Wie es ist

von Elmar Goerden

Bochum, 30. Mai 2008. Die Entscheidung war schwer. Die Gründe sind einfach, wiegen darum aber nicht weniger schwer. Die Personalie Goerden wirft einen zunehmend großen Schatten auf das Bochumer Schauspielhaus. Weder der Intendant noch der Regisseur werden seinem künstlerischen Ruf gerecht. Im Gegenteil, meine Arbeit schadet augenscheinlich der Reputation der Theaterstadt Bochum. Ich muss Sie von diesem Befund nicht erst überzeugen, stammt er doch größtenteils von Ihnen. Ich bin lang genug am Theater, um zu wissen, dass Kritik und Objektivität zweierlei sind.

Das entkräftet allerdings nicht die Kritik. Meine Arbeit wird von Ihnen beurteilt, das ist unsere gemeinsame Verabredung. Darüber, ob man meiner Arbeit immer unvoreingenommen und fair begegnet, ob die Kritik mitunter nicht auch theaterpolitische Ambitionen verfolgt, darüber kann man trefflich streiten.

Kein Beleidigter

Allerdings nicht heute, und nicht von meiner Seite aus, denn ein Intendant, der sich gegen schlechte Kritiken anders als durch überzeugende Arbeit wehrt, hat – zurecht! – schon verloren. Es sitzt also kein von der Kritik zur Strecke gebrachtes Opfer vor Ihnen, kein Beleidigter, Unverstandener, sondern jemand, der entschieden darüber nachgedacht hat, ob er den Ansprüchen, die an einen Intendanten des Schauspielhauses Bochum gestellt werden, gerecht wird. Auch ob er seinen eigenen Ansprüchen, den veröffentlichten und den nicht sagbaren gerecht wird.

Aus der Tatsache, dass ich für eine Verlängerung meines Vertrages über die Spielzeit 2009/2010 als Intendant des Schauspielhauses Bochum nicht zur Verfügung stehe, können Sie schließen, dass ich diese Frage für mich beantwortet habe. Diese Entscheidung ist eine Entscheidung, die in allererster Linie meiner Verantwortung für das Schauspielhaus, nicht meiner persönlichen Karriereplanung Rechnung trägt.

Es ist mir wichtig, diesbezüglich zwei Dinge festzustellen:

1. Ich habe kein anderes Angebot oder Haus, das auf mich wartet. Ich habe weder danach gesucht, noch ist mir irgendetwas andernorts angeboten worden. Auch die mir jetzt in der Presse erneut unterstellte Lust auf eine Intendanz in München oder Hamburg, angeblich ein "offenes Geheimnis", ist eine Ente, die davon nicht wahrer wird, dass man sie wiederholt. Wem die Intendanz in Bochum nicht reicht, dem kann nicht mehr geholfen werden. Den Intendanten Goerden wird es zukünftig nicht mehr geben.

2. Ich eile mit dieser Entscheidung nicht meiner eigenen Demission voraus. Die kulturpolitischen Entscheidungsträger der Stadt haben mir deutlich signalisiert, dass eine Fortsetzung meiner Arbeit hier wünschenswert wäre.

Verschattete Leistungen auf allen Ebenen

Ich sage das nicht, um mit Selbstlosigkeit zu punkten, sondern um Ihnen zu versichern, dass meine Entscheidung keine vorgeschobene oder erzwungene, sondern eine frei gewählte ist. Und ich wünsche mir, dass Sie dies, bei allem Widerspruch in der künstlerischen Sache respektieren. Wo und wie wird der Schaden sichtbar? Die auf mich gemünzte Kritik, ich muss und kann damit sehr gut umgehen, schädigt in allererster Linie nachhaltig das Haus. Man kann ohne Übertreibung feststellen, dass die zunehmende Verschlechterung meines künstlerischen Rufes die Leistungen des Hauses auf allen Ebenen verschattet und ihnen damit die gebührende Anerkennung entzieht.

Wunderbare Arbeiten wie, nur um die letzte zu nennen, Jorinde Dröses "Contract Killer", werden überregional nicht mehr wahrgenommen. Die hervorragende Qualität des Ensembles, in Theater-Deutschland sehr wohl Objekt diverser Abwerbungsbegierden, wird übersehen oder aber zum Kronzeugen gegen die Unzulänglichkeit des Intendanten. Die künstlerischen Erfolge der hier arbeitenden Regisseure und Schauspieler werden so gut wie nicht mit meiner Intendanz in Verbindung gebracht. Kurz: die künstlerischen Verdienste hat das Haus in der öffentlichen Meinung nicht wegen, sondern trotz seines Intendanten.

