Der Umstrittene geht

Berlin, 13. April 2018. Chris Dercon, der seit seiner Ernennung heftig umstrittene Intendant der Berliner Volksbühne, tritt zurück. Das meldet der Rundfunk Berlin Brandenburg auf seiner Webseite. Erst zu Beginn der laufenden Saison, im Herbst 2017, hatte Dercon, vormals Direktor der Londoner Tate Modern, die Nachfolge des langjährigen Volksbühnen-Intendanten Frank Castorf angetreten.

In einer Senatsmitteilung heißt es dazu: "Der Senator für Kultur und Europa, Klaus Lederer, und der Intendant der Volksbühne, Chris Dercon, haben sich einvernehmlich darauf verständigt, die Intendanz von Chris Dercon mit sofortiger Wirkung zu beenden. Beide Parteien sind übereingekommen, dass das Konzept von Chris Dercon nicht wie erhofft aufgegangen ist, und die Volksbühne umgehend einen Neuanfang braucht."

Der Senator für Kultur und Europa Klaus Lederer sagt: "Ich habe den designierten Geschäftsführer der Volksbühne, Klaus Dörr, gebeten, in dieser Situation kommissarisch die Geschäfte des Intendanten übernehmen. Im Übrigen ist es mir wichtig zu betonen, dass die persönlichen Angriffe und Schmähungen aus Teilen der Stadt gegen Chris Dercon in der Vergangenheit inakzeptabel waren. Solche Formen der Auseinandersetzung sind unwürdig und entbehren jeder Kultur."

Update 13. April 2018. Im Anschluss an eine Mitarbeiter*innenversammlung an der Volksbühne stellte Kultursenator Klaus Lederer am Mittag vor Journalist*innen die Rückkehr zum Ensemble-und-Repertoirebetrieb an der Volksbühne in Aussicht (siehe Video). Interimsintendant Klaus Dörr beschrieb die Atmosphäre in der Belegschaft als "gelöst". Er werde probieren, noch für diese Spielzeit weitere Produktionen zu verabreden. Stuttgarter Inszenierungen werde er "natürlich nicht" nach Berlin mitnehmen, sagt Dörr am Tag drauf im Interview mit den Stuttgarter Nachrichten. "Sie gehören ja dem Theater." Alle bereits eingegangenen Verabredungen für Produktionen würden eingehalten. Es gebe Verabredungen für den Herbst – "und eine Lücke, die sinnvoll zu füllen ist". Er werde darüber nachdenken, Inszenierungen einzukaufen, zu adaptieren. "Und ich denke auch an ein bis zwei Neuproduktionen." Es werde eine Weile dauern, das Theater in ein gutes Fahrwasser zu bekommen. "Was und welche Inszenierungen wir bringen, hängt von so vielen Faktoren ab, auch von der Verfügbarkeit der Schauspieler, von Geld. Es gibt zurzeit kein Ensemble, man muss für alles Gäste verpflichten", so Dörr: "Ich versuche es zu ermöglichen, dass sich wieder ein Ensemble bilden kann. Schauspielerinnen und Schauspieler kommen wegen guter Regisseure, Stücke, Konzeptionen."

Update 19. April 2018. In einer Gemeinsamen Presseerklärung zur Beendigung der vertraglichen Beziehungen zwischen dem Land Berlin und Chris Dercon wird ausgeführt, dass Dercon, der ab 12. April 2018 von seiner Tätigkeit als Intendant der Volksbühne freigestellt ist, bis zum 31. Dezember 2018 seinen Dienstvertrag mit der vereinbarten Vergütung behält. Weitere Abfindungen werden nicht erwähnt. Die Vertragsparteien "legen Wert darauf, festzustellen, dass die Beendigung des Vertragsverhältnisses im Wesentlichen der Notwendigkeit eines konzeptionellen Neuanfangs und nicht der aktuellen finanziellen Situation der Volksbühne geschuldet ist", heißt es in der Pressemitteilung.

(rbb.de / Senat für Kultur und Europa / Stuttgarter Nachrichten / ape / chr / sd)

 

Für nachtkritik.de kommentiert Esther Slevogt den Schlusspunkt der Intendanz von Chris Dercon.

Hier eine Auswahl an Stimmen aus den Medien zum Ende der Dercon-Intendanz.

Mehr zur Debatte um Chris Dercon: nachtkritik.de-Redakteur Christian Rakow fasst den Stand der Dinge in einem einordnenden Text zusammen (September 2017).

Ein Kommentar von Christian Rakow und Anne Peter zur Rolle der Berliner Kulturpolitik, die sich ihrer Verantwortung in der Causa entzog. (Dezember 2017).

 

 

 

Berlins Kultursenator Klaus Lederer zum Rücktritt von Volksbühnen-Intendant Chris Dercon © sd

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