Wie ich im Porsche die Theaterwelt rette

13. Oktober 2024. Für Autofahrer ein Genuss, für alle, die noch einmal den Wiener Burgtheaterskandal von vor zehn Jahren nachvollziehen wollen auch: Regisseur, Ex-Burgdirektor und derzeitiger Red Bull Media House-Kreativdirektor Matthias Hartmann hat ein Buch vorgelegt. Alle kriegen darin ihr Fett weg. Auch nachtkritik.de.

Von Martin Thomas Pesl

13. Oktober 2024. Unglaublich, sie ist jetzt schon mehr als zehn Jahre her, die "fucking Geschichte mit der Burg", wie Matthias Hartmann sie in einer Kapitelüberschrift nennt. 2014 wurde er von seinem Posten als Direktor des Wiener Burgtheaters im Zuge eines Finanzskandals fristlos entlassen. Dass er dabei Opfer einer Intrige geworden sei, weil er die schon lange vor seinem Antritt herrschenden Missstände am Haus aufgedeckt habe, betonte Hartmann schon damals. Juristisch bekam er 2018 recht, er wurde entlastet, bei seiner eigenen Klage gegen die Entlassung wurde ein Vergleich erzielt.

Ein kleiner Versuch, das Theater zu retten

Während am Burgtheater gerade Hartmanns Nachnachnachfolger Stefan Bachmann sein Amt antritt, bringt der nunmehrige Creative Director im Red Bull Media House ein Buch heraus. Es trägt den nicht gerade bescheidenen Titel "Warum eine Pistole auf der Bühne nicht schießt. Ein kleiner Versuch, das Theater zu retten". Die Rettung ebenso wie die im Titelhauptteil angekündigte Erklärung des Theaters vermengt der 1963 in Osnabrück geborene Autor mit biografischen Anekdoten, die teilweise in surrealen Kurzgeschichten aufgehen, etwa wie er beim langweiligen Diskursgeschwafel eines Dramaturgen einschläft und so unglücklich auf den Boden stürzt, dass ihm ein Knochen aus der Brust ragt.

Die Chronologie der Ereignisse wirbelt er dabei nach Belieben durcheinander, sodass es lohnt, sich in Erinnerung zu rufen, dass er in Kiel, Mainz, Wiesbaden, Wien und München als freier Regisseur tätig war, 2000 bis 2005 das Schauspielhaus Bochum und danach jenes in Zürich leitete, bis er 2009 – sein großes Ziel – an der Spitze der Burg landete. Was dort abging, dazu präsentiert er im vorletzten selbst verfassten Kapitel nochmals seine Sicht, bevor er ein neues Subventionierungsmodell und zehn Punkte zur Rettung des Theaters darlegt. Im Anhang lässt er schließlich einen Investigativjournalisten aus Medienberichten der damaligen Zeit zusammenfassen, warum Hartmann der Gute war und die anderen böse.

Wer nun meint, das könne ja wohl nicht Hartmanns Ernst sein, hat im Zuge der letzten zehn Jahre vergessen, mit wem wir es zu tun haben. Der Autor erinnert uns selbst daran: mit einem, der Erfolg in Automarken misst. Kaum einen Intendanten oder Politiker erwähnt er, ohne hinzuzufügen, was er fährt: einen Saab oder einen Porsche. Blöd, wenn man, wie der Verfasser dieser Zeilen, nicht versteht, was das bedeutet – so wie damals die Theaterkritiker:innen nicht überrissen, was er ihnen über gefälschte Bilanzen erzählte.

Das Paralleluniversum implodiert

Wundern wird das Hartmann allerdings auch nicht, denn vom Feuilleton, der Kritik und insbesondere dem vorliegenden Medium hält er sowieso nichts. Das folgende Zitat steht an dieser Stelle am besten unkommentiert: "Das Ganze heißt jetzt Nachtkritik und ist eine Website, die der Resonanzraum über Bedeutung und Nicht-Bedeutung des Theaters sein soll. Das Publikum liest sie nicht. Den Kulturpolitikern hilft es nicht bei ihren Zwecken, die Nachtkritik hat zu wenig Öffentlichkeit. Das Theater und die Nachtkritik haben sich in ein Paralleluniversum verabschiedet. Zwar werden auch dort Hitlisten erstellt, es wird aber naturgemäß schwerer, Krypto-Bedeutung zu schürfen. Das Paralleluniversum implodiert."

Ich habe mich gefreut: auf mein großes, tolles neues Leben, auf meinen Erfolg und auf genug Geld für ein schönes Auto.

