Der Sonnyboy und der Zerknautschte
Von Gabi Hift
Wien, 26. April 2019. "Immer spielt ihr und scherzt? ihr müßt! o Freunde! mir geht dies / In die Seele, denn dies müssen Verzweifelte nur." Dieses Hölderlin-Zitat haben wohl fast alle deutschsprachigen Schauspieler*innen einmal in ihr Notizbuch geschrieben. Und auch Ignaz Kirchner hat es mit seiner kleinen, ordentlichen Schrift in eines eingetragen. 280 Hefte hat er im Lauf seines Lebens vollgeschrieben und mit Bildern beklebt; in vier Kisten verpackt stehen sie nun auf der Bühne des Akademietheaters. Sie bilden die Grundlage des Abends, den Joachim Meyerhoff für den im letzten September verstorbenen Freund ausgerichtet hat.
Wörter in Bewegung bringen
von Andrea Heinz
Wien, 23. Februar 2019. Die Frage nach Rauchen oder Nicht-Rauchen ist in Österreich nicht nur in Lokalen, sondern auch auf der Bühne ein ziemliches Geschiss: Ist das jetzt verboten, oder darf man eh? Auf der Bühne des Akademietheaters wird auf jeden Fall maßlos geraucht (wenn auch nur Kräuterzigaretten). Was an sich gar nicht der Rede wert wäre. Wäre solche artifizielle Behauptung von Entgrenzung und Maßlosigkeit nicht bezeichnend für diesen Abend.
Schrei nach Liebe
von Theresa Luise Gindlstrasser
Wien, 29. November 2018. Die tut doch nichts, die spricht doch nur. Diese Frau Grollfeuer am Akademietheater Wien. Die beißt doch nur aus einer Sehnsucht heraus: "Man hätte vielleicht nicht alles umbringen müssen, man hätte sich streicheln lassen können". Aber wie? Wenn alle anderen "Untermenschen" sind. Wenn alle anderen unter Plastik leben und Puppen sind.
Ein Rätsel
von Gabi Hift
Wien, 31. Oktober 2018. Ein Milliardär im Ruhestand steigt in die Politik ein. Für welche Partei er kandidiert, ist ihm egal, und er ist völlig ahnungslos in sämtlichen Fragen. Am Anfang macht er lächerliche Fehler, aber ein Medienhai, der bei ihm Schulden hat, manipuliert die öffentliche Berichterstattung und der zunächst naive Quereinsteiger lernt, wie man Floskeln einsetzt, die Meinung anheizt, sich Verbündete durch Bestechung züchtet und den sexuellen Mehrwert von Frau und Tochter für sich nutzt.
Es war einmal
von Martin Pesl
Wien, 19. November 2017. Schenken wir uns den obligatorischen Hartmann-Gag. Den übernimmt die Produktion selbst, wenn Sofie Hartmann dem Gast erklärt: "Es gab ja mal den Onkel Matthias, aber zu dem haben wir keinen Kontakt mehr." Da sitzt sie mit dem nigerianischen Geflüchteten gerade auf dem Riesensofa ihrer Eltern, während ihr Bruder und Vater mit unterschiedlichem Erfolg Dehnübungen machen.
Schlachtfelder der Kapitalismuskritik
von Leopold Lippert
Wien, 9. September 2017. Mit blonder Langhaarperücke und einer dicken Schicht Goldfarbe im Gesicht erzählt Sabine Haupt im Wiener Akademietheater vom Ende der Welt. Nicht apokalyptisch, mit Erdbeben und Sintflut, sondern bloß nüchtern naturwissenschaftlich. Von der Sonne, die sich im Laufe der nächsten Millionen Jahre immer weiter aufblähen wird, und von der Erde, die dann aus heißer Lava bestehen wird, ohne jedes Leben. "Wir werden verschwunden sein", resümiert sie trocken. Und hinter ihr macht eine Wand aus hunderten Glühlampen (Bühne: Thea Hoffmann-Axthelm) überdeutlich, wie das dann sein wird: erst ein matter Glühfadenschein, schließlich hell strahlend mitten in die überforderten Zuschauer*innenaugen hinein.