Die Knochen des Hauses

Was aber auf den Intendanten zielt, geht unweigerlich auf die Knochen des Hauses, auf das Selbstbewusstsein des Ensembles, das den Spagat zwischen begeistertem Publikum einerseits, und des kritischen Dauereinwurfs, am falschen Theater zu sein, andererseits, nur mit großer Loyalität und Professionalität meistert. Man fühlt sich doch zunehmend abgeschrieben, festgezurrt, unter Wert verkauft, oft einfach übersehen. Letztlich ist auch das die Verantwortung des Intendanten.

Es gibt Vieles, auf das wir stolz sein können. Sie alle haben hier bemerkenswerte Inszenierungen gesehen: Uraufführungen, alte Geschichten, Shakespeare, Kleist, Beckett, Williams, Feydeau. Junge Regisseure konnten hier zu starken Regisseuren werden, wie die junge Lisa Nielebock, Jorinde Dröse, Kristo Sagor. Schauspieler sind hier gewachsen, gefördert und gefördert worden. Es gab und gibt Bochumer Erfindungen wie "Die Boten", "Ohne Alles", "Johnny Cash", die Rückkehr der Tänzer, unzählige playstations, die musikalischen Improvisationen von Jens Thomas. Wir haben uns eingemischt in die Geschicke der Stadtgemeinschaft und das Junge Schauspielhaus zu einem Theater im Theater gemacht, das seinesgleichen sucht. Daneben gehauen haben wir allerdings auch.

Was vielleicht fehlt

Vielleicht werde ich als Regisseur den Intendanten nicht los und als Intendanten nicht den Regisseur. Vielleicht fehlt mir hier in Bochum Entschiedenheit, Ausschließlichkeit in meinen Inszenierungen, der entgegengesetzte, starke und erfahrene andere Regisseur, Leistungsfähigkeit. Vielleicht die Lobby, der kritische Mitspieler, ein mutiger und lauter Fürsprecher, der Mut zum Scheitern. Vielleicht manchmal auch das Glück. Es fehlt, Gott sei Dank!, nicht das Publikum.

Sie werde genauer wissen, woran es mangelt, das ist ihr Beruf. Wie dem auch sei: Das stabile, stilprägende Zentrum, die kenntliche Handschrift, die einem ganzen Haus Signatur und Richtung gibt; das habe ich, soviel Ehrlichkeit muss sein, nicht in dem Maße geleistet, das ich selber von mir erwarte. Nicht nach außen und nicht nach innen. Das ist, bisher, ein Scheitern. Ein Satz, den sie sicher zitieren werden. Aber, und darauf lege ich den größten Wert, es ist kein Scheitern des Hauses, seiner Künstler und Mitarbeiter, sondern ein persönliches.

Wilde Mischung aus Trotz und Zuspruch

Das Fazit meiner drei ersten Spielzeiten ist kein Rückzugsignal, sondern beschreibt das Ziel der nächsten zwei. Wir haben viel vor; aber davon soll an anderer Stelle die Rede sein. Ich muss Ihnen versichern, dass die mir verbleibende Zeit kein Auslaufen wird. Im Gegenteil! Das bin ich unserem Publikum, nicht zuletzt mir, vor allem aber diesem Haus, das für mich immer DAS Theater schlechthin gewesen ist, schuldig. In den letzten Tagen haben die Reaktionen des Ensembles, der Belegschaft und meiner engsten Mitarbeiter mich in ihrer wilden Mischung aus Trotz und Zuspruch bestärkt. Jetzt erst recht. Oder wie Beckett es sagen würde: "Ever tried/ Ever failed/ No matter/ Try again/ Fail better!"

Nachtrag

1. Während wir hier sitzen, probt Lisa Nielebrock unter uns "Macbeth", was nächste Woche Freitag Premiere haben wird. Gottseidank hat sie gestern die WAZ nicht gelesen. Dort hätte sie nämlich erfahren, dass sie sich das im Grunde sparen kann, da "die Hoffnung jetzt endgültig zusammengebrochen" ist. Auch dass der Intendant aufgegeben habe, war dort zu erfahren. Davon weiß der Intendant nichts.

2. Um es einmal deutlich zu sagen, so wenig uns schwierige Situationen an anderen Theatern beflügeln, so wenig empfinden wir den Erfolg des Theaternachbarn als Druck oder Bedrohung unserer eigenen Arbeit. In der WAZ wird im Hinblick auf 2010 die Leistungsfähigkeit des Schauspielhauses problematisiert. Das ist insofern unangebracht, als dass das große "Odyssee"-Projekt, eines der wenigen Projekte von überregionaler Strahlkraft, von uns miterfunden wurde.

