Dunkeldeutschland

von Alexander Jürgs

Mainz, 28. April 2018. Wenn der Spielmann Volker von den Hunnen spricht, klingt es wie bei Pegida. Er warnt vor den Horden, die unsere Kultur mit Füßen treten, vor denen, die alles überrollen, die wild wüten. Ein Dutzend Marionetten, nackte Körper und große Augen, trägt er in seinem "Imaginarium", einer fahrenden Theaterbude, vor sich her. Sie treten den Dürer-Hasen aus dem Weg – genauso wie die alten Bücher. Volker schürt die Angst vor dem Fremden und den Hass der Soldaten, er strickt am Mythos. Sterben aber wird Siegfried bekanntlich nicht von Hunnenhand, sondern bei der Jagd, hinterrücks aufgespießt von Hagen Tronje. Die verwundbare Stelle am Rücken des Drachentöters hatte Kriemhild, in der falschen Hoffnung, den Geliebten dadurch zu schützen, extra noch markiert.

Die Nibelungen, deutsches Nationalepos, Heldensage, viel Blut und viel Boden. Jan-Christoph Gockel, Hausregisseur am Mainzer Staatstheater, Jahrgang 1982, macht daraus einen temporeichen Theater-Blockbuster in Tiefschwarz. Klamaukig geht es los, mit dem Spielmann (Michael Pietsch) und seinen Puppen, der vom Helden Siegfried erzählt und den goldglitzernden Drachen über die Bühne tanzen lässt, und mit dem Burgunderkönig Gunther (Sebastian Brandes), der nach Zustimmung giert und dabei eine ziemliche Lachnummer abgibt.

DieNibelungen 1 560 AndreasEtter uJulia Kurzwegs "Nibelungen"-Bühne in Mainz. Turnend und posend: : Lorenz Klee, Sebastian Brandes, Julian von Hansemann, Henner Momann   © Andreas Etter

Drei Nornen treten auf, weibliche Wesen, die von Göttern, Elfen oder Zwergen abstammen und das Schicksal beeinflussen können. Drei männliche Darsteller geben sie in fleischfarbenen Anzügen, mit ausladenden Brüsten und viel, viel Schamhaar. Das ist alles sehr schräg und auch komisch. Doch je länger das Stück läuft, umso mehr wird aus dem Hofklimbim ein Schlachtfeld, weicht der Humor der Zerstörung, umso düsterer, bedrohlicher, konzentrierter wird es.

Ein vergiftetes Stück

In Gockels Inszenierung ist es durchgehend dunkel. Theaternebel wabert über den Boden, das grelle Licht schafft Caravaggio-Momente, die hölzernen Beine eines Riesen stehen mitten auf der Bühne. Dazu musiziert der schwedische Musiker Andreas Catjar live: düsterer Electro, Tangerine-Dream-Kitsch, Noise. Alles schwer, alles unverwechselbar deutsch. Kriemhilds Gegenspieler Hagen hat einen Mantel übergeworfen, wie ihn auch die SS-Männer getragen haben, ein riesiger Schmiss ziert sein Gesicht, Henner Momann spielt ihn als kaltschnäuzigen Strategen der Macht. Lorenz Klee als Gerenot, Bruder des Königs, trägt ein weißes Sweatshirt mit poppigem Designadler (ein Kleidungsstück, das bei Identitären bestimmt hoch im Kurs stehen würde) über dem runden Bauch. Der andere Königsbruder Giselher, den Julian von Hansemann gibt, tritt als waschechter Bayer auf, in zünftigen Lederhosen, den eigenen Katholizismus stolz zur Schau tragend. Bevor er auf die Unschuld des Mörders Hagens schwört, legt er das Kreuz vorsichtshalber aus der Hand. Leoni Schulz als nordische Königin Brunhild tritt als kalt-stählerner Tomboy im Ritterpanzer auf.

Die Nibelungen Nicolas Fethi Türksever c Andreas EtterDer Siegfried von Nicolas Fethi Türksever zwischen den Beinen des hölzernen Riesen. Fritz Lang lässt grüßen. © Andreas EtterGockel zeigt Hebbels "Nibelungen" als ein vergiftetes Stück, als von den Rechten gekaperten Mythos. Er zeigt, wie die Kultur instrumentalisiert wird, wie die Zeit die Sicht auf einen Stoff prägt und verändert. "Treue, Treue, Treue", brüllen seine Burgunder, als ihnen bewusst wird, dass sie in Kriemhilds tödliche Falle getappt sind ("Mord um Mord"), es ist genau die "Nibelungentreue", die die Nazis den Wehrmachtsoldaten in Stalingrad abverlangt haben. Manchmal schießt Gockel zwar über das Ziel hinaus und es wird allzu plakativ (wenn sein Gunther in den Tonfall Hitlers wechselt oder am Lagerfeuer Deutschländer-Würstchen verspeist werden), doch im Gros bleibt seine Deutung schlüssig und stark. Und er setzt auch einen kräftigen Kontrapunkt: Sein Siegfried (Nicolas Fethi Türksever) erscheint nicht als blonddeutscher Impulsivling, sondern als Hipster mit Migrationshintergrund. Sein Kuschelpullover, den nach der Hochzeitsnacht seine Kriemhild (Anika Baumann) wie eine Trophäe trägt, ist aus rosafarbener Wolle gestrickt.

