Viel Lärm um nichts - An der Berliner Schaubühne sticht Marius von Mayenburg Shakespeare mit Pop
Macht euch zum Affen
von Anne Peter
Berlin, 31. August 2013. Brrr, wie komisch das alles! Es ist, als sei die Schaubühnentruppe in den Kostümfundus eines betagten Filmstudios eingebrochen, habe nach Herzenslust herumgekramt und sich für den Saisonauftakt zu einer Strand-und-Palmen-Mottoparty mit Gruselfilmausflug, einem Karaokewettstreit mit Hochkultureinsprengseln verabredet. Im Hintergrund flimmern Uralt-Filmbilder exotischer Landschaften, Meeresbuchten, Urwald, Dinosaurier oder auch Vampir-trächtiges Friedhofssetting. Davor hat eine Horde Schauspieler in Kindergeburtstagslaune anscheinend großen Spaß dabei, sich in neonpink-leuchtender Orchestermuschel zum Tarzan, zum Tiger, zum Affen zu machen.
Nosferatu? Robert Beyer als Don John! © Arno DeclairZwischendurch spielt man hier auch noch Shakespeares Liebes-Intrigen-Komödie "Viel Lärm um Nichts", aber das ist irgendwie Nebensache. Zur Erinnerung: Darin geht es einerseits um die Verleumdungsintrige gegen das blasse Hals-über-Kopf-Liebespaar Claudio und Hero, ob der er sie vor versammelter Hochzeitsgesellschaft als Hure beschimpft. Andererseits ist da die Verliebungsintrige gegen die einander in leidenschaftlicher Abneigung verbundenen Schlagfertigkeitsakrobaten und Eheverächter Benedick und Beatrice, die beide glauben gemacht werden, der jeweils andere sei unsterblich in sie verliebt.
Alle Zeichen stehen auf Fake
Regisseur Marius von Mayenburg wirft dem Abend ein überdeutliches Konzeptkostüm über: Indem er alle und jeden immerzu verkleidet umherwuseln lässt und so das im Stück auf diversen Ebenen durchbuchstabierte Schein-Sein-Thema in die einschlägigen Abziehbilder der Frühfilmära kleidet, belegt er das Ganze mit einem pauschalen Alles-nur-Show-Bann. Soll heißen: Hier ist jedes Gefühl ein abgegucktes, vorgemachtes, fremdverursachtes. Alle Zeichen stehen auf Fake.
Köstliche Kreationen hat Ausstatterin Nina Wetzel dazu ersonnen: Robert Beyer führt als Prinz einen Piratendreispitz spazieren und mutiert als dessen schurkischer Bruder Don John mit gespitzten Ohren zur griesgrämigen Nosferatu-Karikatur. Jenny König gibt im paillettigen Meerjungfrauendress mit Muschel-Bustier eine durchaus verruchte Hero. Sebastian Schwarz ist als verliebter Benedick schließlich flauschiger Ganzkörper-Tiger. Und Moritz Gottwald trägt als Claudio zu expressiver Dschungelgestik einen spärlichen Fellgürtel über der nackten Brust.
Pop-Kommentar
Als Knallchargen sind sie kostümiert, wie Knallchargen spielen sie, mit Slapstickerei, großen Augen und übergroßen Gesten. Gern mischen sie sich auch in Blue-Screen-Manier in die Leinwand-Welt. Zu Anfang tritt Kay Bartholomäus Schulzes Leonato, Gouverneur von Messina und Heros Vater, als Showmaster vor den golden gerafften Vorhang und besingt in Leonard Cohens cool tiefergelegten Worten die herrschenden Lug-und-Betrug-Verhältnisse: "That's how it goes / Everybody knows". Auch die anderen schnappen sich im Laufe des Abends reihum das Mikro und performen inbrünstig-ironisch ihre Songs – mit intensivierender Wirkung. Denn manche dieser Lieder hauen gerade nicht in die Verstellungskerbe. Vielmehr wird in den Pop-Posen stellvertretend Figureninnenleben ausagiert, geraten Lyrics-Schnipsel ansatzweise zum Kommentar.
