Sein oder Nicht sein - Reiner Holzemers Dokumentarfilm über Lars Eidinger
Ego mit höherer Mission
24. März 2023. Damit ein Schauspieler-Dokumentarfilm es bis in die Kinos schafft, dafür braucht es schon einen von besonderem Format. Bei Lars Eidinger geht das. Der auf Film-Künstlerporträts spezialisierte Reiner Holzemer hat Eidinger neun Monate lang begleitet. "Sein oder Nicht sein" heißt der Film, der Eidinger-Liebhabern wie Eidinger-Kritikern Futter gibt.
Von Christine Wahl
24. März 2023. In den ersten Minuten von Reiner Holzemers Dokumentarfilm "Sein oder Nicht sein" sitzt Lars Eidinger im Auto und gibt übers Handy ein Interview. Wir befinden uns im Jahr 2021. Der Schauspieler ist unterwegs zum Probenbeginn des "Jedermann" für die Salzburger Festspiele, und man hört den Journalisten durchs Mobiltelefon fragen, worin denn das Neue an dieser Produktion bestehe. Der "Jedermann" werde schließlich seit Jahrzehnten rauf und runter inszeniert. "Das Neue an unserer Inszenierung ist, dass ich das spiele", antwortet Eidinger schlagfertig und selbstbewusst – und bestätigt damit ein Bild, das alle recht gut kennen, die in den letzten Jahren irgendwann mal Eidinger-Interviews gelesen oder gesehen haben.
Der auf Künstlerporträts spezialisierte Dokumentarfilmer Holzemer ruft dieses Image freilich vor allem auf, um auszutesten, wie erfolgreich sich in den folgenden neunzig Minuten an ihm kratzen lässt. Das Telefonat mit dem Journalisten geht nach dem 'Das-Ereignis-bin-ich'-Aperçu noch eine ganze Weile weiter. Eidinger relativiert in seinem Verlauf nicht nur den Rampensau-Eindruck, indem er zu einem Kurzreferat über den Impact der Spielenden an und für sich auf den Phänotyp eines Theaterabends ausholt. Sondern er sagt auch, wie häufig er sich missverstanden fühle, und zwar gleich mehrfach.
Unterdrückte Gefühlswelten
Kokett oder nicht kokett – das ist hier die Frage. Und Holzemer hat sich im Vorfeld neun Monate Zeit genommen, um Material zu ihrer Beantwortung zu sammeln. Er hat Eidinger nach Salzburg ebenso begleitet wie nach Paris, zu Dreharbeiten von Olivier Assayas' Serie "Irma Vep", in der Eidinger einen Schauspieler mit Drogenproblemen spielt. Natürlich hat er seinen Protagonisten auch in der Berliner Schaubühne gefilmt und mit Thomas Ostermeier gesprochen, dem Intendanten und Regisseur der Eidinger-Shows "Hamlet" und "Richard III." Selbst die "Ernst Busch"-Hochschule für Schauspielkunst wurde noch einmal aufgesucht, Eidingers Ausbildungsort.
Punktuell ist das Biografische aufschlussreich. Eher pflichtschuldig abgearbeitet wirkt es indes, wenn noch einmal der Tränenausbruch des Schauspielers bei der Berlinale-Pressekonferenz oder der Aldi-Design-Taschen-Kasus bewedelt wird, beides Shitstorm triggernde Vorkommnisse aus dem Jahr 2020, über die man hier nichts fundamental Neues erfährt – außer, dass Eidinger sich missverstanden fühlt.
Immer richtiges Schuhwerk
Weil es sich bei Holzemers Dokumentation um ein Arbeitsporträt handelt – das private Umfeld hatte der Schauspieler für den Dreh von vornherein ausgeschlossen – bietet es die seltene Gelegenheit eines close watching von Inszenierungsprozessen. Holzemer bekam vom "Jedermann"-Regisseur Michael Sturminger die Erlaubnis, während der Proben zu drehen – die denn auch zu einer Art dramaturgischem Gerüst geworden sind: Der Film beginnt mit der ersten Leseprobe und endet mit der Premiere. Er habe relativ früh ein konkretes Bild von der zu spielenden Figur im Kopf, Äußerlichkeiten wie Kostümbestandteile würden ihm helfen, seine Charaktere zu entwickeln, erfährt man dabei von Eidinger über seine Arbeitsweise.
Konkret outet der Schauspieler sich als professionstechnischer Schuhfetischist: Der Spiel-Schuh sei "der Ursprung", aus dem sich "alles" ergebe, weshalb daran auch bis auf den Absatzmillimeter genau alles stimmen müsse. Niemals wäre er in der Lage, sagt er, einen Hamlet, einen Richard oder einen Jedermann im falschen – geschweige denn im privaten – Schuhwerk zu spielen.
Mut, Ego, Freiheit und Freude
Sicher: Das ist nice to know. Genau wie die zwischengeblendeten Statements diverser Kolleginnen und Kollegen inklusive internationaler Kinostars, mit denen Eidinger in den letzten Jahren so gedreht hat. Isabelle Huppert betont seine "Präsenz", Juliette Binoche findet, dass er mit einem "großen Ego", aber auch im Dienste einer höheren Mission unterwegs sei und lobt seinen Mut sowie seine "Freiheit und Freude am Spiel": Okaye, aber keinesfalls singularitätsverdächtige Beobachtungen. Zumal im Angesicht eines Schauspielers, der im Film von sich behauptet, auf der Bühne "einen Grad an Emotionalität" zu erreichen, der ihm "in der Realität verstellt" sei; eines Schauspielers also, der findet, im Spiel mehr er selbst zu sein als im Alltag.