"Es lebe der Hass"

Zum großen Gemetzel wird die Drehbühne angeschmissen. Die Nibelungen haben sich in Volkers Theaterwagen verschanzt, die Musik wird immer lärmiger, immer nervöser. Andreas Catjar trägt nun die Krone des Hunnenkönigs Etzel, während er die Sound-Knöpfe dreht oder die Gitarre spielt. Gerenot versucht, den Lauf der Geschichte aufzuhalten. "Ich will nicht mehr, ich will nicht mehr, ich wollte doch immer nur Konditor werden", fleht er seine Mitstreiter an. Und ist trotzdem schon ein paar Augenblicke später tot.

Wer seinen Stücktod nicht erlebt, sind dagegen Hagen und Gunther. Dreimal spielen sie zwar ihr Ende, wie es die Legende für sie vorsieht und wie es auch von Hebbel erzählt wurde, fleißig durch, doch Kriemhild lässt weder Gunther töten, noch vollzieht sie die eigenhändige Tötung ihres Erzfeindes Hagen. Stattdessen thront sie gemeinsam mit Brunhild über den Männern, gemeinsam zitieren sie die Ophelia aus Heiner Müllers "Hamletmaschine": "Im Herzen der Finsternis. Unter der Sonne der Folter. An die Metropolen der Welt. Im Namen der Opfer", skandieren die Frauen. "Es lebe der Hass, die Verachtung, der Aufstand, der Tod", rufen sie. Dann erlöscht das Licht.

 

Die Nibelungen
von Friedrich Hebbel
Regie: Jan-Christoph Gockel, Bühne: Julia Kurzweg, Kostüme: Sophie du Vinage, Puppen: Michael Pietsch, Musik: Andreas Catjar, Licht: Peter Meier, Dramaturgie: Jörg Vorhaben, Dramaturgie Mitarbeit: Bernd Ritter.
Mit: Sebastian Brandes, Henner Momann, Michael Pietsch, Julian von Hansemann, Lorenz Klee, Nicolas Fethi Türksever, Monika Dortschy, Anika Baumann, Leoni Schulz, Armin Dillenberger, Martin Herrmann, Johannes Schmidt, Andreas Catjar.
Dauer: 3 Stunden 40 Minuten, eine Pause

www.staatstheater-mainz.com

 

Kritikenrundschau

"In bewährter Gauklermanier hat Regisseur Jan-Christoph Gockel Hebbels monumentales Trauerspiel in eine Saga umgegossen, deren archaische Bildgewalt mit einer cleveren Aufrauung des finsteren Stoffes durch Perspektivwechsel korrespondiert", schreibt Michael Jacobs im Darmstädter Echo (30.4.2018) und ist auch sonst recht angetan von dem Abend. Vom Überlebensgroßen gehe es ins Menschen- und Marionetten-Kleine. "Überhaupt verzichtet Gockel auf heroisches Überagieren, baut mehr auf die poetische Suggestivkraft seines Fantasy-Settings."

"Geschickt hat Gockel so das komplexe Nibelungenlied, das die Grundlage für Hebbels Trauerspiel bildet, reduziert und den heldenhaften Kampf mit komödiantischen Szenen ausbalanciert", findet Andrea Pollmeier in der Frankfurter Rundschau (2.5.2018). Vor der Macht der Herrschenden gebe es trotz der eingefügten Späße kein Entrinnen.

Puppenspiel, Live-Video-Einspielungen, wabernde Elektrosounds – Gockel zeige einen durchaus unterhaltsamen, manchmal komischen und flotten Hebbel, so Astrid Biesemer in der Frankfurter Neuen Presse (2.5.2018). "Mit seinem Stoff und dessen Wirkungen aber hat er sich gründlich auseinandergesetzt. Und schonungslos."

Wer sich an Hebbels Stück wage, müsse von An­fang an groß den­ken, "viel Ma­te­ri­al in ei­nen Abend pres­sen und die un­se­li­ge Vor­ge­schich­te des durch Wil­hel­mi­nis­mus und Na­tio­nal­so­zia­lis­mus kon­ta­mi­nier­ten Stof­fes ir­gend­wie mit­den­ken", argumentiert Matthias Bischoff in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (2.5.2018). Die­se Ar­beit habe Go­ckel größ­ten­teils dem Pro­gramm­heft über­las­sen. "Auf der Büh­ne bleibt jed­we­der re­zep­ti­ons­ge­schicht­li­che An­satz au­ßen vor", werde die Ge­schich­te "kon­se­quent ver­juxt". "Thea­ter­theo­re­tisch mag man es De­kon­struk­ti­on nen­nen oder mit Brecht 'Zer­stö­rung durch Lä­cher­lich­keit', ganz schlicht geht aber auch: Ko­ko­lo­res."

 

 

Kommentare  
Die Nibelungen, Mainz: too much
Ja die Inszenierung hätte eigentlich etwas werden können.
Jedenfalls war es eine ton- und durchaus auch bildgewaltige große Show mit vielen liebevoll ausgearbeiteten Details.

Aber wie es eitle Regisseure mit ihren Darbietungen eben so an sich haben, sie möchten selbst ganz groß herauskommen, sei es mit eigenwilligen und "witzig" gemeinten eigenen Textschnipseln oder den ostentativ hängenden Brüsten der als Transgenders völlig unnötig dauernd in den Vordergrund gespielten Nornen. (...)

Viele gute Ansätze, aber am Ende einfach too much !
Wenn man nach gefühlen 2 Stunden in der Pause nach Hause geht, hat man seinen Spaß gehabt und genug gesehen. Der Rest ist nur noch Demolition Show.

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