Seht mich, die nackte Wahrheit
von Reinhard Kriechbaum
Wien, 20. Mai 2017. Über das zu lange Schärpenkleid scheint Atossa, Mutter von König Xerxes, bei ihrem Auftritt mehrmals zu stolpern. Kaum findet sie wieder die Balance. Gold, alles Gold, nicht nur das Kleid. Auch die Haut Atossas wirkt wie gegerbtes Goldleder. Da ist die persische Elite mit ihrem Besitzstand verwachsen, quasi verkrustet bis ins Fleisch. "Was wird aus dem Reichtum, den niemand beschützt?" Das wird folgerichtig Atossas erste Frage sein, nachdem sie von der verheerenden Niederlage der Riesenstreitmacht der Perser bei Salamis erfahren hat.
Als Statist im eigenen Leben
von Eva Biringer
Wien, 11. März 2017. Wer würde sich anmaßen, das Leid dieses Mannes nachzufühlen? Inmitten eines vollbesetzten Saals ist er ganz allein. Zum Ping-Pong braucht es mindestens zwei. Egal wie hektisch er um die Platte rennt – und er rennt mit der Energie des Manikers – kann er gegen sich selbst nur verlieren. Schon das erste Bild dieses bildgewaltigen Abends weist auf sein Ende hin, die totale Einsamkeit.
Neues aus dem aktuellen Krisengebiet
von Leopold Lippert
Wien, 6. September 2014. Ein somalischer Pirat vor einem Hamburger Gericht, der in breitestem Wienerisch erklärt, es sei ihm immer schon "blunzn" gewesen, was einmal aus ihm werden würde. Ein italienischer Offizier in Afghanistan, der sich entrüstet, dass die "Wilden" sich beim Aufs-Klo-Gehen nicht hinsetzen, sondern immer im Stehen pinkeln. Ein serbischer Händler, der die tragische Geschichte vom Tod seiner Familie durch NATO-Bombardement als Auftakt zum Geschäftemachen benutzt. Und schließlich eine Spielpause, die keine ist, weil zu den ohrenbetäubenden Ethno-Klängen von "The Lion Sleeps Tonight" zwanzig Minuten lang ebenso ohrenbetäubend Sperrholzbalken durch den Häcksler gejagt werden.
Wiedersehen in Finsterworld
von Martin Pesl
Wien, 27. April 2014. Dabei scheint heute endlich die Sonne. Noch um sieben Uhr abends strahlt der Frühling in Wien, doch im Akademietheater ist ewige Nacht: die Nacht des David Bösch und des Patrick Bannwart, wie sie sich seit Beginn der Intendanz Hartmann sanft, aber konsequent ein- bis zweimal pro Spielzeit über das Burg-Publikum legt. Eine Düsternis, der man sich meist gerne hingibt, weil sie zwar schmutzig, aber schön ist in ihrer sparsamen Beleuchtung und weil sie zwar traurig macht, aber eben auf die romantische Art.
Flügelschlag des Düsenjägers
von Teresa Präauer
Wien, 25. September 2013. Mit der Uraufführung von "Cavalcade or Being a holy Motor" im Wiener Akademietheater ist nun auch in Österreich die Saison der Meisterschaften im Pollesch-Versatzstücke-Googeln eröffnet, und das liegt daran, dass der zungenbrecherische Titel schon vorab für Webaktivität sorgt, wie dem "Die Presse"-Interview mit Regisseur und Stückeschreiber René Pollesch zu entnehmen ist. Und auch wenn Foucault oder Robert Pfaller hier als Zitate-Generatoren für den "Holy Motor" des aktuellen Stücks benannt werden, wird gleichermaßen betont, dass die Bezüge aus Film, Psychoanalyse und Ratgeberliteratur weiterhin nicht als Schlüssel für die Rezeption herhalten können: Pollesch eben.