Affentheater © Arno DeclairDabei singen sie allesamt hinreißend! Königs vom eigenen Vater geschmähte Hero findet in dem abgeklärt traurigen "Sometimes I feel like a motherless child" eine Stimme, die der Figur oft fast gänzlich versagt bleibt. Schwarz' Benedick bekennt mit Elvis zitterstimmrig: "I can't help falling in love with you". Und wie Eva Meckbach als Beatrice dem im Tigerkostüm steckenden Angebeteten mit Marilyn-Mähne ein von Lust aufgerautes "Teach me, tiger" hinhaucht, ist schlichtweg zum Niederknien.
Shakespeare erscheint in dieser Revue fast als Pausenclown. Sein Text, von Mayenburg neuübersetzt und vernüchtert, gibt eher den Soundtrack für Kostümmätzchen und Situationskomik ab und füllt die Lücken zwischen den Songs, die nicht zufällig den Szenenapplaus abgreifen. Auf Handlungsdetails kommt es nicht weiter an. Wo bei Shakespeare zwei irrwitzig tumbe Gerichtsdiener nebst diensteifrigen Wachen die Intrige des fiesen Don John entlarven, zeigt sich der vermeintliche Hero-Verführer Borachio (zum animalischen Zwecke im King-Kong-Kostüm: Bernardo Arias Porras) bei Mayenburg aus unerfindlichen Gründen einfach selbst an.
Kreuzende Flugzeuge, verpuffender Atompilz
Jene Gerichtsdiener, in deren hanebüchen einfältigen Reden sich nicht zuletzt die faulen Willkür-Verhältnisse des Phantasie-Messina offenbaren, streicht Mayenburg und verkleinert einmal mehr den düsteren Grund der Komödie. Dieser bleibt auch sonst weitgehend ausgespart. Die erschreckend jäh in Hass umschlagende Liebe Claudios oder die ebenso jäh aufblitzende Tochtertötungslust Leonatos – das sind Momente, die im komischen Einerlei ungebrochen durchrauschen. Daran ändern auch die gelegentlich durchs Filmbild kreuzenden Flugzeuge oder der hochpuffende Atompilz nichts, die wohl an die kriegerische Vorgeschichte gemahnen sollen. Doch um Relevanz zu erzeugen, raunen diese Bilder viel zu vereinzelt und vage von Schrecken.
Am Ende ist's zwar hinreißend fabrizierter Lärm. Aber es lärmt doch nicht laut genug, um das Nichts ganz zu übertönen.
Viel Lärm um nichts
von William Shakespeare
Deutsch von Marius von MayenburgRegie: Marius von Mayenburg,
Bühne und Kostüme: Nina Wetzel,
Musik: Claus Erbskorn, Thomas Witte,
Video: Sébastien Dupouey,
Dramaturgie: Maja Zade,
Licht: Erich Schneider.
Mit: Robert Beyer, Moritz Gottwald,
Sebastian Schwarz, Eva Meckbach, Jenny König, Kay Bartholomäus Schulze, Bernardo Arias Porras.
Dauer: 2 Stunden 10 Minuten, keine Pause
www.schaubuehne.de
Mehr zu Viel Lärm um nichts? Im Januar 2013 inszenierte Roland Koch Shakespeares Komödie in St. Pölten, Thomas Birkmeir 2011 in Dresden, Karin Henkel 2010 in Zürich, Jan Philipp Gloger ebenfalls 2010 in München. Und Jan Bosses Wiener Version wurde 2007 zum Berliner Theatertreffen eingeladen.
Shakespeares Dialoge "rattern in dieser Inszenierung als eher unerhebliches Schmiermittel einer wilden Trash-Muscial-Cabaret-Show nur so dahin", so Hartmut Krug auf dradio.de (Fazit, 31.8.2013). Hier gebe es "keine eindeutigen sozialen Rollen, sondern nur Posing als Zitat (...). Bald hört man auf, zu interpretieren und zu identifizieren. Denn die Figuren und die Geschichte werden schier verschüttet unter der Anspielungsmasse." Vieles sei "klug zueinander montiert". Allerdings seien da in den Liedern plötzlich "echte Gefühle und es wird etwas kommentiert, was die sich doch die ganze Zeit verstellenden Figuren nicht spielen. Immerhin: die Schauspieler singen großartig. Und wer pure, zweckfrei bunte Unterhaltung mag, ist mit diesem Abend nicht schlecht bedient."
