".
Ich kann ein keiner Stelle lesen, dass es zwingend Salut für den toten Hof sein muss, den Shaskespeare meinte?
Es kann auch eine "heilige Norweg-Schlacht" - z.B. die gen Polen - gewesen sein, die durch das sich selbst ausgelöscht habende dänische Königshaus als geschhändet empfunden wird...
Frank-Patrick Steckel (z.B., oder Holger Syme, haben Sie andere, beweiskräftige Übersetzer-Beispiele, die diese Auslegung ad absurdum führten?
FORTINBRAS
Vier Hauptleute. Tragt Hamlet als Soldat
Auf eine Plattform. Als ein Herrscher hätte
Er sich gewiß bewährt. Die Aufbahrung
Geschieht mit allen kriegerischen Ehren.
Nehmt die Leichen weg. Denn es gehört
Ins Feld der Anblick, der uns hier verstört.
Geht, laßt die Truppen feuern.
Es handelt sich also nicht um einen Salut "für den toten Hof", sondern um einen Salut für den toten Prinzen. Die Truppen feuern in die Luft. Der diesbezügliche Befehl fehlt in der aktuellen Bochumer Fassung.
Entschuldigung, tragen die Mikroports ? Auf den Bildern sieht man so Punkte auf den Wangen. Verdächtige Punkte.
werden müssen. Hört das Publikum schlechter? Hat ein postdramatischer Schauspielstil Platz gegriffen, dem eine Bühne generell zu groß ist? Bringt es nur noch der kinomäßige Dolby-Digitalton? Wenn das so weitergeht, werden die Mikrofone im ersten Jahr der Schauspielausbildung implantiert, um Kosten zu sparen... Oder die Bewerber müssen auf eigene Kosten usw. Nein, im Ernst: Woran liegt das? Und warum stört das niemanden? Selbst Fernsehaufzeichnungen filmen in ihren Großaufnahmen direkt die Kabel und Drähte mit! Scheußlich!
Oh je ! Ich wollte schon rumkommen und mir das „ Wunder " anschauen . Aber so nicht .Mit Ports ? Echt ? Enttäuschend. Peter Brook hat mal in Interview gesagt : Almost every actor is able to speak Shakespeare in a pleasant way if he is reading it for himself or if he has a microphone, because it is a good text . The problem is always to speak it loud " .
Das kann ich als Zuschauer eines Theaters nicht akzeptieren. Open Air , ja , aber das Bochumer Haus ist doch ein Sprechtheater !
Tut mir leid !
Das Vertrauen in die Unmittelbarkeit der menschlichen Stimme, physisch-physikalisch, Kontrapunkt und Harmonie, im Theaterraum den Geist ausschüttend, einem erregten Auditorium zu, ohne Umwege, in die Körper gefahren der Zuschauer: dieses lustvolle Vertrauen in den einzigartigen Klang einer menschlichen Stimme ist leider verloren gegangen. Regie non, also Schauspieler beugt.
Die Architektur eines Theaters berücksichtigt eigentlich im besten Fall den Klang, der durch Schauspieler und Zuschauer- in einem Moment in einem Raum- gemeinsam entsteht: Fülle des Wohllauts.
Hans Lietzau sagte einmal nach vier Wochen Proben zu einem hochdekorierten Schauspieler in München:"Schön. Das war der erste direkte Ton von Ihnen."Er verteilte trotzdem keine Mikroports.
Roland Barthes war fasziniert von einem Gesang, der mit dem Körper des Sängers eins ist, der aus der Tiefe der Stimmhöhlen, Muskeln und Knorpeln kommt. Immer wenn Barthes die Lieder Robert Schumanns hörte, empfand er die Spuren des Körpers – Herzklopfen, Angst und Glücksgefühl, die sich der Stimme beimischten:
Die Belegtheit und Rauheit, die materielle Mischung aus Körper und Sprache. Gerade diese Mixtur empfand er als erotisch.
Stimme ist Erotik.
Und die Künste müssen sich das fragen lassen. Und sich selbst befragen.
Freuen Sie sich doch über Ihre Eindrücke, ganz ohne Ironie!
Und lesen Sie noch einmal Hegels' Phänomenologie des Geistes- nur so,
zum Durchatmen.
