Normalverdiener - Leopold von Verschuer inszeniert in Bamberg die Uraufführung des Stücks von Kathrin Röggla
Liegen, lügen
von Christian Muggenthaler
Bamberg, 8. Oktober 2017. Führt der Mensch eigentlich noch ein eigenständiges Leben, oder hat er nurmehr, wie es in Kathrin Rögglas Stück "Normalverdiener" so schön heißt, eine "Erwerbsbiografie"? Nach der Sichtung der Uraufführung dieses Texts am E.T.A. Hoffmann-Theater in Bamberg verdichtet sich der Eindruck: Die Durchökonomisierung der Lebenswelt und die scheinbar allesverschlingende Macht des Marktes macht vor keinem halt, macht den Menschen in einer manisch wertsteigerungsgesteuerten Umgebung automatisch zum Erzeuger des eigenen Unglücks. Weil er diesen Abläufen, obwohl er das ja eigentlich ohne weiteres könnte, keinen Einhalt gebietet. Es fällt ja doch hier und da vielleicht ein Tröpfchen Wohlstand ab. Das ist der Trick.
Weshalb das halbe Dutzend Leute, das in einer Art Chor des Mittelstands von der eigenen windschnittigen Zurichtung samt Verletzungen berichtet, immer nur in den Konjunktiv flüchtet, wenn es gälte, nicht zuzuschauen und mitzumachen, sondern den Dingen Einhalt zu gebieten. "Hätten, hätten, hätten…", heißt es refrainhaft in der Dauersuada der sechs nicht selten egomanisch aneinander Vorbeiredenden. Sie hätten Flüchtende retten können, die vor den Küsten ihrer Urlaubsinsel trieben, hätten Widerworte haben, Widerhaken setzen können, hätten Sand sein können im Getriebe der Welt. Jedoch: hätte, hätte, Fahrradkette. Am Schluss legen sie sich allesamt auf bereit stehende Seziertische und lassen sich vom Geist des Kapitalismus brav mit Leichentüchern bedecken.
Normalverdiener in Urlaubistan
Denn sie sind alle: Leichen auf Urlaub. In ein Wellness-Urlaubsparadies auf einer ungenannten südostasiatischen Insel reist das Grüppchen – Architekt, Arzt, Agenturleiterin, Normalverdiener halt – das sich wohl von früher kennt, gerät dabei aber statt in ein Traumparadies in ein Land chronischer Rätselhaftigkeit. Zwei der Hauptfiguren sind gar nicht da, aber es wird ausgiebig von ihnen gesprochen: erstens ein gewisser Felsch, dem dieses Urlaubistan gehört, der alle eingeladen hat und dem nachzustreben alle gewillt sind. Er hat viel, nur keine Gestalt. Ein Prototyp des Gewinners, dem man sich eigentlich entgegenzustellen – jawohl: hätte. Und zweitens ein gewisser Johannes, der just das gemacht hat und daraufhin für immer von der Bildfläche verschwunden ist. Loser-Opposition.
Gewandet ist dies Volk in Schwimmzeug und weißen Bademänteln, von hinten beleuchtet durch Licht- und Signalwände, die der Szenerie farbliche Untermalung geben. Zu Beginn entspannen sie sich in Rückenlage auf jenen Liegen, die zuletzt zu besagten Seziertischen mutieren. Das hätte dann auch der Spannungsbogen sein können: liegen, lügen, liegen – wenn denn die Inszenierung irgend so etwas wie Spannung aufbauen hätte können. Eine solche bekommt Regisseur Leopold von Verschuer in die ganze literarische Textlast jedoch nicht hinein.
Der Markt als Gottheit
Von Verschuer hat auch das Hörspiel eingerichtet, auf dem das Stück basiert, und vielleicht ist genau das das Problem: weil in Bamberg der Text letztlich ein Hörspiel geblieben ist. Immer wieder fehlt auffällig darstellerische Dynamik – zwar ist das Bemühen erkennbar, Bewegung und Bilder in das Konvolut zu bekommen, aber daraus gerinnt nur die Dramatik des Halma-Kiebitzens bei Tante Susanne: Es entsteht der Eindruck spätsonntäglicher Drögigkeit. Weshalb der Text in seiner ihm innewohnenden Kunstfertigkeit allgemach verschmurgelt und nicht zum Punkt kommt. Es wird ausgesprochen viel angesprochen, aber auch ausgesprochen wenig dargestellt. Problemfelder, die brachliegen.
Stattdessen eine der Hauptideen der Regie: In die Textpassagen hinein geistert regelmäßig eine Art balinesische Gottheit (Daniel Seniuk), die für die Angestellten des herrlichen Herrn Felsch genauso steht wie für den Geist des Kapitalismus. Diese Götterzauberfigur voll zunehmend nervtötender Bedeutungshuberei bekommt immer mehr die Anmutung des heimlichen Regisseurs des Bühnengeschehens, weil sie halt – auch – Märktemagier ist. Schon klar. Anstrengend. Schaut abenteuerlich aus, nutzt sich aber ebenso abenteuerlich schnell ab. Zuletzt nimmt der Gott seine Maske ab und sagt irgendwelche bedeutsamen Dinge. Zu viele. Vergessen welche.
Normalverdiener
von Kathrin Röggla
Regie: Leopold von Verschuer, Bühne und Kostüme: Sonja Füsti, Dramaturgie: Olivier Garofalo.
Mit: Florian Walter, Iris Hochberger, Ronja Losert, Eckhart Neuberg, Bertram Maxim Gärtner, Eric Wehlan, Daniel Seniuk.
Dauer: 1 Sunde 30 Minuten, keine Pause
www.theater.bamberg.de
"Kathrin Röggla skizziert in ihrem Stück 'Normalverdiener' die Auswirkungen der westlichen Ökonomisierung auf unsere Lebensverhältnisse", gibt Carlo Schindhelm auf BR online (9.10.2017) zu Protokoll. "Die Szenen wirken unheimlich, manchmal komisch – vor allem aber spürt der Zuschauer die Ohnmacht der Figuren mit ihrem ständigen: 'Man hätte vielleicht.' Und am Ende bleibt es dann doch bei einem: 'Kopf einziehen und durch!'".
"Normalverdiener" ist "ein Geisterstück, das mehr Fragen kennt, als es Antworten zu geben bereit ist, und, typisch Röggla, konsequent im Konjunktiv geschrieben ist", berichtet Florian Welle für die Deutsche Bühne (online 10.10.2017). Die Inszenierung sei geprägt "von größtmöglicher Souveränität. Sparsame Personenführung, schlichte Einheitsbühne, gedimmte Beleuchtung, Lounge-Musik. Hier geht alles stimmig Hand in Hand, um das unheimliche Stück in Szene zu setzen."
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