3. Vor gut zwei Wochen, auf der Vorstellung der neuen Spielzeit, ist mir ein privater Satz herausgerutscht, zum Zustand meiner Gesundheit, meiner privaten Situation. Ich möchte mich dafür entschuldigen. Nicht, weil es nicht stimmt, sondern weil es nicht hierher gehört. Ich würde sie herzlich bitten, dieses Thema zukünftig auszusparen.

4. Pläne: Kooperation mit dem Maxim Gorki Theater und seinem Intendanten und Regisseur Armin Petras. Geplant ist ein Austausch von Inszenierungen, Gastspiele, sowie eine Regiearbeit von Armin Petras mit dem hiesigen Ensemble.

Wir sind besser als mein Ruf

Zur Situation der Verhandlungen über eine Vertragsverlängerung der Stadt möchte ich sagen, dass ich meine Entscheidung zeitlich unabhängig von den dafür vertraglich vorgesehenen Regularien getroffen habe. Die Stadt hat also weder getrödelt, noch bin ich vorgeprescht.

Im Vorfeld hatte es seit dem Frühjahr eine Anzahl von Gesprächen gegeben, namentlich mit Dieter Fleskes und Michael Townsend, in deren Verlauf wir unsere Konzeption für die zukünftige Arbeit des Schauspielhauses vorgestellt haben. Diese Gespräche haben stets in einer offenen, konstruktiven Atmosphäre stattgefunden, die getragen war von der gemeinsamen Verantwortung für das Schauspielhaus Bochum. Ich glaube zutiefst, dass meine Entscheidung wieder für einen unverstellten Blick auf die Leistungen des Bochumer Schauspielhauses sorgt.

Denn, das darf ich sagen, WIR sind besser als MEIN Ruf.

