Leben des Galilei - Jo Fabian war ohne seinen Werkzeugkoffer in Halle, um Brecht zu inszenieren
Nicht Würfel nicht Scheibe
von Matthias Schmidt
Halle, 24. Mai 2013. Das Beste an der immerhin fast dreistündigen Inszenierung war der Schluß, die letzten Minuten. In diesen dröhnt die wuchtige Erkennungsmelodie der HBO-Serie "Game of Thrones" aus den Boxen, während Michelangelos riesige David-Statue aus der Unterbühne heraufgefahren wird. Der sterbende Galileo sitzt daneben: klein, grau, gescheitert. Eine Prozession von Mönchen umkreist ihn wie die Planeten die Sonne. Was für ein Bild, was für eine Metapher! Der pathetisch-bombastische Soundtrack trägt die ganze Ambivalenz der Situation in sich – die Finsternis der Inquisition gegen die strahlende Renaissance. Und mittendrin steht, ach, ein schwacher Mensch.
Lebende Klischees
Bis dahin wirkte die Inszenierung ein bisschen so, als habe Jo Fabian seinen Werkzeugkoffer nicht dabei gehabt. Oder sei erstarrt in Ehrfurcht vor Brecht und dem "Galilei", einem Stück, das – machen wir uns mal nichts vor – in etwa so modern ist wie Leute, die das Internet immer noch Datenautobahn nennen (Danke, Cory Doctorow!). Zumindest wenn man es so spielen lässt: über weite Strecken statisch, historisierend, ohne Verfremdung. Da stehen sie vor dem tollen, neuen "Linsenrohr" und argumentieren, ob sie hineinschauen und die vier sich bewegenden Jupitermonde mit eigenen Augen sehen sollen oder lieber auf Gott, Aristoteles und Ptolemäus vertrauen: Galilei, der hemdsärmelige Lebemann, und ihm gegenüber, in ihren hochgeschlossenen Roben, die Mönche, die Ratsherren, die Kardinäle.
© Gerd Kiermeyer
Als lebende Klischees proklamieren sie, was Brecht ihnen zu sagen gab. Wahrheit, Verantwortung, Vernunft, Moral? Gerne, ja doch, reden wir darüber, aber doch bitte nicht allein anhand der Frage, ob die Erde eine Scheibe oder ein Würfel ist. Da wäre Luft für mehr als nur Gut und Böse und den hin- und hergerissenen Wissenschaftler G.. Dass zudem die Namen von der Inquisition getöteter Wissenschaftler auf die Bühnenrückwand projiziert werden, wirkt in diesem engen Kontext wie eine ganze Kompanie winkender Zaunpfähle.
Bauernschläue und Katze(nallergie)
Entsprechend zieht es sich. Positiv gesagt, bleibt dadurch genügend Zeit, sich die Bühne und den Himmel anzuschauen. Galileis Studierzimmer, der Brunnen in dessen Mitte, die Lampen darüber - alles rund, alles drehbar. Wie die Planeten, um die es sich bekanntlich – genau! – dreht. Was Jo Fabians Inszenierungen sonst zu bewegten und bewegenden Stimmungen werden läßt, zu vielschichtigen Collagen voller Anspielungen und Mehrdeutigkeiten, es will an diesem Abend einfach nicht recht ineinander greifen. In einzelnen Momenten lässt sich erahnen, dass und wie er den spröden Stoff zeitlos machen will. Dann steigen Nebel aus dem Brunnen und eine Soundcollage aus Musik, englischen und italienischen Texten sowie einem Sonar-Ton deutet an, dass es um etwas gehen könnte, das uns angeht. Zwei-, dreimal kommentieren die Schauspieler Brechts Intention mit dieser oder jener Figur, gehen in Widerspruch zu ihrem Autor. Im Programmheft wird berichtet, auch Fabian habe Zweifel am Text, sei aber rechtlich an ihn gebunden. Mit kleinen Einsprengseln wie William Faulkners "Das Vergangene ist nicht tot, es ist nicht einmal vergangen" allein ist diesem Problem allerdings nicht beizukommen. Spüren muss man es! Das leistet auch die an sich sehr unterhaltsame Idee nicht, eine Katze (Schrödingers Katze!) als running gag durch das Stück zu ziehen.