Born to Die
von Kai Krösche
Wien, 7. September 2013. Wie eine Glasglocke schwebt das Bühnenbild, ein weißer Salon mit Fensterfront und Türen, auf die vorher kahle Bühne des Akademietheaters nieder, verdeckt die unverputzte Betonwand. Wie ein Schleier schweben immer wieder die eingängigen Akkorde von Lana del Reys "Video games" durch den Saal. Und wie Verlorene bewegen sich die Figuren aus Ibsens Stück "Die Frau vom Meer" unter der Regie von Anna Bergmann über die Bühne, als seien sie Schatten ihrer eigenen, unerfüllten Hoffnungen, als hangelten sie sich mithilfe ihrer Träume und Lebenslügen unbeholfen über den Abgrund der Leere ihres eigenen Daseins. Unter den Holzdielen des Salons ist es feucht, warten die Untiefen des Wassers, das die Kulisse, einer unheilvollen Ahnung gleich, zu unterspülen scheint.
Die Zeit ändert gar nichts
von Kai Krösche
Wien, 2. März 2013. Wenn beim Schlussapplaus einer Wiener Nestroy-Aufführung der Regisseur auf die Bühne tritt und sich das Publikum ein erbittertes Kampfgeschrei zwischen Buh- und Bravorufen liefert, dann, soviel sei vorab verraten, hat dieser Regisseur garantiert etwas richtig gemacht. Der Regisseur heißt David Bösch, das Stück "Der Talisman", und was Bösch mit seinem überragenden Ensemble auf der Bühne des Akademietheaters gelungen ist, kann, allen üblichen kritischen Einwänden zum Trotz, als seltener Glücksfall bezeichnet werden.
Die Unterwelt als Über-Brettl
von Reinhard Kriechbaum
Wien, 17. Januar 2013. Mitkommen mit dem selbstverliebten Sänger, wieder einen Körper annehmen, wieder Frau eines von Groupies umschwirrten Monomanen sein müssen?
Bloß nicht! "Auf seinem Soundtrack eilt er dahin", der singende Halbgöttergatte, bis ins Schattenreich. Kleiner Abstecher in die Unterwelt, um das Ego zu befriedigen. Verzichten hat er nicht gelernt, auf eine Frau schon gar nicht. Bisher ist es ja meist um Orpheus gegangen, und keiner hat Eurydike ernsthaft gefragt, ob sie eigentlich zurück will mit ihm, zu ihm. Da hat erst Elfriede Jelinek kommen müssen. Die hat nach den vier Prinzessinnen-Dramen genügend einschlägige Erfahrung mit männerbezogenen Typinnen von Schneewittchen bis Lady Di. Eurydike passt bestens in die Reihe.
Emotionales Hochwasser auf dem Landgut
von Reinhard Kriechbaum
Wien, 2. November 2012. Mit einem Knalleffekt hebt der Abend an, mit einer Vorblende auf jene Szene, da Wanja die Waffe auf den verhassten Professor richtet – aber nach dem kurzen Tumult fährt die Dekoration hoch und wir finden uns doch am Beginn des Stücks. Auf der nackten Bühne bekommen wir nach und nach die Einsamen auf dem Gut Serebrjakóws zu Gesicht. Bloß ein paar verstreute Gartensessel (und ein Tisch mit dem unverzichtbaren Samowar natürlich) – wie viele Schritte sind da doch notwendig von hinnen nach dannen, von einem Gesprächspartner zum anderen!
