Ein Berg, viele (UA)

von Magdalena Schrefel
//Gewinnerstück des Kleist-Förderpreises für junge Dramatikerinnen und Dramatiker 2020
//Eingeladen zum Heidelberger Stückemarkt 2021

Pearl ist eine ambitionierte Dokumentarfilmerin. Für ihren aktuellen Film arbeitet sie an zwei parallelen Plots. Der eine spielt im England des 18. Jahrhunderts. Dort erfindet ein Geograph ein Gebirge und versucht so den Verlauf des Niger zu erklären. Er nennt es „Kong“ und füllt mit ihm den letzten weißen Fleck auf der Karte des afrikanischen Kontinents. Der ferne Ort ist nun vermessen und der Ruhm des Geographen wächst. Aber keine Reise kann von den Kong-Bergen berichten. Trotzdem behauptet sich die europäische Autorität weiter, wo vor Ort längst keine Zweifel mehr bestehen.

Im Heute macht sich Pearl auf an die Ränder Europas. An der Schwelle eines informellen Staates „Berg Kong“ trifft sie auf einen Grenzwächter. Er verwehrt ihr zwar den Zutritt, wird aber zur zentralen Begegnung ihrer Recherche. In seiner Geschichte findet Pearl den Stoff ihrer Reportage. Seine Schicksalsschläge sind das Futter ihres Filmmaterials.

Im Gegenüber beider Erzählstränge, zwischen Afrika und Europa, wird eine fortlaufende, (post)koloniale Wirkweise erkennbar. Die Geschichte dieser Dynamik wird bis heute vor allem aus einem Blickwinkel erzählt. Magdalena Schrefel bildet in „Ein Berg, viele“ die Dominanz der einen Erzählung ab und erhält dafür den Kleist-Förderpreis für junge Dramatikerinnen und Dramatiker 2020.
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Pressestimmen

kreuzer
„Jeder und jede verkörpert Pearl, ein Manic Pixie Dream Girl mit rosa Perücke und Kleid – frontal, naiv, authentisch eben. Oder? Pia Richter inszeniert das Drama als Thesenstück. Die wechselnde Verkörperung der Figuren verunmöglicht eine Identifikation. Es gibt keine einheitliche Stimme, die diese Geschichte erzählt.“
Theater heute
„Es geht um den kolonialisierenden Blick des Europäers, die Vorstellung weißer Männer von weißen Landkarten […]. Doch die koloniale Tradition endet nicht in Gesten, und so reflektiert Schrefel zusätzlich unser heutiges Afrikabild in der Person einer jungen Filmemacherin und zugleich die Europa-Bilder des Migranten aus dem Süden. […] Das Ganze ist angereichert mit Exkursen und Anspielungen, etwa zu den Argonauten oder der Haltung des chinesischen Kaisers zur europäischen Weltkarte.“
Märkische Oderzeitung
„Die Inszenierung von Pia Richter unterläuft und akzentuiert das Problem von Identität und Zuschreibung, indem sie ihre vier Schauspieler*innen in rosa Einheitskleidchen und Perücken steckt – und die Rollen fleißig wechseln lässt, zwischen Geograph, dessen Kindern, Köchin, Butler, Fernsehteam und einem Ismael, der auch eine Projektion sein kann. […] [D]en Zweifel und das Unbehagen, die das Stück sät, löst der Abend nicht auf, man nimmt sie mit nach Hause. Und wird den nächsten Fernsehbericht – und auch diesen Bericht – mit mehr Vorsicht genießen.“
Deutsche Bühne online
„Kann man die Welt erforschen, ohne sie zu erobern? Und was zeigt eine Karte, die aus dieser Erforschung entsteht – wirklich die Welt oder (nur) die subjektive Sicht darauf? Große Fragen, die die junge Autorin Magdalena Schrefel in ihrem Stück ‚Ein Berg, viele‘ stellt und klug, aber undogmatisch beantwortet.“
LVZ
„Die europäischen und postkolonialen Blicke auf Afrika – und der Blick eines moralisch-kritischen Zeitgeistes auf diese Blicke: An der Oberfläche bedient ‚Ein Berg, viele‘ einen sehr aktuellen Diskurs. […] Spannender aber ist das Stück unter einem anderen Aspekt: Dem auch selbstzweifelnden Suchen danach, was denn diese Abbild-Maschine Kunst überhaupt über ‚die Wirklichkeit‘ aussagen kann. […] Die Travestie-hafte Künstlichkeit, mit der ‚Ein Berg, viele‘ auf die Bühne fand, ist in diesem Kontext auch als Symptom der Hilflosigkeit lesbar. Hier allerdings einer, die einnimmt.“
nachtkritik
„In der Uraufführung von Regisseurin Pia Richter spielen die Schauspielerinnen und Schauspieler Paulina Bittner, Thomas Braungardt, Anne Cathrin Buhtz und Patrick Isermeyer alle Rollen abwechselnd. Jeder ist mal jede. Mal Filmerin, mal Gefilmter. […] Mal Europäer, mal Afrikaner. Mal Kind, mal Erwachsener. Eine gelungene inszenierte Metapher für den Zufall der Geburt. In schnellen Wechseln überzeugen die Schauspieler in diesen Charakteren, in die sich die Zuschauer trotz der permanent wechselnden Rollenverteilung immer wieder neu reindenken können.“
Premiere am 26. September 2020

Spieldauer

ca. 1:20, keine Pause

Team

Bühne & Kostüme: Julia Nussbaumer
Dramaturgie: Marleen Ilg
Licht: Thomas Kalz
Theaterpädagogische Betreuung: Babette Büchele

Trailer