Auf der Website von Deutschlandfunk schreibt Eberhard Spreng (1.9.2013), die Figuren bestünden bloß aus Facetten von "Pop-Klischees" und Songs. Das Kino siege über das Theater, die Komödie sei ein "Bildersturm" aus "Horror-, Fantasy-, Militärfilm- und andere Genres". Der "Spaßfaktor" sinke, wenn die Schauspieler einmal "ohne virtuelles Rollenkleid" ganz "bieder Theater spielen" müssten. Der "bis zur Ermattung lustig unterhaltenden Inszenierung" mangele es an Momenten der Melancholie oder des Ekels angesichts "des ewigen Türken und Tricksens". Am Ende bliebe wirklich "viel Lärm und viel Nichts".
Der Saisonstart der Schaubühne lasse einen "ähnlich unbefriedigt zurück wie der am Deutschen Theater", schreibt Christine Wahl im Tagesspiegel (2.9.2013). Das Ensemble bewege sich "in metiersicherer Trash-Lust durch sämtliche Formate vom Stummfilm über 'King Kong' und Highschool-Schnulze bis zu Seifenoper und Sci-Fi." Das sei "zwar alles äußerst kurzweilig und handwerklich komplett in Ordnung, aber eben auch auf eine Weise werktreu, die so sicher nicht intendiert war: Wir erleben halt viel Lärm um nichts."
"Frei ist der Regisseur, der den Stücktitel als Generalinszenierungsidee liest, wie Mayenburg es getan hat: Man darf alles auffahren und muss nichts aussagen", schreibt Ulrich Seidler in der Berliner Zeitung (2.9.2013). "Die ironische Schutzschicht über dem Nichts" sei "penibel aufgetragen, es sickert nichts ein, es gibt keine Risse, keine Abplatzungen. Wohlige Harmlosigkeit breitet sich im Saale aus, das gut gelaunte Publikum beklatscht die Karaoke-Gesangseinlagen und lärmt diesem wohlgestalteten Nichts von einem Theaterabend mit einem ordentlichen Schlussapplaus hinterher."
René Hamann schreibt im Berlin-Teil der taz (4.9.2013): "Am Ende kann man es nur so inszenieren. Als irgendwie typischen Berliner Trash-Klamauk mit viel Musik." Keine Screwball-Komödie, keine Seifenoper komme ohne die hier angelegte "Liebeskonstellation", die über "negative Fixierung" entsteht, aus. Im Vergleich zu Hollywood "verschleppt die Sprache aber reichlich das Tempo" dieses "eher flachen Stücks". Mayenburgs Inszenierung versuche, "dem mit totaler Überzeichnung und ständig wechselnder Kostümierung beizukommen". Das gehe meist gut, und tue nur hier und da "in den Ohren weh". Das Publikum habe sich gern mitreißen lassen. Trotzdem blicke man Ende etwas ratlos: "Was will uns das Ganze sagen?"
"Bravourös und burlesk" inszeniere Marius von Mayenburg "Viel Lärm um nichts" als Stück im Stück im Stück. Und behielte dabei doch "formbewusst die Orientierung", schreibt Irene Bazinger in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (4.9.2013). Der Abend mache die Geschichte "klug, klar und witzig transparent". Die Figuren probierten immer wieder andere Posen aus. Kay Bartholomäus Schulze etwa imitiere kordial-kollegial Otto Sander, Robert Beyer Louis de Funès oder Nosferatu. Die Winkelzüge der Komödie würden "flott durchmessen", die Pointen säßen "passgenau" und ließen dem "amüsanten Ensemble" reichlich Raum für "hinreißende Schlager-Karaoke-Einlagen".
Mayenburg liegt Mounia Meiborg von der Süddeutschen Zeitung (5.9.2013) zufolge voll "im Trend" der "Musicalisierung des Sprechtheaters". Dabei gehe Sinnlichkeit vor Sinn: "Die Figuren singen (...) auch einfach so, damit es nicht so still ist." Dabei hätte es Mayenburg gar nicht nötig, Popmusik zu benutzen, "um handwerkliche Schwächen und inhaltliche Leere hinwegzuspülen": "Er hat den Text in eine klare, schöne Sprache übersetzt, in der die Wortgefechte witzig und leichtfüßig sind. Viele szenische Ideen funktionieren wunderbar". "Der Mensch, so Mayenburgs Lesart des Stoffes, ist ein Herdentier – er will nur das, was die anderen wollen. Für Mayenburgs Musikeinsatz gilt dasselbe. Wie nannte Shakespeare das Ganze? Viel Lärm um nichts."
