Presseschau vom 4. Juli 2018 – Der Berliner Tagesspiegel spricht mit dem Intendaten der Berliner Festspiele Thomas Oberender über das große Immersions-Projekt "Dau"

Unguter Einfluss oder Hilfe zur Heilung?

Unguter Einfluss oder Hilfe zur Heilung?

7. September 2018. Im Berliner Tagesspiegel führt der Co-Feuilleton-Chef Rüdiger Schaper ein kritisches Interview mit dem Intendanten der Berliner Festspiele Thomas Oberender. Das Thema: Das für Oktober geplante, große Immersionsprojekt "Dau", für das vier Wochen lang zwischen Staatsoper Unter den Linden und Schlossplatz ein Areal mit einer Replika der Berliner Mauer umgeben werden soll. In dieser Zeit sollen 13 Filme des russischen Filmemachers Ilya Khrzhanovsky uraufgeführt werden, die in den letzten Jahren in der Ukraine entstanden sind. Für die Filme hatten Hundert Spieler*innen "für mehrere Jahre in der fiktiven Welt eines wissenschaftlichen Instituts" in der Sowjetunion "ganz real zusammengelebt" und sich dabei filmen lassen.

Der Künstler

Rüdiger Schaper, der bekennt "Angst" zu haben vor "undurchsichtigen russischen Strukturen, die Einfluss ausüben, Demokratie zersetzen wollen", wirft den Berliner Festspielen vor, es handele sich bei "Dau" um eine Art Geheimprojekt oder doch um Geheimnistuerei, weil weder Regisseur Ilya Khrzhanovsky noch sein Geldgeber, der russische Millionär Sergej Adoniev öffentlich zu ihrem Projekt Stellung nähmen.

Oberender weist "den Vorwurf der Intransparenz" entschieden zurück. Es sei in den letzten zwei Jahren mit zahlreichen Menschen gesprochen worden, die das Projekt betreffe, Anwohner, Institutionen, Behörden. Khrzhanovsky, habe wie alle Künstler das Recht, "sich allein durch" sein "Werk zu äußern". Er befürchte, dass wenn er öffentlich spräche, es nur noch um ihn und nicht mehr um sein Werk ginge.

Der Mäzen

Schaper fragt: "Wie können Sie als Intendant der Berliner Festspiele sicher sein, dass der Sponsor des Projekts seriös und sauber ist?"

Oberender beteuert alles getan zu haben, "was uns möglich ist". Es gebe keine Verfahren gegen Sergej Adoniev. Weder in Russland noch in einem anderen Staat. Adoniev unterstütze "liberale Kunstprojekte" in Russland und die Regierungs-kritische "Nowaja Gazietta" in Moskau. Er habe als erstes für "Dau" die russischen Fördergelder zurückgezahlt. "So kann sich das Schicksal des Kirill Serebrennikow nicht wiederholen, der in Russland wegen angeblicher Veruntreuung von Staatsgeld verfolgt wird."

Kritik an der russischen Politik

Schaper kritisiert, dass die Berliner Festspiele auf ihrer Pressekonferenz zum Dau-Projekt keine "klare Haltung" zu den Fällen des in Hausarrest befindlichen Theaterregisseurs Kirill Serebrennikow und des inhaftierten Filmregisseurs Oleh Senzow bezogen hätten.

Oberender weist das als "Unterstellung und seltsame Betrachtungsweise" zurück. Die Filme von Ilya Khrzhanovsky könnten in Russland nicht gezeigt werden. Die Berliner Festspiele wollten dies nun möglich machen.

Das Projekt

"Dau" habe "zwei Ebenen". Die eine sei das "Filmprojekt über das Leben einer Gruppe von Wissenschaftlern in einem Moskauer Institut zwischen 1938 und 1968". Dabei seien "rund 700 Stunden Film entstanden". Die andere Ebene sei das Kunstprojekt "Dau-Freiheit". "Hierfür soll durch eine Replika der Berliner Mauer ein Areal entstehen, in der sich die reale Welt eines Stadtviertels mit der fiktionalen von Khrzhanovsky mischt." Man reise hinter die Mauer quasi "in ein anderes Land", in dem es "Performances, Konzerte, eine besondere Form von Gastronomie und vieles mehr" gebe.

Ob er, Oberender, sich vorstellen könne, dass diese neue Berliner Mauer Menschen verletze, fragt Schaper.

Oberender: "Absolut. Die Mauer ist in Berlin sicher das schmerzhafteste Symbol für Teilung und den Verlust von Freiheit." Aber Deutschland sei seit der Öffnung der Mauer nie getrennter, zerrissener gewesen als jetzt. "Mit der Mauer berühren wir diese Wunde. Deswegen bin ich bei dem Projekt dabei."

(jnm)

 

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