Übrigens, wie bitte kommt eine verfluchte Stecknadel in einen Heuhaufen?
Und zum Durchatmen und Künste hinterfragen gehe ich jetzt in das Bochumer Schauspielhaus. Gespielt wird: Hamlet
das war alles so was von leblos, gewollt, behauptet... teiweise wie ein hörspiel mit geräuschemacher (liebendank an meine Mitseherin/hörerin für dieses zitat). hamlet versatz stücke von der stange, sollte das ironisch wirken, distanziert? wenn schon verballhornung, dann doch richtig und mit BUMMS. schauspieler treten auf, sagen auf, gehen wieder- selbst das rumhampeln der clowns war ncht lustig. der bildungsbürger konnte raunend lachen, wenn er ein zitat erkannt hat. "ja, wir spielen jetzt mal hamlet", so what? alles schon tausendmal durchgekaut. wenn schon dekonstruktion, dann doch richtig. der müllertext total verschenkt. die musik so was von sporadisch und unispiriert, fehlte bloss noch der mann mit dem gewitterblech. bieder, ja, bieder. und eine sterilität der stimmen durch .... ja.... die mikroports.
rockn roll geht anders, entfuhr es mir auf dem weg nach draußen. auch wenn das kein rocknroll sein wollte, so war es doch mmn nichts. nicht was mich in irgendeiner weise berührt hat. aber das ging mir auch schon mit anderen simons stücken so. altbacken- leider.
es ist mir ein rätsel warum so ein altherrentheater (ja, hamlet ne frau, die königin schwarz... ophelia queer) solche begeiserung auslöst.
Theodor W. Adorno (1903-1969):
»Das Grauen besteht darin, daß wir zum ersten Mal heute in einer Welt leben, in der man sich das Bessere gar nicht mehr vorstellen kann«.
---
Liebe Inga,
danke für den Hinweis. Da liegt ein technisches Problem vor. Wir arbeiten an einer Lösung.
Viele Grüße
miwo / Redaktion
Hamlets Monologe sind Zwiesprache mit dem Publikum.
Die Regisseurin Andrea Breth wurde zunehmend ungehalten, wenn sich die Sprache auf der Bühne entweder im Leisen ins private Nuscheln, Säuseln, Brummen oder, im Lauten, wie sie es nannte, "Turnhallentheaterton" mit Rufcharakter entwickelte.
Die Scheinintimität des Sprachtons, technisch aufbereitet durch das Mikroport, soll das "Private", "Echte" suggerieren, bleibt aber in ihrer Wirkung im Theater eine Art "Fernsehton". Nennen wir es: "Die Mausefalle".
Man beachte die Anweisungen Hamlets an die Schauspieler!
Fällt jemandem auf, dass mikroportierte Schauspieler niemals lippensynchron sprechen?
In einem Brief an Leo Löwenthal schreibt Adorno 1942: „ Im Grunde geht es dabei darum, daß der Begriff des Lebens selber als einer aus sich entfaltenden und sinnvollen Einheit gar keine Realität mehr hat, so wenig wie der des Individuums, und daß die ideologische Funktion der Biographien(HAMLET) darin besteht, daß an irgendwelchen Modellen(THEATER) den Menschen demonstriert wird, daß es noch so etwas wie ein Leben gebe, mit all den emphatischen Kategorien von Leben, und zwar gerade in empirischen Zusammenhängen, welche die, die kein Leben mehr haben, mühelos für die ihren reklamieren können."
Ach, du Scheisse...
Wenn das Theater seine "Trickkiste" nicht mehr reflektieren will, verliert es zukünftig seine Bedeutung.Und wird zusehends unsichtbar.
So, wie Alberto Giacomettis Kunst das Verschwinden der menschlichen Existenz thematisierte.
Hamlet entdeckt es im 5.Akt: " Meine sterbende Stimme..."
Im Gegenteil, manches war auch ganz schön flach:
- Überflüssige Mikroports, die stören
- Nebenfiguren, die nicht in sich stimmig sind
- Nebenfiguren, die nicht zueinander passen (die schnoddrig-witzige Art des Polonius zB passt überhaupt nicht zum Rest)
- Planlose Auf- und Abtritte, mal ins Parkett, mal nicht
- ein entwürdigender running gag ("er ist allein")
All das stört nicht so sehr, es ist nur auch nicht das, was ich von einer Theatertreffen-Inszenierung erwarte.
