Sing, wenn du nicht weiterweißt

von Georg Kasch

Berlin, 13. Januar 2018. "Heut sag ich mal meine Meinung. Einmal muss auch der Sklave reden." Die Juden sind an allem schuld. Die Freimaurer auch. Und die Jesuiten. Wer das zahlen muss, ist klar: Der kleine Mann natürlich. So etwa geht eine Stelle in "Glaube Liebe Hoffnung" am Gorki Theater, und man wundert sich: Steht das wirklich so bei Ödön von Horváth?

Es steht, wenn auch nicht unbedingt im "kleinen Totentanz in fünf Bildern" von 1932. Was klingt wie frisch von einer Kundgebung von Pegida, AfD und Co., haben Regisseur Hakan Savaş Mican und sein Team aus insgesamt vier Horváth-Werken zusammengesucht, um der ohnehin schon ziemlich demoralisierten Elisabeth die geballte Hetze-Ladung um die Ohren zu hauen. Dabei ist ja das Original bereits eine ordentliche Fiesheitsparade: Wann immer sich für die arbeitslose Dessous-Verkäuferin Elisabeth mit dem fehlenden Gewerbeschein ein Fenster öffnet, schlägt eine Tür zu – und die Leute glotzen auch noch romantisch dabei.

glaubeliebehoffnung2 560 UteLangkafel uDiese Hoffnung wird nicht lange währen: Sesede Terziyan und Taner Şahintürk
© Ute Langkafel/Maifoto

Klingt also wie heute – sieht aber aus wie Uropas Kintopp. Sylvia Rieger hat eine schwarze Caligari-Expressionismus-Häuserflucht gebaut mit Steg nach vorn ins Publikum und kalt leuchtenden Fensterlöchern, Sophie du Vinage im eleganten Mode-Fundus der Weltwirtschaftskrise-Jahre gewildert. Drüber tragen die Schauspieler harte Gesichter mit melancholisch gerandeten Augen, als wär's eine Porträt-Serie von Christian Schad. Alptraumhaft hohl geistert dazu die Soundkulisse aus den Boxen, die Microport-verstärkten Stimmen flackern fahl, jeder Schritt knallt bedrohlich.

Musikalische Glutkerne

Starke Bilder sind das, besonders dann, wenn die Worte nicht mehr weiterwissen. Einmal, da ist Elisabeth schon ziemlich am Ende, beginnt Sesede Terziyan plötzlich auf Türkisch zu singen, von Sehnsucht, Einsamkeit, Schicksal. Eine herbe Arabeske, in der all die Wut und Verzweiflung vibriert, die sich diese junge Frau angefressen hat. Terziyan singt, als hinge ihr Leben davon ab. Überhaupt die Musik: Zusammen mit einigen anderen Szenen bildet sie die emotionalen Glutkerne des Abends. Lars Wittershagen legt den kühlen Beat aus, über dem der fabelhafte Daniel Kahn mit seinen wilden Songs zwischen jiddischem Folk und Kurt Weill an Klavier, Gitarre und Akkordeon die Konflikte und Sehnsüchte auf eine Formel bringt.

Das braucht es, denn mit Horváths vertrackter Volkssprachkunst fremdeln die Schauspieler*innen mitunter. Klar: Wer wie Lea Draeger und Mehmet Ateşçi gleich mehrere Figuren mit der Aura einer Eismaschine verkörpern muss, hat nicht wahnsinnig viele Möglichkeiten, den einzelnen Charakteren Konturen abzutrotzen. Aber man muss ja nicht gleich an die begnadeten Satz-Anatome in Christoph Marthalers ebenfalls musiksatter Inszenierung vor einigen Jahren denken, um sich bei den Nebenrollen ein bisschen mehr Flirren zu wünschen. Darauf jedoch kommt es Mican gar nicht an. Er reduziert die Geschichte von einer, die mehr noch als an der wirtschaftlichen Krise an den Vorurteilen in den Köpfen scheitert so weit, dass sie nach 90 Minuten auserzählt ist. Dabei arbeitet er mit filmischen, also oft beschleunigenden Mitteln: Zooms, Schnitten, Überblenden, gerne auf der Schrägen in die Bühnentiefe hinein. Immer, wenn es der Worte zu viel werden, kürzt ein Lied die Sache ab.

Keine Grenzen in der Hölle

Und dann gibt es jene Szenen, in denen sich etwas emotional verdichtet – die große Spezialität des Gefühlszauberers Mican, oft am Gorki erprobt zwischen Schwimmen lernen und Angst essen Seele auf. Sesede Terziyan etwa grundiert ihre Elisabeth mit einer görenhaften Rotzigkeit, einem lachenden Stolz, der hart um Würde ringt. Und wenn sie auf Taner Şahintürks sanft verdrucksten Polizisten Alfons trifft, der einmal mehr so himmlisch schüchtern in seine Grübchen grinst, dass man ihm jedes Gefühlswort abkauft, glaubt man wirklich, dass das was werden könnte mit den beiden: Şahintürk zaubert aus allen Ecken der Kulissen Strauß um Strauß weißer Herbstastern hervor, und Terziyans Gesicht blüht auf, als wäre Hoffnung in diesem Totentanz eine Option.