Gott sei Dank, wenn man das angesichts des Themas sagen darf, spielt das Ensemble tapfer Theater. Jörg Steinberg ist ein Galilei, dem man gerne folgt, gerade weil er immer leicht verschmitzt den Eindruck macht, er wisse es besser, als seine Rolle es erlaubt. Am Ende, als alter Mann, sieht er ein bisschen wie Karl Marx aus, was aber auch ein Zufall sein kann. Petra Ehlert als Galileis Haushälterin Frau Sarti und als alter Kardinal ist die Frau fürs Komische. Sie hat Bauernschläue und eine Katzenallergie und bringt damit einen Hauch von Volkstheater ein, der dem ansonsten langatmigen Abend gut tut.
Leben des Galilei
von Bertolt Brecht
Inszenierung, Bühne, Video, Soundcollagen: Jo Fabian. Kostüme: Pascale Arndtz. Dramaturgie: Jan Kauenhowen. Kathleen Rabe.
Mit: Jörg Steinberg, David Kramer, Jonas Schütte, Peer-Uwe Teska, Karl-Fred Müller, Wolf Gerlach, Peter W. Bachmann, Hilmar Eichhorn, Joachim Unger, Frank Schilcher, Stanislaw Brankatschk, Petra Ehlert, Stella Hilb, Barbara Zinn, Laura Lippmann, Maximilian Wolff, Clemens Apel, Gustav Borggrefe, Frank Metzkow-Meszaros, Max Dimanski, Levin Eichert, Felix Eichhorn, Stanislaus Just, Konrad Kolodziej, Tristan Kuhn, Arne Küter, Mathias Müller, Patrick Sell, Maximilian Steffen, Konstantin Weber, Illja Wehrenfennig, Kevin Wilke, Paul Worms.
www.kulturinsel-halle.de
Jo Fabian befreie das Stück von ideologischen Schlacken, bei allem Ernst werde es ganz wunderbar leicht, tänzerisch und gedanklich hell, schreibt Andreas Montag in der Mitteldeutschen Zeitung (27.5.2013). Dabei inszeniere er durchaus streng und in einem Rhythmus, der sich allen Mitwirkenden erschlossen haben muss, damit er nicht gebrochen wird. "Das Ergebnis ist ein Genuss, will man von der Schluss-Sequenz absehen, ausgerechnet die ist zu pathetisch ausgefallen, weil sie ironisch nicht gemeint sein kann." Da lasse Fabian nämlich Michelangelos monumentalen David aus dem Bühnenboden emporwachsen, das Denkmal der Renaissance, des Traums von der vollendeten Schönheit und des auftrumpfenden Verstandes. Dennoch: "In großer Heiterkeit, auch mit ein paar eingestreuten, auf aktuelle Politik gemünzten Bonmots, wird hier der Galilei doch niemals aus der Mitte der Betrachtung entlassen." Hochkonzentriert seien alle Akteure, voran der hervorragende Jörg Steinberg als Galilei, bei dieser Sache, die dem Stadttheater ein Licht aufsteckt - gerade weil diese Arbeit so fern aller Arroganz und etwaigen Dünkels sei.
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Offene Briefe:
"Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, lieber Herr Dr. Wiegand,
Sie können sich vorstellen, dass bei mir die Journalisten anfragen und meine Meinung zur Absage der Händelfestspiele wissen möchten.
Bevor sie diese aus der Zeitung erfahren, möchte ich sie Ihnen auf diesem Wege zur Kenntnis geben.
Zuerst einmal möchte ich mein Mitgefühl mit allen Betroffenen zum Ausdruck bringen und allen viel Kraft und Zuversicht wünschen. Ich weiß, wovon ich rede, in meiner engsten Verwandtschaft wird es an der Elbe eine Familie innerhalb von 11 Jahren zum zweiten Mal treffen, dies allerdings mit voller Wucht, denn das Haus wird morgen bis zum Dach in den Fluten versunken sein.
Aus meiner Sicht wäre es sicher ein Gewinn gewesen, vor der Beschlussfassung eine Eilzusammenkunft mit wichtigen Kulturschaffenden der Stadt Halle einzuberufen und sich gemeinsam eine Meinung zu bilden. Die eine Stunde wäre noch Zeit gewesen.
Es ist nachvollziehbar, dass die Händelfestspiele unter den gegebenen Umständen nicht unbedingt am 06.06. beginnen sollten. Als Begründung wäre die öffentliche Sicherheitslage und die Bindung der Einsatzkräfte an die Orte der Überflutung plausibel gewesen.