Lebensfreude ist nur ein Wort
von Martin Pesl
Wien, 9. März 2012. Staub ist der Anfang, er liegt überall. Aus Ibsens "geräumigem Gartenzimmer", das alle drei Akte seines Dramas "Gespenster" beherbergt, ist bei David Bösch und Ausstatter Patrick Bannwart das Zimmer eines Toten geworden, an den man sich nicht so gerne erinnert, dessen Zeug man aber auch nicht einfach wegwerfen wollte. Dass Regine (Liliane Armuat) sich überhaupt Mühe gibt, hier zu kehren, wirkt etwas lächerlich. So schiebt sie denn auch den halbherzig angehäuften Dreck resignierend unter eines der weißen Laken, die nebst Spinnweben all die alten Möbel verdecken. Ein gigantisches Porträt an der Wand, mit grusligen großen Augen, die einen zu verfolgen scheinen, und eine kleine Büste im Vordergrund zeigen an, wer hier einst hauste: der Kammerherr Alving, wie es heißt, ein Mann voller Lebensfreude.
Die Suche nach der schnellen Feierabend-Katharsis
von Kai Krösche
Wien, 4. Februar 2012. "ein schwarzer Wagen / fährt bei Nacht / durch die Stadt, / nach Einbruch der Dunkelheit / fährt ein großer / schwarzer Wagen / durch die Straßen der Stadt, / und holt unsere Kinder." – Auch wer nicht das Programmheft zur Wiener Uraufführung von Roland Schimmelpfennigs selbstinszeniertem neuem Stück "Das fliegende Kind" besitzt, wird wohl am Ende des anderthalbstündigen Abends diese Sätze wenigstens so ungefähr mitsprechen können. Denn Schimmelpfennig scheint viel an diesen Sätzen zu liegen, so viel, dass er sie gleich ein gefühltes Dutzend Male seinen verschiedenen Figuren leicht variiert in den Mund legt. Der Grund allerdings, diesen sehr kurzen Abend durch dauernde Wiederholungen fürchterlich zu zerdehnen, will sich nicht erschließen.
Philosophie mit Schifferknoten
von Michael Laages
Wien, 7. Dezember 2011. An den Zutaten dieser immerwährenden Gardinenpredigt hat sich ja kaum etwas geändert: Der Autor René Pollesch ("Dramatiker" wäre verfehlt, denn gerade das will Pollesch dezidiert nicht sein, gerade so will er die Regeln des Theaters nicht bedienen), dieser Autor also formuliert Gedanken und Pointen, abgründig-kluge Philosophien und blankes Gefasel für etwas mehr als eine Stunde; und vor allem durch die Personal- und Ensemblestruktur der klassischen Komödienstrategie entwickelt sich über den Textvortrag hinaus so etwas wie szenische Bewegung zwischen Figuren.
Bitte recht oberflächlich!
von Martin Pesl
Wien, 23. November 2011. Ein erster Moment gilt der Bühne. Die herrschaftliche Treppe in ihrer Mitte, die das Innere reicher Häuser voll zeitloser Biederkeit symbolisiert, amüsiert, weil sie an das Foyer des Burgtheaters erinnert. Dann ist der Moment auch schon vorbei, und die buchstäblich hochkarätige Silberglitzerumrahmung des von Bettina Meyer mit gewohnt ironischem Detailreichtum ausgestatteten Raumes wird mit ebenso hochkarätigem Komödienpersonal besetzt: In der Behelfsrolle zweier Butler hat Peter Matić Narrenfreiheit, besteigt erst die Treppe zwänglich im präzisen Zickzackkurs und lässt ein anderes Mal der zickigen Damenrunde ihren Tee genervt vor die Füße schwappen.
Der Schlamm der Gerechten
von Martin Pesl
Wien, 11. September 2011. Gar weiß ist seine Weste, während er in Embryonalstellung den Schlaf der Gerechten schläft. Und Schneeflocken von der Bühnendecke hüllen Michael Maertens obendrein noch in eine Wolke sanfter Unschuld. Das Bild eines unbedarften, tollpatschigen großen Kindes gibt er anfangs für einige Minuten ab, wie man es von diesem Komödianten gewohnt ist. Aber damit hat es sich auch schon erledigt, sobald er erwacht, denn er ist der durchtriebene Richter Adam aus Heinrich von Kleists "Der zerbrochne Krug". Nach einer wilden Nacht klaffen Wunden an Kopf und Fuß, und er kotzt sich erstmal an.