Ist sie natürlich nicht. Auch hier endet das Stück mit Elisabeths verstolpertem Tod, während die Parade ruft. Und die Moral von der Geschicht? Liegt im Lied, wo sonst: "Es gibt doch keine Grenzen in der Hölle / Der Himmel ist ein Ausländerbereich / Dort gibt es keine Strafen oder Zölle / Im Friedhof sind die Löhne alle gleich".

Glaube Liebe Hoffnung
nach Ödön von Horváth, Bearbeitung: Lukas Kristl
Regie: Hakan Savaş Mican, Bühne: Sylvia Rieger, Kostüme: Sophie du Vinage, Bühnenmusik und Songs: Daniel Kahn, Musik und Sounddesign: Lars Wittershagen, Licht: Carsten Sander, Dramaturgie: Irina Szodruch.
Mit: Mehmet Ateşçi, Lea Draeger, Daniel Kahn, Orit Nahmias, Taner Şahintürk, Sesede Terziyan.
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

www.gorki.de

Kritikenrundschau

Mican interessiere sich vor allem für das im Stoff steckende Melodram, für die ewige, harte und am Ende aussichtslose Strampelei ums viel zitierte kleine Glück, schreibt Christine Wahl im Tagesspiegel (14.1.2018). Im Wesentlichen zeitlos und auf die rührseligen Szenen konzentriert, bringe er den Stoff auf die Bühne. "Elisabeths Gegenspieler sind und bleiben eindimensional böse. (…) Sie sind fiese, stromlinienförmig gegelte, gewissenlose Abziehbilder. Und damit letztlich ziemlich ungefährlich."

Horváths bitteres Gesellschaftsstück erzähle Mican als zeitlos tragische Liebesgeschichte zwischen Polizist Alfons und Elisabeth, schreibt Barbara Behrendt im Deutschlandfunk (14.1.2018). Allein die Gesellschaft, die sie umgebe, erstarre in greller Überzeichnung. "Frei von Sentimentalität ist das, zusammen mit Daniel Kahns gefühlvollen Songs, freilich nicht – aber es ist ja nicht so, als hätte das Theater in Deutschland derzeit unter einem 'zu viel' an Emotionen zu leiden."

"'Glaube Liebe Hoffnung' geht immer noch an die Nieren, weil es so gnadenlos - und zeitlos - von der Sackgasse am unteren sozialen Rand erzählt." Der Abend sei sympathisch, kurzweilig und in Teilen berührend, so Nadine Kreuzahler vom Inforadio (14.1.2018).

"Horváth stellt Elisabeth keine differenzierten und empathischen Figuren gegenüber, sondern von Elend und Elendsangst demolierte Egoisten. Im Gorki werden geschniegelt monströse, aus der Zeit gerissene Schaufensterpuppen daraus", schreibt Ulrich Seidler in der Berliner Zeitung (14.1.2018). Einzig die Figuren Elisabeth und Alfons würden nicht kalt denunziert. Dass die Inszenierung eine furchtlos pathetische Tiefe bekomme, liege an der Musik von Daniel Kahn.

Mican, "einer der großen, warmherzigen Geschichtenerzähler des Gegenwartstheaters", habe "Glaube Liebe Hoffnung" "schön direkt und schlackenfrei" inszeniert, findet Peter Laudenbach in der Süddeutschen Zeitung (17.1.2018). Micans Regie widerstehe dabei der Versuchung, all die empathiefreien Funktionsträger zu George-Grosz-Karikaturen zu machen. "Ihre Kaltherzigkeit kennt sentimentale Einschübe, sie ist nicht aggressiv, sondern selbstverständlich."

Der Regisseur setze "voll auf das expressionistische Krisen-Ambiente aus der Entstehungszeit des Stücks", schreibt Simone Kaempf in der taz (19.1.2018), und stelle "seiner integeren Frauenfigur hart überzeichnete Charaktere entgegen." Er zeige immer wieder "sein geschicktes Händchen fürs Melodram, entwickelt einen Charme, mit dem er in seinen Inszenierungen immer wieder Liebesgeschichten mit Identitätssuche verwebt und mithilfe der Musik sensibel an den Gefühlen kitzelt." Insgesamt sei der Abend "eine Achterbahnfahrt zwischen Gefühlsbeichten und expressionistischer Erstarrung."

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