"Was für ein dreister, geistreicher Saisonstart dieses klar in Hauptstadtführung gegangenen Theaters", jubelt Reinhard Wengierek in der Welt (10.9.2013). Mayenburg verwandle Shakespeares Komödie in "einen so opulent fantastischen wie viril überhitzten Sommernachtstraum" und stopfe "ihn übervoll mit saftiger Ironie und krachenden Zitaten der Popkultur". So entstehe "ein technisch, schauspielerisch wie sängerisch betörendes, von Nina Wetzel opulent-verspielt ausgestattetes Shakespeare-Musical."
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irgendwie hat man manchmal wirklich das Gefühl,nicht in der gleichen Veranstaltung gesessen zu haben:ich erlebte einen der schönsten schaubühnenabende seit Gedenken.ind alles was in ihren Ohren u ihren Augen anscheinend weh tat,war mir und vernehmbar auch dem Publikum Wohltat!eben weil das Komische,die absurd in die Überdeutlickeit gesteigerte Farce,den Kern des Stückes trifft und die Ebene darunter frei legt!und die großartigen Leistungen des Ensembles nicht zu würdigen(allen voran Eva Meckbach,Sebastian Schwarz und Robert Beyer(mit e im übrigen!!!))ist fast eine Schande! Von wegen Knallchargen!!!Es gab nämlich,und das unterschlagen sie dreist,auch für schauspielerische Glanzleistungen,Szenenapplaus!Eine Unverschämtheit,das in diesem Zusammenhang nicht zu erwähnen!
Ja,hier wird Komödie gespielt!und ja,richtig gut!!!ind im Gegensatz zu Eidinger's Verballhornung von Romeo und Julia,wird hier sehr wohl der Autor und der Kern des Stücked ernst genommen und gekonnt und in sehr eigener Handschrift rausgeschält.Wie gesagt:ein mehr als gelungener Auftakt und von ihnen,liebe Frau Peters, (...) in geradezu beschämender Weise irgendwie nicht verstanden!
Aber, man muss das auch nicht mögen. Doch etwas mehr Respekt wäre zu wünschen und den Rezensenten etwas mehr Tiefe. Ich möchte endlich einmal eine Rezension lesen, die um Aufklärung bemüht ist, die Hintergrundwissen und Deutungen vermittelt.
Frau Peter ist weit davon entfernt.
Ein Tip an die Nachtkritik, vielleicht lassen Sie den Rezensenten etwas mehr Zeit, um gut und richtig zu recherchieren.
Fazit für mich, ein gelungener Abend, an dem mich die Schauspieler überzeugten und vor allem die Gesamtdramaturgie, denn die war stimmig. Eine wunderbare Revue. Und die wird der Shakespearekomödie gerecht. Lassen wir das einfach zu. Wer mehr Tiefe erwartet, erlebte sie einen Abend später am BE. Da passiert nun wirklich nicht viel, aber Richard II war sehenswert.
Also, liebes Publikum, sei gelassen, genieße die Angebote und achtet mir die Schauspieler. Wer von einer Karaokeshow spricht, liegt daneben.
Genau so geht es mir übrigens mit dem Begriff "soziale Gerechtigkeit".
Respekt ! Lass dir Deine Sicht auf die Dinge nicht nehmen durch das, was die hier alle schreiben ! Du hast Recht ! Wenn das Stück das in dir ausgelöst hat, sehr gut ! So soll es sein. Du bist das Publikum ! Die anderen sind Schwätzer ( wie ich, leider ) jetzt gehe ich auch rein.
