Die als erste in den Kampf ziehen

von Sophie Diesselhorst und Elena Philipp

Berlin, 25. Januar 2019. Was ist eigentlich mit der Volksbühne? Erstaunlich ruhig ist es geworden um den Aufreger der letzten drei Jahre. Mit Gastspielen bewährter Erfolgs-Inszenierungen aus Hamburg, Hannover und Stuttgart füllt Interimsintendant Klaus Dörr das Haus und hält Berlins Kultursenator Klaus Lederer den Rücken frei, damit der in Ruhe eine*n Nachfolger*in bestimmen kann. Zu sagen, dass die Entscheidung mit Spannung erwartet wird, wäre eine gehörige Untertreibung.

Der Volksbühnenkongress und seine Ergebnisse

Wie ist also die Lage? Klare Statements sind schwer zu bekommen. Obwohl der Findungsprozess eigentlich im Juni 2018 mit einem Transparenzversprechen eröffnet wurde: Zwei Tage lang versammelte Klaus Lederer in der Akademie der Künste bei einem öffentlichen "Volksbühnen-Symposium" diverse Akteur*innen. Es wurde über die ältere und jüngere Geschichte der Volksbühne geredet und auch gestritten. Was das Symposium nicht ergab, war eine Klarheit über die Kriterien, die für die Suche nach einer neuen Intendanz der Volksbühne entscheidend sein müssten.

 adK 560 lederer2 David BaltzerKultursenator Klaus Lederer beim Volksbühnenkongress 2018 © David Baltzer

Für den Kultursenator hat das Ergebnis gleichwohl genügt. Auf Nachfrage von nachtkritik.de antwortet er: "Der Volksbühnen-Kongress am 15. und 16. Juni hatte ja unter anderem zum Ziel, Anforderungen an die Volksbühne der Zukunft zu formulieren, was kann und muss ein Ensemble- und Repertoiretheater in Berlin heute leisten. Sie können davon ausgehen, dass sich die Ergebnisse des Kongresses in den Kriterien an die Findung einer neuen VB-Intendanz wiederfinden." Man habe inzwischen Bewerbungen und Vorschläge entgegen genommen, konsultiere Berater*innen, erstelle eine Shortlist, werde diese wiederum mit den Berater*innen besprechen und zum Frühsommer seine Entscheidung mitteilen.

Der Kultursenator als Königsmacher

Lederer lässt außerdem wissen: "Transparenz im Sinne einer 'offenen Bühne' kann und wird es nicht geben. Es wird am Ende eine Entscheidung für eine Intendanz geben – Zweit- oder Drittplatzierte werden dabei ebenso wenig öffentlich gemacht, wie die Bewerber_Innenlage."

So offen und zukunftsorientiert sich Berlins Kultursenator als Politiker gerne darstellt, machtpolitisch handhabt Klaus Lederer die Neubesetzung der Volksbühnen-Intendanz also auf hergebrachte Weise – der Kultursenator als Königsmacher. Dabei kündet seine Antwort auf die Transparenz-Frage von einem Missverständnis: Transparenz bedeutet ja nicht zwingend Basisdemokratie. Eine direkte Mitbestimmung der Stadtgesellschaft wäre vermutlich nicht zielführend und war auch nicht zu erwarten. Durchaus aber eine öffentliche Mitteilung, wie das Berufungsverfahren verläuft, oder auch, anhand welcher Kriterien es erfolgt. Nach den Wellen, die die Vorgänge um die Volksbühne in den letzten Jahren in der Stadt geschlagen haben, wäre das geboten.

Das große Casting

Was passiert derweil in der Volksbühne? Im November und Dezember liefen die Vorsprechen für ein 15-köpfiges Ensemble. Mit dabei die Regisseur*innen, die im Interim arbeiten, also Susanne Kennedy, Constanza Macras, Claudia Bauer, Thorleifur Örn Arnarsson, Kay Voges und Stefan Pucher. Geplant sind für die Spielzeit 2019/2020 zehn Eigenproduktionen und eine Koproduktion mit einer Tanzcompany. Dafür braucht es künstlerisches Personal, selbst wenn man in der Übergangszeit nur kurzfristige Verträge anbieten kann.

KayVoges 560 MarcelUrlaub uDerzeit Intendant in Dortmund: Kay Voges © Marcel Urlaub

Engagieren die Verantwortlichen aber nur für die kommende Spielzeit oder auch darüber hinaus? Sind unter den oben Genannten die künftigen Leiter*innen des Hauses? Als Kandidat*innen werden sie längst gehandelt. Kay Voges etwa hat jüngst bekannt gegeben, seine Intendanz in Dortmund 2020 zu beenden. Er könnte also pünktlich als Intendant der Volksbühne antreten. Auf Nachfrage will Voges weder bestätigen noch dementieren, den Job in Berlin anzustreben oder in Gesprächen mit der Berliner Kulturverwaltung zu sein. Am klarsten antwortet er auf die Frage, ob er sich vorstellen könnte, ein Haus im Kollektiv zu leiten: "Theater ist immer eine Kollektivarbeit, ich bin ein Teamplayer, glaube aber nicht an basisdemokratische Kunst".

Claudia Bauer, die auch eine Inszenierung fürs Interim beitragen wird und bei Kay Voges in Dortmund regelmäßig als Regisseurin arbeitet, dementiert auf Nachfrage von nachtkritik.de ebenfalls nicht, dass sie sich um den Job beworben hat. "Eine alleinige Intendanz kann ich mir nicht vorstellen", sagt Bauer. "Kunst-Diktatoren bringen nur sich selbst nach vorne." Die Volksbühne müsse für sie wieder ein Avantgarde-Theater sein, wo diejenigen tätig sind, "die als erste in den Kampf ziehen", so Bauer. Zum Interims-Konstrukt sagt sie: "Die Spielzeit kann geil werden, aber sie könnte noch geiler werden, wenn wir mehr Planungssicherheit hätten und Schauspieler*innen Verträge mit mindestens zwei Jahren Laufzeit anbieten könnten."

