Generaltanz den Erzschiller - Bei den Mannheimer Schillertagen fordert Jonathan Meese mal wieder die Diktatur der Kunst
Keinparteienstaat mit Mutti
von Dennis Baranski
Mannheim, 26. Juni 2013. Wer Jonathan Meese mit einer Auftragsarbeit bedenkt, der weiß, was er bekommt und was er hernach zu verantworten hat. Seit rund anderthalb Jahrzehntenten sind das die immer gleichen Versatzstücke, die immer gleichen Gesten, die immer gleichen Provokationen. Wenn der Bürgerschreck mit "Generaltanz den Erzschiller" bei den Mannheimer Schillertagen auf der Schauspielhausbühne nicht schockierte, dann deshalb, weil sein teuerster Trumpf längst verspielt ist: das Überraschungsmoment.
Diktatur der Kunst und bedient sich dafür reichlich – und nicht minder vorhersehbar – anstößiger Nazisymbolik. Ständig und ohne Unterlass hebt Meese in einer weitgehend konzeptlosen Strammstehen-und-Marschieren-Choreographie den Arm zum Hitler-Gruß, das erste Hakenkreuz findet sich nach knapp zwanzig Minuten auf eine Alien-Gummipuppe gekritzelt, von Anfang an schilt er ungestört die "Furz-Pups-Demokratie".
Als Teil von jener Kraft, die stets das Gute will und stets das Blöde schafft, proklamiert er, wie gewohnt durch betont vernachlässigte Trimm-Dich-Sportjacken-Robe zum armen Irren stilisiert, erwartungsgemäß seineMutti, Hitler, Schiller – alle cool
Zwischen allerlei Gerümpel – Gummihähnchen und -würsten, Spielzeug und einem mit Meese-Collagen verzierten Pult – veitstanzt und brüllt der pickelhaubenbewehrte Prediger seine altbekannten Propagandafloskeln schäumend vor Mitteilungswut in das ausverkaufte Haus und prophezeit: 2023 sei die Erde vollkommen demokratiebefreit.
Dazu quält Meese das Publikum mit seiner Lieblingsmusik in Endlosschleife. Zehnmal wird "You" von Boytronic wiederholt, ebenso oft ist "Daddy cool" von Boney M. zu hören, wobei sich letzteres als dankbare Folie für live eingeblökte Textvariationen erweist. Nicht allein Daddy, vor allem Mutti ist hier cool, Hitler sowieso, Schiller wird die Ehre daseinsberechtigend zuteil.
Achse Berlin-Bayreuth
Und natürlich Richard Wagner. Immer wieder Wagner. 2016 inszeniert Meese auf dem Bayreuther grünen Hügel "Parsifal" und es scheint, als entfalte das Engagement zusätzlich identitätsstiftende Kräfte. Von der "Achse Berlin-Bayreuth“ ist da die Rede, zum "Zentrum der Macht" seines Regimes erklärt er die oberfränkische Stadt sogar. Das durchaus Medien-affine Haus Wagner schenkte dem Kultur-Punk seinen größten Triumph und darf sich im Gegenzug über einen monströs motivierten Botschafter freuen.
Während aber Punks lange vor Meese unter Verwendung frappierend ähnlicher Ästhetik mit der Anarchistischen Pogo-Partei Deutschlands (APPD) als verfassungskonformem Organ noch "die totale Rückverdummung der Menschheit" oder "Arbeitslosigkeit bei vollem Lohnausgleich" forderten, gehen dessen Provokationen weit über demokratische Schmerzgrenzen hinaus. Ihm sei Hitler nicht konsequent genug gewesen, seine "Diktatur der Kunst" solle ausnahmslos alle Parteien "wegwischen", Deutschland sich als "Keinparteienstaat ausbreiten".
Unter so viel Totalitarismus wendet sich das Publikum in Mannheim kopfschüttelnd ab – am Ende ist der Saal zu drei Vierteln leer. Schreiend davonlaufen muss auch hier niemand mehr. Und doch birgt gerade diese zermürbende Redundanz einen im höchsten Maße bedenklichen Effekt: Wenn die inflationäre Verwendung nationalsozialistischer Symbolik und des einschlägigen Vokabulars zu Gleichgültigkeit führt, droht die durch das Festival-Motto aufgerufene kritische Masse zu scheitern. Mundtot gequatscht von der Kunstfigur Jonathan Meese, der ausgestellten Kuriosität, die beschützt hoch oben in ihrem goldenen Käfig auf einer seltenen Sonnenseite des Kulturbetriebs prominent baumelt.
Generaltanz den Erzschiller (Guido Quiller ist der totalste Don Gin Schiller, balletiert Euch, wie Schnurrl' – Nonninei, es bruzzelts: Dr. Schillerz) (Schiller Mi On. s. v. p.)