Gruß
(Liebe Inga, wir streichen nicht willkürlich sondern nur, wenn die Kommentare nicht in einer anschlussfähigen Form verfasst sind und statt Argumenten nur Ressentiment transportieren. Freundliche Grüsse aus der Redaktion, Esther Slevogt)
(Liebe Inga, seien Sie nicht böse, aber wenn Sie argumentfrei einfach nur schimpfen, finde ich das weder meinungsbildend noch sonst irgendwie weiterführend. Und das war im nicht freigeschalteten Kommentar aus meiner Sicht und der meines Kollegen Christian Rakow der Fall. Viele Grüsse aus der Redaktion, Esther Slevogt)
"BEATRICE: Fürsten und Grafen! Gewiß, ein fürstliches Bezeugen, ein gutgräfliches Erzählen, Graf Zuckerschloz, gewiß, ein süßer Kavalier. Oh, wäre ich doch ein Mann um seinetwillen oder hätte ich einen Freund, der ein Mann sein wollte um meinetwillen. Aber das Männertum ist zu Hofknicksen zerschmolzen, Tapferkeit zu Höflichkeitsfloskeln, und die Männer sind gänzlich in Zungen verwandelt, und was für saubere: derjenige ist nun so tapfer wie Herkules, der nichts tut als eine Lüge sagen und sie beschwören. Vor bloßem Wünschen kann ich kein Mann werden, so will ich als Frau sterben vor Grämen."
Gewiss ist es so nicht gewesen, aber die Idee zur Inszenierung von "Viel Lärm um Nichts" an der Schaubühne hätte an einem Tag geboren werden können, an dem wieder einmal durch die Medien geisterte, dass die Comedy-Show von Mario Barth ein ganzes Stadion füllte. Und das Team der Schaubühne sich fragte: Wer sind wir denn, wenn wir so etwas nicht auch können sollten? Und tatsächlich verlieren sich zumindest halbe Reihen Mario-Barth-Publikum in die Aufführungen, die auch dann noch partout in jedem Satz eine Pointe sehen wollen, als das Stück gegen Ende mit dem Affront gegen Hero – zumindest vorübergehend - ins Tragische und Depressive abdriftet (am 23.09.2013 zum Beispiel die Reihe 4 rechts).
Am vergangenen Sonnabend habe ich nach deutlich schwererem Kunstgenuss (Rheingold in der Deutschen Oper, der Nibelungen-Fluch liegt noch jetzt im Magen) zum Herunter-Kommen noch einmal die Glotze angeschaltet. Im WDR gab es eine Sendung zum 25 jährigen Jubiläum der Mitternachtsspitzen und Bettina Böttinger warf die Frage auf, warum sowenig Frauen als Kabarettisten und Comediens unterwegs seien. Sinngemäß antwortete Jürgen Becker, weil wesentlich weniger Frauen als Männer bereit wären, sich zum Affen zu machen.
Bei "Viel Lärm um Nichts" machen sich ausnahmslos alle Männer direkt (= Affenkostüm) oder indirekt zum Affen (vor einem Hintergrund von Filmsequenzen, die aus dem Planet der Affen stammen könnten), was auch eine bewundernswerte Leistung ist, während die beiden Frauen sich als begehrenswerte Geschöpfe ihre Würde nicht nehmen lassen.
Es ist empfehlenswert, den Shakespeare-Text zu kennen, bevor man die Vorstellung besucht, wenngleich eine Play-List der gebotenen Gesangsstücke und eine Erläuterung der Anleihen bei der mit gebotenen Bilderflut zumindest gleichermaßen hilfreich wäre.
Die Vorstellung beginnt furios, eine sprachliche oder darstellerische Pointe jagt die nächste, wobei sich zwischen Songs und Slapsticks viel vom Shakespeare-Text wiederfindet. Warum von Mayenburg in der 2. Hälfte auf die dumben Gerichtsdiener Holzapfel und Schlehwein verzichtet, die als Knallchargen für ein pausenlosesWitze-Feuerwerk gesorgt hätten, bleibt sein Geheimnis. Stattdessen wollte er wohl etwas abrupt auf das im Programm von Norbert Greiner angesprochene "tragische Potential" hinweisen, wo "hinter der Heitrkeit und dem leichten Spiel dauerhafte Bedrohungen durchscheinen", "die auch durch ein Happy-End nicht völlig ausgeräumt werden". (...)