Die Debatte um neue Leitungsstrukturen

Angesichts der vielfältigen Erwartungen, die sich mit der Neubesetzung der Volksbühne verbinden, scheint die Entscheidung für eine kollektive Leitung oder zumindest eine Doppelspitze nicht unwahrscheinlich. Sie könnte im Sinne eines Kontinuitätsgedankens aus dem Interim heraus gebildet werden, nach dem Motto: Wenn ohnehin schon mehrere Regisseur*innen ein Ensemble casten, können sie auch gemeinsam mit ihm weiterarbeiten.

ClaudiaBauer 280 SandraThen uRegisseurin Claudia Bauer © Sandra ThenReagieren könnte, ja müsste die Neubesetzung des Intendanzpostens auf die Debatten um Machtmissbrauch und überkommene quasi-feudale Strukturen im Theater. Genauso wie eine Frau an der Spitze der Volksbühne ein wichtiges Zeichen setzen würde. Ob und in welcher Reihenfolge sich diese Debattenpunkte in seinem Kriterienkatalog niederschlagen, teilt Kultursenator Klaus Lederer allerdings auch auf wiederholte Nachfrage nicht mit.

Nachvollziehbar ist das für Maxim Gorki-Intendantin Shermin Langhoff: "Möglicherweise hat der Senator in dieser Frage bereits zu viele selbst ernannte Berater", antwortet sie auf die Frage nach wichtigen Berufungskriterien. "Und er hat ja neben den selbstverständlichen, künstlerischen Kriterien die politischen bereits formuliert, als er sagte: 'Alle Beteiligten sind sich einig, dass die Volksbühne diverser, weiblicher, jünger werden soll'. Dem kann ich mich nur anschließen."

Langhoffs Name fällt in den Spekulationen auch immer wieder, sie schreibt aber auf Nachfrage, sie habe sich "bis dato" weder beworben noch sei sie von der Kulturverwaltung angesprochen worden: "Aber ich würde mich sofort  mit einem Kollektiv von Künstler*innen bewerben für das Deutsche Theater ab 2022. Das Konzept steht."

Die Kaltstellung der Aktivist*innen

Die lautstärksten Ansprüche auf neue Leitungsstrukturen artikulierten sich im September 2017 bei der Besetzung der Volksbühne durch Aktivist*innen. Allerdings waren sie seinerzeit noch im Stadium der Blumigkeit, angetrieben von diffusen Energien, die sich vor allem aus der Kritik an der Intendanz von Chris Dercon speisten. Für eine Einbindung der Besetzer*innen in ein Zukunftskonzept für die Volksbühne spricht sich die Hamburger Kampnagel-Intendantin Amelie Deuflhard aus. Sie hatte sich schon beim Volksbühnen-Symposium der AdK für die Gruppe eingesetzt – gegen die sich wiederum Lederers Abwehr gegen eine basisdemokratische Lösung richten könnte.

Die Initiative "Staub zu Glitzer" hatte Vertreter*innen der Kulturverwaltung und der Interims-Volksbühne am 22. Mai 2018 ein Modell für einen kollektiven Findungsprozess vorgelegt – hat aber vom Kultursenator nichts mehr gehört, wie "Staub zu Glitzer"-Frontfrau Sarah Waterfeld sagt. "Es ging ja nie drum, dass wir selber was an der VB machen wollen, sondern darum, Stadttheater neu zu denken. Theater hat für die breite Gesellschaft keine Bedeutung. Das könnte anders sein." Auch Evelyn Annuß, Initiatorin der Volksbühnen-Petition, ist von Lederer nicht mehr kontaktiert worden, wie sie mitteilt – Annuß hatte sich beim Volksbühnen-Kongress mit Vehemenz für eine Beteiligung der Öffentlichkeit ausgesprochen.

Eine Chance, die Stadtgesellschaft mitzunehmen

Die Volksbühnen-Debatte hatte gezeigt, wie stark ein Theater, seine Kunst, seine Kultur im Leben der Leute wirken können und wie entsprechend hartnäckig das Publikum seine Ansprüche an die Kulturpolitik heranträgt. Ein riesiges Pfund, mit dem das Haus wuchern kann. Die Politik ebenso. Mag sein, dass die Rufe nach Kollektivität, Internationalität, Weiblichkeit in der Intendant*innensuche einen Nachhall finden – und dass taugliche Leitungsmodelle auch im Hinterzimmer zu basteln sind. Aber der Kultursenator hat sich für den Moment mindestens die Chance vergeben, die Politik näher an die Stadtgesellschaft heranzuführen.

"Kulturpolitische Entscheidungsprozesse müssen auch im Bereich der öffentlichen Kulturinstitutionen transparenter werden. Der Entscheidung über die Neubesetzung von Leitungspositionen müssen Debatten mit den Häusern über die zukünftige konzeptionelle Ausrichtung vorausgehen. Evaluationen, Ausschreibungen und Auswahlkommissionen sollten auch im Kulturbereich üblich werden." So steht es im Koalitionsvertrag der rot-rot-grünen Berliner Regierung, auf Papier, das bekanntlich geduldig ist.


Hier lesen Sie den Bericht über das im Text erwähnte Symposium "Vorsicht Volksbühne!" im Juni 2018. Die Videodokumentation der Veranstaltung findet sich hier.

 

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