Des einen Glück ist auch des anderen Freud
von Kai Krösche
Wien, 10. September 2011. Wenn am Ende Dorothee Hartinger in der Rolle der Mona auf die von ihrem Mitbewohner gestellte Frage, ob sie denn den anstehenden Rückzug der Amerikaner aus Vietnam gut finde, mit den Worten "Klar, wenn es wirklich das ist, was sie wollen" antwortet, dann ist in einem kurzen Satz auf humorvolle Weise die Quintessenz des vorangegangenen Theaterabends auf den Punkt gebracht: Bei aller Moral, bei allen verschiedenen Möglichkeiten einer Weltanschauung, bei allem Verständnis für andere Sichtweisen und Blickwinkel – am Ende tut jeder doch das, was er will und lässt bleiben, was ihm widerstrebt.
Showtime für die Ameise der Kunst
von Thomas Askan Vierich
Wien, 30. Mai 2010. Ja, so soll Theater sein: Die auf der Bühne sind nachher fix und fertig - und wir gehen beschwingt nach Hause. Marc Hosemann stand die Anstrengung beim Verbeugen ins Gesicht geschrieben. Immer wieder hatte er in den zurückliegenden wortreichen anderthalb Stunden rufen müssen: "Penis und Vagina, Penis und Vagina, immer nebeneinander, immer dasselbe!" und war dabei über Sofas marschiert und unten drunter durchgekrochen. Wenn er seinen Einsatz verpasste, sprach die hinter ihm stehende Souffleuse vor, so laut, dass man es bis in die letzte Stuhlreihe hörte. Nur er verstand es nicht. Also entriss er ihr das Textbuch und deklamierte die nächsten Sätze direkt aus dem Script.
Tiefe Einblicke ins Elternhaus
von Stefan Bläske
Wien, 31. Oktober 2009. Wofür hat man eigentlich eine Familie? Verwandte? Geschwister? Für Violet Weston ist die Antwort klar: Vielleicht braucht man ja mal 'ne neue Niere. Außerdem lässt sich an Familienmitgliedern besonders gut herumnörgeln. Der Großonkel mokiert sich über den vegetarischen Teenager, die Mutter mäkelt am Outfit der erwachsenen Tochter. Aber dennoch haben die Westons mehr zu bieten als den ganz normalen, schrecklich netten Familienwahnsinn.
Woyzeck reloaded
von Eva Maria Klinger
Wien, 6. September 2009. "Das bin ich doch, ich bin das, der Verlierer. Kein Vater keine Mutter keine Wohnung keine Arbeit kein Geld", so stellt sich Adam Geist dem Publikum vor. Eine nicht gerade Erfolg versprechende Ausgangssituation für einen Jungen, der Sinn und Ordnung in sein Leben bringen möchte. Er wird erfahren, dass einer, der einmal draußen ist, für immer draußen bleiben muss. Unweigerlich wird er zum Mörder.
Made in China
von Stefan Bläske
Wien, 5. September 2009. Wer gerne Haare in der Suppe sucht, für den ist Roland Schimmelpfennigs Uraufführung "Der goldene Drache" das gefundene Fressen. Besonders zu empfehlen: Nummer 6, Thai-Suppe mit Hühnerfleisch, Kokosmilch, Thai-Ingwer, Tomaten, Champignons, Zitronengras und Zitrusblättern (scharf). Denn dort, auf dem Boden der Schüssel, liegt der Schlüssel zum Stück: Ein Zahn, blutig und kariös. Igitt, sagt die Stewardess, die ihn entdeckt und angewidert rausrauscht aus dem Thai-China-Vietnam-Schnellrestaurant.