Denn Fakt ist ja, dass wir uns alle mal zum Affen machen können und vielleicht auch müssen, gerade wenn es um wichtige politische Themen geht. Dazu fiel mir vor Kurzem übrigens ein Wahlplakat ins Auge, nämlich das von Gerhard Seyfried gestaltete Erstimmen-Plakat von Ströbele. Wer den Affen in sich nicht erkennt, der kann auch nicht menschlich handeln. "Kein Tier kann ein Snob sein", Zitat von Alexandre Kojève.
Hallo Inga,
Sie sind ja pausenlos auf nachtkritik unterwegs. Und immer politisch gestimmt. Na ja, ob das bei "Viel Lärm um Nichts"" die passende Haltung ist? Ich für mich habe da anders entschieden. (Waren Sie überhaupt in der Vorstellung ?)
Immerhin eint uns bei diesem eher flachen Fast-Boulevard-Stück, dass wir beide – sicher zu unserem eigenen Besten – von der Redaktion zensiert wurden. Vielleicht war aber auch nur mein Text zu lang. Dabei hatte ich den Schluss meines mit Freude verfassten Kommentars eigentlich als gute Pointe im Rahmen des gebotenen Anstands gedacht. Aber vielleicht sollten Männer künftig in die Vorstellung nur mit einer Augenbinde eingelassen werden, damit sie nicht der Versuchung des Voyeurismus verfallen. Immerhin produziert Eva Meckbach auch mit "Teach me, tiger" nur angestrengte Illusionen. Vielen Dank an Anne Peter für die zumindest partielle Playlist, sie fand "Teach me, tiger" "schlichtweg zum Niederknien": nur so dezent dürfen Anspielungen bei nachtkritik sein. Eva Meckbach bedient die Illusionsmaschine wahrscheinlich mit ebensolcher Überwindung wie männliche Kollegen mit sichtlicher Anstrengung ihren Pimmel als Mittel zur Ausdrucksverstärkung meinen einsetzen zu müssen. (Die Latrine onanierender Figurenzertrümmerer, bei der Sie, Inga, an anderer Stelle nachhakten, war natürlich eine – immerhin unzensierte – plakative Zuspitzung.)
Die anmachende Beatrice und die verruchte Hero "im paillettigen Meerjungfrauendress mit Muschel-Bustier" (so etwas können nur Frauen wie Anne Peter) haben nichts mit Shakespeare zu tun, sie sind Zutaten von Mayenburgs. Man bedenke zudem, dass zu Shakespeares Zeiten auch die Frauenrollen von männlichen Schauspielern gegeben wurden.
Allerdings geht es bei Shakespeare und bei von Mayenburg um Männlichkeit. Sie, Inga, haben unter Nummer 16 schon ein Schlüsselzitat herausgesucht. Der Anlass war, dass keiner Manns genug ist, den Hero diffamierenden Claudio zu töten. Aber gleich zu Beginn verhöhnt Beatrice Benedikt ob seiner fehlenden Männlichkeit, im Felde’: "I pray you, how many hath he killed and eaten in these wars? But how many hath he killed? for indeed I promised to eat all of his killing."
Männer haben in den letzten Jahrzehnten geglaubt, dass sich Frauen von Ihnen mehr Emotionalität, mehr Wärme, ja 'Weiblichkeit' wünschen. Nun stehen Sie da, weich und einfühlsam, und es wird Ihnen fehlende Männlichkeit, ja mehr noch, fehlende Kampfeslust und Tötungsenergie vorgeworfen. Das geht mir zu weit. Wenn mehr Männlichkeit angesagt ist, erlaube ich mir, sie dort anzusiedeln, wo üppige Brüste über Push-ups quellen, wo sich schöne Beine und knackige Hintern in hautenge Jeans zwängen und wo Frauen, mit den Fingern auf den Auslauf ihrer Beine weisend, hauchen: "Take my lips, they belong to you." Da möchte ich anmelden, dass das keine Signale fürs Weltall und keine Platzreservierungen für blöde Top-Model-Zicken-Wettbewerbe sind, sondern Signale für Männer. Männer folgt den Signalen!
Übrigens war die für mich politischste Einlassung in von Mayenburgs Inszenierung der Anfangshit "Everybody knows" von Leonard Cohen (nochmals Dank an Anne Peter).
Komplette Kritik: stagescreen.wordpress.com/2013/11/04/touch-me-tiger/