Lieber als in einem tradierten und per se festgelegteren Format wie dem "Jedermann" bei den Salzburger Festspielen hätte man dieser Eidinger'sche Ich-Werdung natürlich im Entstehungsprozess einer Ostermeier-Inszenierung an der Berliner Schaubühne zugesehen. Die Salzburger Probenszenen werfen zwar tolle Momente ab, etwa mit Edith Clever als Tod oder mit Angela Winkler als "Jedermann"-Mutter (die übrigens eine der wenigen vom Statement-Mainstream abweichenden Beobachtungen zu Protokoll gibt, indem sie sagt, Eidinger habe etwas sehr "Scheues" und "Empfindsames"). Holzemer fängt auch einen veritablen Wutausbruch des Schauspielers gegenüber dem Regisseur ein, der ihm – wie er findet – in einem besonders sensiblen Moment nicht konzentriert genug zugeschaut habe, mit denkwürdigem anschließenden Entschuldigungsprocedere im Close-up.
Schlechter Verlierer?
Näher als in diesen Momenten glaubt man Eidinger interessanterweise dann doch in einer privaten Gesprächssituation zu kommen. Und zwar, wenn er vom "Gutsparklauf" erzählt, der alljährlich an seiner Schule stattfand und ihm jedes Mal bereits im Vorfeld über Wochen den größten inneren Stress bereitet habe, während er danach infolge der Totalverausgabung regelmäßig "ins Gebüsch gekotzt" habe – weil er ihn unbedingt gewinnen wollte. "Ich konnte ganz lange nicht verlieren", offenbart Eidinger. "Nicht mal, wenn ich mit meiner Tochter ein Brettspiel gespielt habe." Ein echt großer Moment!
Lars Eidinger - Sein oder Nicht Sein
Dokumentarfilm (2022)
Buch, Regie, Kamera: Reiner Holzemer
Filmstart in Deutschland 23. März 2023, in Österreich am 24. März 2023
Dauer: 1 Stunde 32 Minuten
www.reinerholzemer.com/
meldungen >
- 11. September 2024 Saša Stanišić erhält Wilhelm-Raabe-Literaturpreis
- 10. September 2024 Tabori Preis 2024 vergeben
- 10. September 2024 Theaterpreis des Bundes 2024 vergeben
- 10. September 2024 Fabienne Dür wird Hausautorin in Tübingen
- 10. September 2024 Saarländisches Staatstheater: Michael Schulz neuer Intendant
- 08. September 2024 Künstlerin Rebecca Horn verstorben
- 08. September 2024 Österreichischer Ehrenpreis für David Grossman
- 04. September 2024 Görlitz, Zittau: Theater will seinen Namen verkaufen
neueste kommentare >
-
Empusion, Lausitz Weitere Kritiken
-
Essay Osten Bürgerliches Kunstverständnis
-
Essay Osten Kuratieren im Osten
-
Hamlet, Wien Zumutung
-
Sachsens Kultur Ich wünsche ...
-
Leserkritik Vorhang Auf, Rendsburg
-
Nathan, Dresden Unterschätze nicht den Kasper!
-
Nathan, Dresden Verbaute Sicht
-
Hamlet, Wien Welche Warnung?
-
Don Carlos, Meiningen Kraftvoller Opernabend
nachtkritikcharts
dertheaterpodcast
nachtkritikvorschau
(betr. LardsEidinger PRfilm)
„Lars Eidiger – Sein oder Nichtsein“ ist deshalb eine klassische Theaterdoku, die sich vor allem an zwei Zielgruppen richtet: an die treuen Fans, die einige Anekdoten und ein paar Häppchen über Eidingers Arbeitsweise serviert bekommen, und an diejenigen, die Eidinger noch nie live auf der Bühne erlebten und einen ersten Eindruck bekommen, was sie erwartet. Wirklich Neues hat die Doku aber nicht zu bieten: Privates spart der Film komplett aus und zum künstlerischen/beruflichen Schaffen gibt es keine neuen Erkenntnisse, nur gut geschnittene Erinnerungsschnipsel und die erwähnten Proben-Eindrücke, die ein bisschen hinter den Kulissen schnuppern sowie wohlmeinende Soundbites von Eidingers prominenten Freunden und Kollegen.
Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2023/03/25/lars-eidinger-sein-oder-nichtsein-film-kritik/
Was interessiert einen wohin jemand in Urlaub fährt ? Oder was er zu seiner Frau sagt ? Was soll
daran besonderer sein als bei andern Leuten ? Ist das nicht eher ein Yello - Press - Thema ? Was soll das über einen Menschen aussagen ? Ist das nicht der Blick in die Unterhose , den man besser nicht sehen sollte ? Das hat in einer Doku über die Arbeit von irgendwem nichts zu suchen . Ich kenne und verfolge die Arbeit dieses Schauspielers nicht , aber solche Sachen gehen keinen was an . Was ist mit den Menschen los , die sowas brauchen und verlangen ?
Gruß