Theaterperformance von und mit Jonathan Meese
Dauer: 2 Stunden, 45 Minuten, durchgehender Einlass
www.schillertage.de
"Nein, ein Skandal war das nicht", konstatieren Stefan M. Dettlinger und Ralf-Carl Langhals vom Mannheimer Morgen (28.6.2013). Zu Schiller habe Meese "wenig zu sagen, seine Bayreuth-Werbung in Sachen Wagner geht vor", eine "Auseinandersetzung mit Inhalten" sei "nicht zu vernehmen". Die in Mannheim zusammenströmende Bildende-Kunst-Welt schaue allerdings anders auf diesen "Nonsensmessias" als die "textaffine Theaterwelt". "Bilderreichtum, Gesamtkunstwerk, performatives Erlebnis und Dada-Tradition wecken andere Erwartungshorizonte als Schiller-Exegese." Nur wenigen sei es allerdings gelungen, das "Crossoverprojekt" wirklich "lustig" zu finden – "zu sehr drückt Erznervensäge Meese auf die Redundanztube seiner Kunstdiktaturdauerschleife". "Anfänglichem Erwartungsdrang, es könnte ja noch etwas kommen, folgt immer größere Langeweile." "Nicht Meese, sondern der Umgang mit ihm" sei hier "der Skandal. Was bleibt zu sagen? Entmeeseiert euch endlich - und: Der Kaiser ist nackt!"
Franz Schneider von der Rhein-Neckar-Zeitung (28.6.2013) möchte anmerken, "dass Meeses drastisch spektakulären Sätze und Gedanken nicht so ganz originell sind und sehr wohl ihre Geschichte haben". Origineller sei "Meese selbst, wie er sich inszeniert in immer weiteren Wiederholungen, bis sich jeder Sinn in schleifenartiger Dauerwiederholung entleert". Der Künstler Meese brülle sich im "Generaltanz" "Mut an, Mut für Bayreuth."
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(ach ja, Messe wurde "liebevollst" eingeladen!)
Jeder, der sich mit "Meese" befasst und seine "Performances" kennt, der konnte sich doch denken, dass "Meese" mit
Sicherheit nicht artig "Schiller-Gedichte" aufsagen wird, nur weil er im Rahmen der "Mannheimer-Schiller-Tage" engagiert wurde, für einen Abend!
Und es geht auch um die Freiheit der Kunst und der "Unfreiheit" des Künstlers in seinen existenziellen Bedingungen . . .
„Und jedes Wort, das er redet, wandelt die Welt, worin er sich bewegt, wandelt ihn selbst und seinen Ort in dieser Welt. Darum ist nichts gleichgültig an der Sprache, und nichts so wesentlich wie die facon de parlet*. Der Verderb der Sprache ist der Verderb des Menschen. Seien wir auf der Hut! Worte und Sätze können ebensowohl Gärten wie Kerker sein, in die wir, redend, uns selbst einsperren, und die Bestimmung, Sprache sei allein die Gabe des Menschen oder eine menschliche Gabe, bietet keine Sicherheit. Denn der Begriff des Menschen schließt die Möglichkeit (und Wirklichkeit) des Unmenschen in sich; im anderen Falle ist er ein unzulänglicher Begriff, und eben daran können und müssen wir ihn prüfen, da wir das Unmenschliche kennen.“
Dolf Sternberger
(Erläuterung des Zitierers, *facon, unter dem c hängt ein Komma;
facon de parler, wörtlich: Weise von reden)
„Aus dem Wörterbuch des Unmenschen“ Sternberger; Storz; Süskind
Nachbemerkung 2011
Oder „Die Diktatur der Kunst“ (Meese) ist eine Diktatur! Der Glaube daran, das Kunst Gut ist, wird von Meese propagandistisch mißbraucht und dient persönlichen Egoismen. Der Herr Jonathan Meese will unser aller, einziger und einzige Künstler sein. Zu seinem von der Gesellschaft gefordertes Pantheon für ihn allein soll ein Bunker kommen für ihn allein in dem er sicher leben kann vor der Kritik. Kritik an dieser Kunstauffassung, wo gibt es diese, wenn diese nicht ein jeder selbst formuliert? Frauen und Männer der Kunst ihr seid gefährdet in eurer trunkenen Begeisterung des Ressentiment, im gesellschaftlichen - politischen Hintergrundrauschen das zunehmend lauter wird geht es um einen neuen Faschismus der sich anders nennt oder um dessen Verhinderung.
Im Kern besteht Faschismus in der Entscheidung: dieser Mensch darf Leben und dieser Mensch darf Getötet werden.
Aber der Mensch will Leben, soll Leben und muß Leben!
Wieczorek, KUNSTdemokratie 2012