Viel Lärm um nichts – Thorleifur Örn Arnarssons turbulenter Shakespeare bei den Klosterspielen Wettingen
Ein Sommerspiel aus Liebe uns Finsternis
von Elisabeth Maier
Wettingen, 8. Juli 2014. Züchtig getrennt sollen Männer und Frauen auf den feuerroten Kirchenbänken im Hof des Klosters Stella Maris in Wettingen sitzen. "Das ist kein Witz", raunt der Schauspieler Martin Vischer mit strengem Blick, "das war Kirchengesetz im Kanton Aargau". Und die Zuschauer, wegen des Regens in Plastikpelerinen gehüllt, gehorchen ihm brav und wechseln die Plätze.
Amouröse Delirien
Auf allen Ebenen tobt in Thorleifur Örn Arnarssons turbulenter Inszenierung von Shakespeares Komödie "Viel Lärm um nichts" der Geschlechterkonflikt. Intrigen des Prinzen Don Pedro führen für zwei Paare fast zum tragischen Ende. Anna Rún Tryggvadóttir hat in der mittelalterlichen Kulisse einen faszinierenden Raum geschaffen, der Sinnlichkeit ausstrahlt. Schon das macht die Klosterspiele vor den Toren von Zürich zum Erlebnis.
Bis das streitbare Liebespaar Beatrice und Benedikt das Kriegsbeil begraben darf, schöpfen der Isländer und sein Ensemble aus dem Vollen der Sprachakrobatik. Mit den wunderbaren Wortspielen des Engländers, dessen Geburtstag sich 2014 zum 450. Mal jährte, jonglieren die Akteure. "Danke, lieber Gott, dass Du mir keinen Mann mit Bart ins Bett legst", sagt Beatrice, die selbst ihren Schnauzbart pflegt und ihr Kinn rasiert. "Einen Mann ohne Bart" wünscht sie sich gar als Zimmermädchen.
Sarah Viktoria Frick legt die Rolle des schlagfertigen Mannweibs vielschichtig an. Dass sich hinter der rauen Fassade eine schwache Frau verbirgt, die nach Liebe giert, offenbart ihre feinfühlige Mimik. Sie ist gefangen im eigenen Geschlecht. Benedikt, der sich selbst einen "Frauenhasser" nennt, macht das dominante Fräulein beim Maskenfest zur Puppe, die sie wie ein Bauchredner führt. Martin Vischer lässt sich lustvoll auf dieses amouröse Delirium ein. Zugleich liest er klug zwischen den Zeilen. Hinter dem Hochzeitsglück wittert Benedikt schon die "häusliche Gewalt".
Starkes Frauenbild
In seiner ebenso radikalen wie intelligenten Strichfassung konzentriert sich Arnarsson, der ab September Hausregisseur am Staatstheater Wiesbaden wird, auf die ungestümen Gefechte der Paare. Shakespeares poetische Melodie interessiert ihn dabei weniger als die Doppelbödigkeit des Textes, der tragische und komische Momente so reizvoll verflicht. Zu flapsig, sprachlich aber jedenfalls zeitgemäß und modern, ist die Übersetzung von Angela Schanelec.
Lustvoll kostet der Regisseur aktuelle Bezüge aus. Um zu verorten, dass das Stück vor dem Hintergrund eines Krieges spielt, lässt er Christian Beppo Peters in der Rolle des Leonato gegenwärtiges politisches Geschehen skizzieren. Und er darf Witze reißen. Sogar das Spiel des deutschen Fußball-Nationalteams gegen Brasilien, das zeitgleich am Premierenabend stattfand, spart der glänzende Komödiant da nicht aus. Als Vater von Hero will er sein einziges Kind an Don Pedro verschachern. Nadia Migdal macht selbst im knallroten Tütü keine lächerliche Figur. Shakespeares massive Kritik an Geschlechterrollen greift sie auf und entwirft ein starkes Frauenbild. Zugleich zeigt sie die Verletzlichkeit ihrer Figur.
Bestechende Tiefenschärfe
Selbst der Regen bremst die Spielfreude der Schauspieler nicht. Im Klosterbrunnen geht Robert Rozic als Graf Claudio mit einer atemberaubenden Taucheinlage sogar ins Wasser. Den Seiltanz zwischen tragischen und komischen Momenten meistert er stark. Das gilt auch für André Meyer als intriganten Don Pedro. Als verantwortungsloser Herrscher stürzt er seine Mitmenschen ins Unglück. Scharf konturiert Meyer die Figur als Herrscher mit machiavellischem Machttrieb. Ronja Oppelt als Zofe Margarete setzt komische Akzente.
Mit Rockmusik, Jazz, schrägen Akkordeonklängen und einem zauberhaften Kinderchor sorgt Gabriel Cazes in den Klostermauern ebenso für Sommertheater-Spaß wie die schrillen Kostüme Susanne Boners. Sie geizt nicht mit Strapsen, Stehkrägen und sperrigen Röcken – dabei greift sie manchmal zu tief in die Trash-Kiste. Trotz seiner Fröhlichkeit besticht der Abend vor allem durch Tiefenschärfe. Dem bilderstarken Regisseur Arnarsson gelingt das Kunststück, Shakespeares bedeutende philosophische Einsichten zu Liebe und Macht in eine Inszenierung voll komischer Situationen und melancholischer Augenblicke zu verpacken.
Viel Lärm um nichts
von William Shakespeare
Übersetzt von Angela Schanelec
Inszenierung: Thorleifur Örn Arnarsson, Bühne: Anna Rún Tryggvadóttir, Kostüme: Susanne Boner, Dramaturgie: Ulf Frötzschner, Media: Simon Birgisson, Musik: Gabriel Cazes.
Mit: André Meyer, Martin Vischer, Robert Rozic, Nadia Migdal, Christian Beppo Peters, Sarah Viktoria Frick/Uta Köbernick, Ronja Oppelt.
Dauer: 2 Stunden 20 Minuten
www.wettingen.ch
Der Regisseur überzeichne, statte "das Stück mit Anspielungen auf die Gegenwart aus, ohne diesem die edle Sprache zu nehmen", reflektiere "mit Leichtigkeit über das Theater, das Sich-Verkleiden, Travestie, die Rolle der Frau" und lasse "die Darsteller unter die Gürtellinie gehen, ohne brachial zu werden", schreibt Katja Baigger in der Neuen Zürcher Zeitung (9.7.2014) nach Ansicht der Vorpremiere (!).
Christian Berzins möchte in der Aargauer Zeitung (10.7.2014) einfach nur "losjubeln": Dieser Shakespeare-Abend sei "so wild, böse, frech, lustig, deftig, übertrieben, poetisch, erotisch – ja, schlicht grossartig geworden, dass man all das gar nicht laut genug in die Theaterschweiz hinausrufen kann". Im Klosterhof Wettingen laufe es einem bei dieser "famosen Theaterparty" "vor der gezeigten grauslichen Menschlichkeit heiss und kalt den Rücken hinunter". Es geschähen "Dinge, die alle Klischees des modernen Theaters vereinen", aber man müsse darüber "hingerissen staunen". Arnarsson verleibe sich das Stück "mit Haut und Haar ein" und spucke es "neunzehn Loopings drehend, wieder aus". Dabei fege er "grosszügig über Szenen hin, fusioniert Personen und lässt zwischenzeitlich doch die Verse in all ihrer Schönheit zelebrieren". "Trotz Brechungen scheint Arnarsson nichts mehr zu lieben als seine Schauspieler. Kein Wunder: Das Wettinger Ensemble ist umwerfend, jeder brennt vor Spiellust – ob mit oder ohne Worte."
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