Matthias Hartmann

Hätte der durchaus schmissige Text nicht die Note des beleidigten Besserwissers, des alten, weißen Mannes, den seine Freunde darin bestätigt haben, die Rants beim Rotwein in der Salzburger Villa (auch über #MeToo, ein Gebiet, zu dem er nach einem offenen Brief seines Ex-Ensembles an der Burg wahrlich besser schwiege) doch mal aufzuschreiben, man könnte sich an seiner Originalität erfrischen. Man nähme den berechtigten Kern seiner Kritik ernster, dass nämlich die Kunst das Publikum zunehmend aus den Augen verliert. Und man wüsste auch Hartmanns Ehrlichkeit besser zu schätzen: Er beschreibt sich als einer, der als Regieassistent ins Theater rutschte, ohne zu wissen, was ein Assistent tut, und der auch später nicht erklären konnte, warum er diese oder jene Regieanweisung erteilte. Andere mögen sich Zeit ihres Lebens vom Hochstapler-Syndrom verfolgt fühlen, ausgerechnet ihm war dieses Leiden sichtlich fremd.

Hochstapler ohne Syndrom

"Die rituellen Prüfungen sind Bescheidenheit und Demut", schreibt Hartmann. "Nicht, wie ich, im schicken Cabrio, stolz, eitel und gar noch trotzig auf dem Parcours des Erfolges Powerslides performen. Außerdem wird ein gesellschaftspolitisches Anliegen geprüft, welches künstlerisch erlitten werden muss. Das alles habe ich ignoriert. Ich habe mich gefreut: auf mein großes, tolles neues Leben, auf meinen Erfolg und auf genug Geld für ein schönes Auto."

Das hatte er sich verdient, mit sensationellen Verkaufszahlen an den von ihm geleiteten Häusern. Der Vorschlag des bekennenden Nicht-Künstlers (der ironischerweise just mit einem gesellschaftlich wertvollen Zeitzeugenprojekt im Jahr seiner Entlassung zum von ihm verpönten Theatertreffen eingeladen wurde) lautet dann auch, man solle einen Teil der Subventionen an die Einspielergebnisse knüpfen. Wer mehr zahlendes Publikum hat, soll auch mehr Geld vom Staat kriegen, um dieses in weniger populäre Kunst investieren zu können. Aber würden dadurch die Einnahmen und somit auch die Förderung nicht wieder sinken? Ach. Der autolose Kritiker hat wahrscheinlich wieder nichts verstanden.

 

Warum eine Pistole auf der Bühne nicht schießt. Ein kleiner Versuch, das Theater zu retten
von Matthias Hartmann
Verlag EcoWing, 192 Seiten, 26 Euro

www.beneventopublishing.com

Kommentare  
Buchkritik Matthias Hartmann: Von furioser Fantasie
Wer wie der Autor MH tatsächlich nur aus Wien kennt, kann wohl nur so hämen. Obwohl: wer vor den Gerichten derart viel Recht bekommen hat nach dem – sagen die Gerichte – ungerechtfertigten Rauswurf, der hatte vielleicht ja auch recht. Und der Alarmbrief des Ensembles (dessen Autorinnen und Autoren ich recht gut kenne) war letztlich ja eine Warnung vor und an Martin Kusej ... Es kann gut sein, dass ich der letzte bin und bleiben werde, der den frühen MH immer gegen den alten verteidigen wird; auch ihn selber gegen sich selbst und die eigene Hybris; was natürlich auch daran liegt, dass ich mal mit ihm gearbeitet habe, in Hannover (das auf Herrn Pesls Liste natürlich fehlt ...) – späterhin hat er dann auf gutgemeine Ratschläge von mir nie gehört. Er war und blieb lange ein Theatermann von furioser Phantasie, Autos hin oder; die haben mich nie interessiert. Und ich fand es immer extremst lächerlich, wie sich die Kritik sozusagen an Volvo, Porsche oder Jaguar festbiss. Dass er immer irgendwie der nächste Peymann werden wollte, hat ihm nur geschadet. Und vielleicht hätte er dieses Buch jetzt besser auch nicht geschrieben ... hoffentlich ist es wenigstens nicht so herzzerreissend lausig lektoriert wie das von Jürgen Flimm Anfang des Jahres.
Buchkritik Matthias Hartmann: Kopfschütteln
Doch, lieber M. Laages, das Buch ist leider mehr als lausig lektoriert, es ist ein Trauerspiel.
Ansonsten geht es mir zunächst wie Ihnen: Auch mir wollte es lange nicht gelingen, den Hartmann ganz und gar zu verdammen. Er ist ein seltsamer, auch in Teilen schwer auszuhaltender Charakter, aber eben auch ein brennender Theatermensch durch und durch.
Das Buch allerdings hätte er unbedingt lassen sollen (...) Ich habe mich leider kopfschüttelnd abgewendet.
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