Der Kern des "Hamlet" ist aber natürlich die Gestaltung der Hauptfigur. Was ist das für ein Mensch, was ist der Mensch? Sandra Hüller, die mich in manch anderen Rollen total berührt hat, bleibt hier irgendwie seltsam steril. Spricht ihre Sätze ins Mikro, das fühlt sich fern an. Dann schreit sie mal in zwei Szenen wild herum. Für mich blieb das leider sehr erkenntnisarm. Vielleicht saß ich auch zu weit weg oder Hüller hatte einfach einen nicht so guten Tag.
Andere haben das offenbar anders gesehen: Es gab auch bei dieser Aufführung zum Teil stehende Ovationen, es gab aber auch viele, die freundlich klatschten und sich dann irgendwann zu wundern schienen, warum ein Teil des Publikums das so feiert.
Ich hoffe, mit diesem Einblick die Erwartungen anderer Besucher*innen gedämpft zu haben, denn möglicherweise waren auch einfach meine Erwartungen nach dem Leser der euphorischen Kritiken völlig überzogen.
danke, Du sprichst mir aus der Seele, ich habe mich sehr gewundert, über das feiernde Publikum.
Tolle Gina Haller, sinnlich, aktiv.
Kaum Klärung der Motive der Figuren, der Verhältnisse untereinander.
Dadurch bleibt die Inszenierung steril und unsinnlich.
macht den Reiz dieses Spiels aus. Noch niemals habe ich Vergleichbares
gesehen. Ich bin schwer beeindruckt und schaue immer noch in en Stream dieser Inszenierung hinein, wie ein Späher, der Neuland entdeckt. Und ich werde möglicherweise noch länger hineinschauen, vielleicht sogar bis zum Ende des Tages (nk-stream-Hamlet), ich habe die ganze Zeit. Diese Aufführung ist es wohl wert, nach meinem Dafürhalten.
Nein ist nicht schlecht ...
... ist aber auch nicht schlüssig
werde herumgeworfen...
ist das Absicht?
dann bin ich verstimmt ;-)
ja
einzelne Momente sind stark zb zwischen Hamlet und Ophelia; geh in ein Kloster-Szene
wie Hüller ihren Vater aus sich gebiert für Momente... die Erinnerung einer Überwältigung gleich
wie Haller ihre Ophelia zeigt; klar, offen, neugierig, unverbraucht; Ihr Wahnsinn normal und nicht wahnsinnig
alles gut, kann man so spielen..ja
aber als Gesammteindruck?
Zersplittert, gut angedacht,
Bleibe allein zurück;
zu viel störendes
Claudius, Polonius die irgendwie auf mich leer und aufgesetzt, gelangweilt, uninteressiert an sich und ihrem inneren Auftrag die zu sein, die sie sind...schade!
diese Figur deren Satz -er ist allein- mich immer wieder aufstört in Fragen reinschiebt, mich ablenkt ... auch der Regisseur hat sich nie gefragt wer ist das und was das soll ( wie er im Nachgespräch äussere)
...wie um alles in der Welt soll ich dann klar kommen ?..?
usf
nun gut, meckern kann man ja immer :-))
trotzdem blieb ich dran und die Auseinandersetzung läuft...das ist ja auch was....
Ein Theater, das Geschichten erzählt, hatte wohl Shakespeare im Sinn. Das erfüllt sich hier nicht. Wer sagt was warum zu wem? Davon erlebe ich nur das WAS- dank Mikroport- und kann es , weil das WARUM, zu WEM fehlt, nicht einordnen. Für Schauspieler,Dramaturgen oder Theaterleute sicher ein interessanter Abend. Ein Theaterabend für „nur Theaterinteressierte“ ganz sicher nicht.
Ein Puntila-Danton-Hinkemann-Barka-Tempelherr-Petruccio...Spieler
Was hier *alle zusammen* leisten, entbehrt der Möglichkeit adäquater Würdigung auf diesem Wege. Lebenslanger Dank! Möge noch vielen das Erlebnis möglich sein.