Legende vom Glück ohne Ende / Kein runter kein fern - Robert Borgmann verschneidet am Maxim Gorki Theater zwei Prosatexte von Ulrich Plenzdorf
Arbeit am Leichentuch
von Christian Rakow
Berlin, 3. Mai 2012. Auf die Filmmusik der Puhdys sollte man sich nicht freuen. "Wenn ein Mensch lebt" oder "Geh zu ihr", die Hits aus "Die Legende von Paul und Paula", kommen praktisch nicht vor. Stattdessen Bläserarrangements, Trauermärsche, getragene Klaviermusiken. Nach Oldies und wohliger Sentimentalität steht Regisseur Robert Borgmann nicht der Sinn. Aber wonach dann?
Er lässt seinen Abend am Maxim Gorki Theater, der nicht nach Ulrich Plenzdorfs Filmdrehbuch (1973), sondern nach dem darauf aufbauenden Roman "Legende vom Glück ohne Ende" (1979) entstand, mit den Stimmen der Nachbarschaft, der Hörensagenden, beginnen. Kein schlechter Zugriff. Schließlich ist Plenzdorfs Geschichte nicht nur – natürlich! – eine Hymne auf die unbedingte Liebe, ein großes Freiheitsepos und der schillernd schöne Beweis, wie Glam-Style und Hippie-Spirit auch in der DDR-Jugend nach 1968 fruchteten. Sondern sie ist eben auch "Legende", eine überhöhende Erzählung von quasi heiligen Ausnahmetaten, und ein selbstreflexiver Verweis darauf, wie Menschen sich Mythen schaffen, um ihre Wirklichkeit erträglicher zu machen.
Fünf alte Damen häkeln
Bei Borgmann sitzen fünf ältere Damen nahe der Rampe, häkeln und erzählen am Romantext entlang vom alten Berlin-Friedrichshain, wo Paul und Paula lebten. Ein Anfang, eher Plausch am Kachelofen als Webwerk der Klio. Man wird das Gefühl nicht los, dass Plenzdorf hier ein Leichentuch gearbeitet wird. Eines mit vielen losen Fäden.
Denn die Sensibilität für die Textur der Legende schwindet schnell. Borgmann lässt seine Figuren routiniert zwischen Erzählerrede und Dialog wechseln. Aber alles, was poetologisch relevant wäre, fällt weg. Pauls wochenlange Belagerung der Wohnung Paulas ist eingedampft auf einen Matratzen- und Gerümpelregen, vom Schnürboden herab. Die Fama der gemalten Herzen, die sich wie Widerstands-Chiffren durch die Republik bis nach Rostock fortpflanzen, gleich komplett gestrichen. Keine Spur von der Axt der Nachbarin (der Erzählinstanz), mit der Paul letztlich die Wohnung Paulas zu ihrer beider Glück aufbricht. Mit anderen Worten: Es fehlt die Axt der Dichtung selbst.
Ein Hilfsschüler stammelt
Nächster Versuch: Psychologisierung. An zentraler Stelle, als sich Paul von Paula trennen will, blendet Borgmann Plenzdorfs polyphonen Wahnsinns-Monolog "Kein runter kein fern" (1978) ein. Es ist eine manische Introspektion eines "schwachsinnigen" Hilfsschülers am 20. Jahrestag der DDR. Dieser nurmehr in abgehackten Sätzen stammelnde Junge – geschunden vom Bruder, der bei der Polizei ist, und vom linientreuen Vater – fungiert gewissermaßen als die Nachtseite des Polit-Kaders Paul. Er zeigt eine Seele, die am Anpassungsdruck implodiert, während Paul seinen mentalen Panzer mühsam aufrecht hält. Und so wie Albrecht Abraham Schuch dieses lange Solo zelebriert – musikalisch zwischen den Stimmen im Kopf wechselnd, sie virtuos mit gebärdensprachlichen Gesten ausmalend, dann wieder ungeschützt, durchlässig, mit Furor –, so hat der Abend immerhin einen bleibenden Moment.
Aber es bleibt Stückwerk. Auch die Spur der Psychologisierung Pauls (es ist überhaupt eher sein Abend als der Paulas) führt ins Leere. Mit jeder Szene wechseln die Motive. Wir kämpfen uns durch kindische Verdruckstheiten beim Kennenlernen der Helden (Paula: Julischka Eichel; der junge Paul: Albrecht A. Schuch). Wir sehen Thomas Lawinky, den real existierenden Vorschlaghammer des deutschen Performertheaters, als alternden, resignierenden, desolaten Paul. Andreas Leupold geistert als Heiner-Müller-Verschnitt durch das weiße, kahle Altbauzimmer (Bühne: Susanne Münzer), während Friederike Bernhardt (anfangs in der Rolle der Ehefrau Pauls) bald zum andauernden Klavierspielen verdammt ist.
Der Regisseur schafft am Gebläse
"Legende vom Glück ohne Ende" hat noch einen zweiten, über den Film hinausreichenden Teil. Er erzählt von einer Widergängerin Paulas namens Laura, die Paul von seinen Psychosen nach Paulas Tod heilt und probiert, ihn wieder in den Staatsapparat einzugliedern. Für Paul beginnt eine hoch problematische, verschlungene Emanzipationsgeschichte, eine Suche nach Restautonomie in einem Land, das diese nicht kennt.