Die generelle Absage bis einschließlich 16.06. in Verbindung mit der Absage aller städtischen Veranstaltungen halte ich aus verschiedenen Gründen allerdings für ein Desaster.
Die erwarteten Künstler und die Kulturliebenden, die aus der ganzen Welt angereist wären, hätten der Stadt Halle und den von der Flut betroffenen Menschen ein unvorstellbares Maß an Solidarität und Unterstützung beschert. Es hätte spontane Benefizveranstaltungen und Gagenverzichtserklärungen gegeben. Händel wäre vom Kulturbotschafter zum Solidaritätsbotschafter geworden und hätte die Anteilnahme in vielen Teilen der Welt auf Halle gerichtet und verstärkt. Diese Chance ist durch die aus meiner Sicht übereilte Absage vertan worden.
Es ist auch nie und nimmer im Sinne Händels, genau in solchen Situationen auf die Kraft und heilende Wirkung der Kultur zu verzichten. Er hat es uns anders vorgelebt.
Er selbst hat Werke zu Gunsten Bedürftiger komponiert (z.B. das „Foundling Hospital Anthem“) und viele viele Benefizveranstaltungen vom Zaun gebrochen zum Trost und zur Motivation leidender und bedürftiger Menschen.
Was mich persönlich sehr sorgenvoll stimmt, ist das Verständnis oder besser formuliert das Mißverständnis von Kultur.
Wenn die Begründung der Absage lautet: „Die Stadt kann nicht feiern, wenn Menschen in Not sind“, dann wird die Kultur automatisch mit Volksbelustigung in Art einer Fanmeile auf eine Stufe gestellt,
die jederzeit verzichtbar ist.
Das unterschwellige politische Signal der Absage der Händelfestspiele lautet deshalb:
Wir können Kunst in dieser Situation nicht gebrauchen, wir wollen die Kunst und Kultur nur dann, wenn es uns gut genug dafür geht, als verzichtbares Sahnehäubchen also.
Aber zur Bespaßung sind wir Künstler nicht auf der Welt und genau die Funktion in der Gesellschaft, die Kunst und Kultur haben sollte, hätte in dieser Notsituationen zum Tragen kommen können und müssen und hätte eine enorme positive Energie entfaltet.
Aus meiner Sicht ist der Stadt und auch den Flutopfern durch die Absage der Händelfestspiele kein Nutzen entstanden, sondern es hat sich der materielle Schaden vergrößert, das Image ist beschädigt und die Chance auf ein Handeln im Sinne Georg Friedrich Händels vertan worden. So etwas geschieht, wenn man das Grundvertrauen in das verloren hat, was den Menschen vom Tier unterscheidet:
Die Kultur.
So stehe ich persönlich dazu und das wollte ich Sie als Ersten wissen lassen. Vielleicht gibt es ja die Möglichkeit, getroffene Entscheidungen wenigstens in Teilen zu revidieren, wir stehen bereit und könnten jederzeit das Unsrige dazu beitragen.
Mit allen guten Wünschen in Zeiten der Not,
Ihr Axel Köhler
Intendant der Oper Halle
Halle, den 05.06.2013
Halle, den 7. Juni 2013
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident des Landes Sachsen Anhalt!
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister der Stadt Halle!
Sehr geehrt Herr Haselhoff, sehr geehrter Herr Dr. Wiegand!
Sie haben viel Verantwortung in diesen schweren Tagen zu tragen und dafür zolle ich Ihnen meinen tiefen Respekt. Die Ensembles der Bühnen GmbH Halle sind vor Ort und helfen, wo es nur geht und wir entwickeln jetzt schon Aktivität und entsprechende Logistik, die es ermöglichen soll, dass unsere Kollegen bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung des Spielbetriebs auch bei der Beseitigung der Hochwasserschäden präsent sein werden.