Massaker unter vereinsamten Karrieristen
von Erna Cuesta
Wien, 19. Dezember 2008. Die Anatomie des Bösen: kaum jemand hat sie so theatralisch, derb, so tiefgründig aber auch lustvoll ergründet wie Shakespeare. Das Verbrechen, es liegt in der Natur des Menschen. Mord und nicht nur einer, sondern jeder, der aus der Spirale von Gewalt und Macht heraus gerechtfertigt scheint, ist in den Stücken Shakespeares nachvollziehbar. Moralische Skrupel gibt es wohl, auch den rettenden Wahnsinn oder die Mitschuld, aber keine Absolution, nach der die vielen Shakespearschen Figuren suchen. Und schon sind wir mittendrin, im Hause des Macbeth und seiner Lady.
Weibliche Urgewalt in männlichen Kampfzonen
von Eva Maria Klinger
Wien, 12. September 2008. Auch wenn Hurrikans in anderen Klimazonen wüten, hat dennoch ein Wirbelsturm das Akademietheater in Wien erfasst. "Weibsteufel" Birgit Minichmayr sprengt mit Urgewalt die männlichen Kampfzonen, dreht einfach den Spieß um, macht Ausbeuter zu Ausgebeuteten. Sie hätte der Spielball, das Lockvögelchen im abgekarteten Spiel der Männer sein sollen, aber sie sahnt ab.
Rabranza zawirzl klunulf!
von Eva Maria Klinger
Wien, 24. Mai 2008. Das trippelnde Zwillingspaar hätte auch von Händl Klaus stammen können, dessen Stück "Die Sammlung Marianne Bosch" an diesem Abend zur Uraufführung vorgesehen war. Sie kam nicht zustande. Da im Burgtheater nach Absagen von Dimiter Gotscheff und Falk Richter schon Lücken klafften, musste Gert Jonke wohl als Uraufführungsersatz einspringen.
In einem Zustand der Verwirrung
von Peter Schneeberger
Wien, 31. Januar 2008. Im Frühjahr 2003 veränderte Gary Bartlam Großbritannien für immer. Nachdem der englische Soldat aus dem Irak heimgekehrt war, gab er seine Fotos vom Einsatz in Basra bei einer Filiale der Drogeriekette Max Spielmann zum Entwickeln. Eine Angestellte entdeckte darunter Bilder, auf denen irakische Gefangene gefoltert wurden, und alarmierte die Polizei. Die schockierenden Fotos lösten in der britischen Öffentlichkeit einen Aufschrei der Empörung aus.
Das Messer in der Kehle
von Lena Schneider
Wien, 28. September 2007. Eine Testamentsvollstreckung im engsten Familienkreis, das stellt man sich anders vor. Eine theatrale Träne, bitteschön, ein paar gefühlsgewaltige Ausbrüche oder wenigstens ein bisschen lauernde Gier. Nichts von alldem in der Anfangsszene von Wajdi Mouawads "Verbrennungen".
Drei Personen auf einer Insel
von Marianne Strauhs
Wien, 5. Juni 2007. Eine lange Tafel. Neun Stühle unterschiedlichen Designs. Umgeben von einem angedeuteten schwarzen Rundhorizont. Die Insel im Nirgendwo. Prosperos Insel, Schauplatz von Shakespeares "Der Sturm" (am Akademietheater wurde der Titel auf "Sturm" gekürzt), jenem Stück, das als das letzte eigenständige Shakespeares gilt. Zugleich die letzte Burgtheater-Premiere der Spielzeit.
Nicht stocken. Keine Paarbildungen
Von Georg Petermichl
Wien, 6. Mai 2007. Wenn's so richtig begonnen hat, hockt es artig auf den sechs Drehstühlen, das Grüppchen Darstellungskapital von "Spuren der Verirrten". – Fix positioniert, scheint es am Rand der sich dramatisch öffnenden Computermatrix (Ausstattung: Sabine Kohlstedt) aufgefädelt. Weiblich links. Männlich gegenüber.