Dem gebürtigen Erfurter Borgmann (Jahrgang 1980) bietet diese zweite Hälfte nurmehr Anlass, den Abend szenisch vollends auszunüchtern und das Assoziationsgebläse anzuwerfen, auf dass die allererwartbarsten Schnipsel zu DDR und Wendezeit herausrieseln: Ein Stasikader chargiert als David Hasselhoff mit "Looking for Freedom"; die treue Dienerin des Staates Laura ballert hörsturzresistent mit Platzpatronen um sich. Und endlich läuft auch "Geh zu ihr" von den Puhdys, das große Freiheitslied, das Lied von Paula – und zwar, als Paul vom Vorgesetzten aufgefordert wird, wieder in den Dienst einzutreten. Und ewig lockt das Weib, äh, das MfS? Da weiß man nicht mehr zu sagen, ob das bloß die wunderlichen Blüten eines auf gnadenlose Antithesen angelegten Regieübermuts sind, oder doch echter Zynismus.
Jedenfalls hat der Ärger über diese letzte der gut drei Stunden Plenzdorf-Beerdigung die einsetzende Müdigkeit verjagt. Man würde den gespenstischen zweiten Teil wohl als dröhnenden Kater abbuchen. Wenn's denn vorher eine richtige Party gegeben hätte.
Legende vom Glück ohne Ende / Kein runter kein fern
Ein Theaterabend nach Motiven zweier Prosatexte von Ulrich Plenzdorf
Für die Bühne eingerichtet von Robert Borgmann
Regie: Robert Borgmann, Bühne: Susanne Münzner, Kostüme: Janina Brinkmann, Musik: Friederike Bernhardt, Dramaturgie: Jens Groß.
Mit: Julischka Eichel, Thomas Lawinky, Albrecht Abraham Schuch, Andreas Leupold, Friederike Bernhardt, Leo Musielski / Rubens Dehniger, Henriette Bothe, Christiane-F. Droz, Annette Rentz-Lühning, Ingetraud Johanna Skirecki, Renate C. Sörensen, Bläserensemble: Govinda Abbott, Stephan Bohm, Benjamin König, Michael Korn.
www.gorki.de
Die bedingungslose Liebesgeschichte, um die es auch in der Neubearbeitung von Robert Borgmann gehen solle, verliere sich zunehmend im Aufeinanderschichten von Zeit-Trümmern, meint Ute Büsing im rbb-Inforadio (4.5.2012). Es dränge sich im Laufe des Abends außerdem der Eindruck auf, die Legende von Paul und Paula solle mit allen Mitteln zerstört werden. "Denn Paul wird mehr oder weniger auf einen Stasi-Spitzel reduziert, der allzeit bereit ist, für die Firma Dienst zu tun." Ihm stets zu Hilfe und zur Seite stehe einer, der nicht nur aussehe wie Heiner Müller mit Whiskypulle und Zigarre, sondern den Dramatiker am Schluss auch zitiere. "Dann ist wirklich endgültig alles mit jedem verquirlt und meine Geduld am Ende."
In der Berliner Zeitung (5.5.2012) verweigert Ulrich Seidler der Inszenierung eine Kritik und schreibt nur einen Tip für's "Kulturprogramm" (ach, Du liebes Kultur-Aktiv!): Borgmann gehe es um die "Ent-Legendierung von DDR-Vergangenheit". Es seien nicht alle nett (gewesen). Da passe es, "dass auch Thomas Lawinky als Paul einmal mehr die Bühne bekommt, um sich für seine Stasi-Mitarbeit unter dem Decknamen 'Heiner M.' zu entschuldigen".
In der Berliner Zeitung Der Tagesspiegel (5.5.2012) schreibt Christine Wahl: Borgmann entscheide sich gegen die "rührselige Ostalgie-Schmonzette". "Konsequent" denke er "die Historisierung des Stoffes" mit. Doppelbesetzungen verhinderten "jedwedes identifikatorische Einkuscheln". Der Student Paul habe in Gestalt des Funktionärs Paul seine Zukunft auf der Bühne "praktisch von Anfang an im Schlepptau". Überhaupt herrsche kein Mangel an "Entromantisierungsmaßnahmen". Offenbar habe Borgmann eine generellere "DDR-Zustandsbeschreibung" vorgeschwebt, "die sich keinen Verniedlichungsvorwürfen aussetzen und bis in gegenwärtige Gesellschaftsreflexionen vordringen will". Doch so "interessant" der Abend gedacht sein möge, so wenig löse er sich auf der Bühne ein, er verliere sich "unter allerlei aufgerufenem DDR-Potpourri zunehmend selbst".
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Ich vermisse die Ankündigung einer Kritik zu Molnars "Liliom" in Mainz (siehe: http://www.allgemeine-zeitung.de/region/mainz/meldungen/11913262.htm). Regisseur ist Jan Philipp Gloger, immerhin der Eröffnungs-Regisseur der diesjährigen Bayreuther Festspiele, wo er den Fliegenden Holländer inszeniert. Außerdem ist er mit Löhles "Das Ding" nach Mülheim eingeladen. Meinen Sie nicht, dass es angebracht wäre, ihn auch mal "zu Hause" zu beobachten? In Mainz ist er ja "Leitender Schauspiel-Regisseur".
(Lieber rudi,
ja, das verstehen wir gut. Genauso lief bei uns in der Redaktion die Diskussion auch. Wir haben uns dagegen entschieden wegen der Inszenierungen, die Sie im Plan finden. Im einzelnen kann ich die vielen Gründe hier jetzt nicht aufzählen. Jedenfalls ist Gloger auch ei uns noch nicht verloren.
Gruß
jnm)