Und dennoch muss ich Sie fragen:
Wohin treiben Sie uns?! Wozu soll die Flut noch herhalten, wenn ich angesichts der letzten Tage feststellen muss, dass es Ihnen mit ihrer Kultur-Absage-Politik gelungen ist, einen Initiator einer Veranstaltung zum Erhalt von Kultur und Kunst der Staatskapelle Halle ungestraft Lynchdrohungen im Internet auszusetzen. Wohin treiben Sie uns, wenn die Mitteldeutsche Zeitung unkommentiert von Ihnen mit einer Internet-Abstimmung zur Wahl von Maßnahmen zur Bekämpfung der Flut oder Kunst und Kultur aufruft? Wohin treiben Sie uns, wenn Sie städtische Veranstaltungen a priori bis 16. Juni in Halle untersagen, weil wir uns alle auf die Maßnahmen gegen die Flut konzentrieren sollen? Wohin treiben Sie uns Menschen in dieser Stadt, wenn Sie Angebote unsererseits zu Benefizveranstaltungen zugunsten der Flutopfer, der Helfer, der Menschen als instinktlos, unsinnig und eitel kleinreden und schließlich behindern und damit de facto untersagen? Wohin treiben Sie die Ensembles, wenn Sie sie in Zeiten der Not per Verordnung von ihrem Publikum trennen und diese in Gleichschaltung zur komplett überstürzten und katastrophalen Absage der Händel-Festspiele zum Schweigen bringen?
Herr Oberbürgermeister, Sie hatten mir in einem Telefongespräch in Aussicht gestellt, dass wir ab Freitag, den 7. Juni, das alles besprechen können. Sie haben kurze Zeit später, als ich Vorschläge machen wollte, alle Argumente an sich gerissen und eine Verständigung im Grunde unmöglich gemacht.
Angesichts der angespannten Lage durch das Hochwasser bin ich sachlich und ruhig geblieben, aber dieses Gespräch hat mich sehr entmutigt und ebenso enttäuscht.
Wohin treiben Sie uns, wenn vergleichbare Städte mit vergleichbarer Flutkatastrophe, wie Magdeburg, Dessau oder Dresden soviel wie möglich an ziviler kultureller Infrastruktur nutzen und selbstverständlich Theater spielen und Veranstaltungen durchführen und damit der menschlichen Würde des Zusammenstehens ein lautstarkes Podium geben, während wir hier in Halle nur beschämt vor einem Scherbenhaufen stehen und einerseits von Teilen der Fluthelfer als Störenfriede angegriffen werden, andererseits wiederum von Bürgern der Stadt gefragt werden, wie lange wir noch zusehen wollen, dass man uns zeigen will, wie wir doch nicht gebraucht werden?
Wohin treiben Sie uns, wenn nur Sie meinen dürfen, was eine Bevölkerung jetzt nötig hat? Warum trauen Sie unserem Publikum und uns nicht zu, angemessen mit unserem Dasein auf die besonderen Ereignisse zu reagieren? Warum sollen wir zu einem jetzt schon erdachten Termin am nächsten Wochenende gemeinsam und spontan nach Ihrem Taktstock wieder zum Beruf greifen dürfen, um – degradiert zu Marionetten Ihrer Pläne – danach erst wieder unseren Spielplan spielen zu dürfen?
Natürlich steht die Naturkatastrophe und ihre Folgen an erster Stelle.
Es bleibt doch aber – wenn die Flut gesunken ist – die Denkungsart, in Alleinregie über Bedürfnisse und Nutzen von Kultur zu entscheiden. Mitglieder des Stadtrates und Bürger der Stadt, das erfahren wir in vielen Gesprächen, stehen ohnmächtig vor diesem undemokratischen Vorgehen und fürchten die Macht der Stammtisch-Reden und populistischen Hetzreden, die sich jetzt breit machen.
Warum, sehr geehrter Herr Haselhoff dulden Sie diese völlig unnützen Zerwürfnisse in einer Zeit, wo die Flut nicht nur unsere Häuser bedroht, sondern auch unsere Würde?
Wir, als Künstler dieser Stadt Halle sind ebenso betroffene Bürger von diesem Hochwasser und schämen uns, dass wir angewiesen sind, zu dulden.
Mein Ensemble und ich – wir sind sehr besorgt und können nicht untätig bleiben.
Wir möchten ab sofort unsren regulären Spielbetrieb wieder aufnehmen und dies auch öffentlich bewerben. Unser Spielplan ist kein Benefiz-Vorhaben, sondern unser täglich Brot. So wie u.a. auch die Franckesche Stiftung, das Museum für Vorgeschichte und die Moritzburg geöffnet sind, werden auch wir wieder zum Gesicht dieser Stadt gehören.
Wir erwarten Antwort. Wir sind offen für Dialog. Für unsre Stadt.
Hochachtungsvoll
Matthias Brenner
Künstlerischer Direktor (Intendant)
neues theater / Thalia Theater
Bitte geben Sie nicht auf - die Menschen brauchen Ihre/ihre Kultur.