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Kommentare  
O-Ton Goerden: Ehrenwerte Erklärung
Ich finde, das ist eine ehrenwerte Erklärung. Goerden beurteilt die Auswirkungen (!) seiner eigenen Arbeit weitaus realistischer als viele hier in den Kommentaren. Dass mal jemand die Grenzen seiner eigenen Kompetenz wenigstens ahnt, ist geradezu sensationell und macht ihn richtig sympathisch.
O-Ton Goerden: Mut zum Scheitern!
Respekt!!! Herr Goerden ist ein kluger Mann mit Eiern in der Hose - man wünschte sich mehr Theaterleiter mit solch einer Reflexionskraft. Alles gute für die nächsten zwei Jahre, mit dem Mut zum Scheitern kann nun sicherlich großes entstehen.
O-Ton Goerden: Courage!
Beeindruckend! Soviel Courage wünschte man sich von vielen Personen in wichtigen Ämtern.
O-Ton Goerden: Starkes Statement
Das ist ein starkes statement. Damit legt Goerden die Latte in Punkto Analysekraft, Selbstkritik und Aufrichtigkeit hoch für seine Kollegen (übrigens auch der schreibenden Zunft). Schade, dass er geht. Ich mochte viele seiner Arbeiten besonders den Fosse.
O-Ton Goerden: Bemerkenswert, aber richtig
Für seine aufrichtigen Erklärungen kann man Elmar Goerden nur gratulieren. Aber spiegelt der Nachtrag nicht das derzeitige Tief des Hauses wieder? Da wird von einer geplanten Zusammenarbeit mit dem Maxim Gorki gesprochen, aber das haben doch schon andere (Frankfurt/Schweeger) vor ihm gemacht um eine lahme Ente schneller zu machen. Und nur weil demnächst die anderen Partner des Gorki (Thalia/Khuon und Hannover/Schulz) wegfallen, hat der wahrscheinlich überhaupt Zeit. Und selbst dann muss man sich hinter dem Schauspiel Köln anstellen (Jan Bosse /Leonce und Lena)! Und wieso heftet sich der scheidende Intendant die Entdeckung Jorinde Dröses ("zu einer starken Regisseurin gemacht") ans Revers? Das haben andere vor ihm gemacht (Stückl, Khuon)!! Und selbst da muss gefragt werden dürfen: Wieso wechselt diese erfolgreiche Jungregisseurin als Hausregisseurin ans Schauspiel Leipzig? Fazit: Eine bemerkenswerte Entscheidung, aber wohl eine richtige.
O-Ton Goerden: absout vorbildlich
Ich habe noch keinen Theaterleiter so schonungslos ehrlich und verantwortungsvoll die Konsequenzen ziehen sehen. Dass ein Mensch der Öffentlichkeit sich so fehl- und verwundbar zeigen kann, ist größter Achtung wert. Dieser Vorgang ist absolut vorbildlich! Dass Sie, Thomas, jetzt so erbsenzählerisch anfangen, die Paar Pluspunkte, die sich Goerden zurechnet, abzuwerten zeigt, dass Sie vorraussichtlich gar nicht verstehen können, was vielleicht das Tolle an diesem Mann sein könnte. Dazu bräuchte man ein Verständnis von menschlicher Größe und Eiern in der Hose! Sorry für meine Sprache, aber Kleingeisterurteile machen mich einfach spontan wütend. Werden Sie glücklich im Leben, aber nehmen Sie es doch nicht mit den Großen auf! Und ich meine auch die großen Scheiterer, das sind die wahren Großen. Aber das werden Sie wahrscheinlich nicht verstehen...
O-Ton Goerden: schätze G., dennoch in BO viel Platz nach oben
Sehr geehrter Herr Lichthaus!
Soviel ich weiß, ist Kritik in diesem Forum erlaubt! Deswegen nehme ich es nicht mit Großen auf oder maße mir menschliche Größe an. Aber Herr Goerden ist nun mal noch zwei Jahre Intendant und somit auch seine Arbeit einer möglichen Kritik ausgesetzt.Ich selber habe viele seiner Arbeiten in Stuttgart und München gesehen und bei Publikumsgesprächen seine Ansichten zum gegenwärtigen Theater schätzen gelernt, bin aber dennoch der Meinung, dass für das Schauspielhaus noch viel Raum noch oben besteht und diese Pläne mich nicht unbedingt überzeugen!
O-Ton Goerden: Bionade-Biermeier-Kultur des Scheiterns
Mannomann, hier wird ja gemenschelt, was das Zeug hält. Das Bionade-Biedermeier als Ort einer neuen Kultur des Scheiterns. Wir sind mittelmäßig und das ist auch gut so! Schluss mit altlinker Präpotenz und neoliberaler Ellbogenegomanie. Was zählt, ist der graue Gegenwartslangweiler mit Mut zum Kneifen. Nie hat Unentschiedenheit und Einfallslosigkeit soviel Spaß gemacht. Es lebe das Angedachte!
Nee nee, dieser Abgang ist armselig. Haußmann mußte gehen, Hartmann wollte gehen und Goerden muß nicht gehen, will aber irgendwie nicht bleiben.
Schon mal jemand über das Personal nachgedacht? Schauspieler etc.? Verantwortung? Statt dessen, Selbstreferentialität und Bauchnabelobservationen. Bonsaitheater!
O-Ton Goerden: Noch schlimmer dran
Personal? ohne diesem Personal wäre das Haus noch schlimmer dran......wenn man keine Ahnung hat einfach mal Fre.... halten
O-Ton Goerden: Intendant braucht Ticket in die Realität
Das ist doch Gaga, es geht doch nicht um den Ruf von Bochum, sondern ums Theater und da war Bochum eben immer sehr mutig und radikal (Zadek,Faßbinder, Peymann, Gosch, Steckel, Kruse, Haußmann, Gottscheff...)O Mann ist das daneben. Und die Arbeit von Nieleböck und Dröse zB, bei aller Nettigkeit und Spaßigkeit, ist eben auch nur durchschnittlich. "I hired a contract killer" als Beispiel für großes Theater zu nehmen ist grotesk, die Inszenierung: Hörpielästhetik (das macht nach "Dogville" jedes 2.Stadttheater schon), das Stück: eine Filmadaption, das von zig Theatern schon gemacht wurde, der ganze Abend: witzig, aber auch ziemlich kitschig und eher bieder- konventionell. Warum sollte so ein Abend das überregionale Feuilleton interessieren ? Der Intendant braucht ein Ticket in die Realität.
O-Ton Goerden: Hitzfelds Beiträge tönen geistlos
an Herrn Hitzfeld: ihre Beiträge lassen das Niveau der Debatte verläßlich ins bodenlose Stürzen. Ihr strampeln um origin
eelle wortschöpfungen ist so außerordentlich bemüht, dass selbst die Lektüre anstrengend ist. Schreiben sie doch ein Stück, sendungsbewusstsein ist ja Anscheinend reichlich vorhanden. Gemessen an Ihrem Geistlosen getöne ist goerden Erklrung der reinste Lichtblick. Respekt!
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