Macht mal Pause!

von Michael Wolf

15. Januar 2019. Oft höre ich, man solle Regisseure nicht mehr als Genies betrachten. Diese Forderung mag berechtigt sein, aber sie geht an den Produktionsbedingungen des Theaters weit vorbei. Nicht wenige Regisseure inszenieren 4 bis 6 Arbeiten im Jahr. Schon aus zeitlichen Gründen müssen die Musen ihnen da unter die Arme greifen. Ohne Hilfe von oben ist so ein Pensum gar nicht zu schaffen.

Ich habe das mal grob durchgerechnet. Eine Spielzeit abzüglich der Sommerpause dauert höchstens 46 Wochen. Üblicherweise kommen Produktionen nach 6 bis 8 Wochen zur Premiere, gehen wir von 6 Wochen aus. Bei 4 Produktion bleiben also gut 5 Wochen pro Inszenierung für alles, was Regisseure sonst noch zu tun haben: Recherche, das Sondieren von Stücken und Romanen, die Sichtung von Filmen für eine etwaige Adaption, die Erstellung einer Spielfassung.

kolumne wolfÜberfrachtung des Terminplans

Hinzu kommt die Konzeption der verabredeten Arbeit, Besprechungen mit Dramaturgen, Kostüm- und Bühnenbildnern, Bauproben, die Auswahl von Schauspielern undsoweiter. Bei fünf Inszenierungen pro Spielzeit bleiben für all das nur noch drei Wochen. Selbstvermarktung durch Kontakte zur Presse, zu Autoren, Festivals und Intendanzen und weiteres Lobbying in eigener Sache sind da noch gar nicht drin.

Nicht nur Schauspieler arbeiten zu viel, auch eine gewisse Klasse Regisseure müsste dem Burnout nah sein. Persönlich verübeln möchte ich ihnen die Überfrachtung ihres Terminplans nicht. Es sind Künstler, etwas Selbstüberschätzung gehört dazu. Sie wollen ihre Arbeiten zeigen, sie wollen ein Publikum gewinnen, sicher wollen sie auch etwas Geld verdienen.

Zum Beispiel Lastwagenfahrer

Dass sie kaum geeignet für eine Familiengründung oder überhaupt ein Privatleben sein dürften, sei dahingestellt. Es geht mich nichts an, wenn ihre Partner oder Kinder sie nur vom Hörensagen kennen. Aber als Zuschauer fühle ich mich schon hin und wieder allein gelassen. Denn der Verschleiß ist auf der Bühne nicht zu übersehen. Im Fußball verwenden Kommentatoren in diesen Fällen das schöne Adjektiv "überspielt".

Lastwagenfahrer müssen sich an Ruhezeiten halten, in den Intendanzen scheint niemand misstrauisch zu werden, wenn Regisseure eine Produktion nach der anderen auf die Bretter wuchten. Gerade prominente Namen gelten als Versprechen. Man will halt mal wieder diesen oder jenen als Kirsche auf der Torte namens Spielplan haben.

Noch mehr Beispiele

Die Regie vertraut also auf die allgemeine Begeisterung über das eigene Talent und inszeniert irgendwas zusammen, was in drei von vier Fällen durchfällt und rasch vom Spielplan fliegt. Die vierte Produktion sorgt für das Weiterbestehen des Rufs als Wunderkind, woraufhin eine Flut neuer Angebote eingeht. (Beispiel Ersan Mondtag)
Andere Regisseure sparen viel Zeit dadurch, sich kaum noch Gedanken über die einzelnen Stücke, machen zu müssen, inszenieren sie doch ohnehin alles in der gleichen Ästhetik. Ein Aischylos darf bei ihnen im Zweifel genau wie ein Shakespeare oder Ibsen klingen, und gerne auch dieselbe Botschaft verbreiten. (Beispiel Michael Thalheimer)
Im schlimmsten Falle sind die ständig beschäftigten Regisseure auch noch stilprägend geworden. Viele junge Regisseure scheinen ihren Auftrag im Kopieren eines Großmeisters zu sehen. (Beispiel Frank Castorf)

Mehr Vertrauen wagen

Das ist nicht nur furchtbar öde, es hemmt auch die Entwicklung. Unfair wäre es, dem Nachwuchs einen Vorwurf zu machen. Wie soll man sich und seinen Stil etablieren, wenn die große Bühne immer schon von einem erfolgreichen Kollegen besetzt ist? Der Ball liegt bei den Theatern. Sie sollten mehr Vertrauen in unbekannte Namen setzen. Und die Stars hin und wieder auf die Ersatzbank schicken.

 

Michael Wolf, Jahrgang 1988, ist Redakteur bei nachtkritik.de. Er mag Theater am liebsten, wenn es schön ist. Es muss nicht auch noch wahr und gut sein.

 

Zuletzt bat Michael Wolf die Theaterschaffenden, doch bitte wieder etwas mehr an die eigene Kunst zu glauben.

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