Omis, Säufer, Pommes-Esser

von Jan Oberländer

Berlin, 9. Oktober 2008. Im Hebbel-Theater sind sieben Leinwände zum Halbkreis angeordnet, von der Decke hängt ein Kranz aus sieben Beamern. Das Publikum nimmt auf der Tribüne davor Platz, Licht aus, Film ab. Eine Zylinderzauberin tritt ins Bild, Sarah Thom schaltet, pling, mit ihrem Zauberstab die restlichen Leinwände ein, bis die Zuschauer ein zehn Bühnenmeter breites Panoramabild vor sich haben.

Willkommen auf dem Mehringplatz in Kreuzberg. In der Mitte das unspektakuläre Ende der Friedrichstraße, links ein Döner-Restaurant, rechts ein Optiker. Dazwischen rennen und radeln je nach Tageszeit mal mehr, mal weniger Menschen herum.

Gob Squads neue Produktion "Saving the world" hatte am 12. Juni auf Kampnagel in Hamburg Premiere, im September lief es in Mannheim. Jetzt ist Berlin dran. Der Titel klingt zunächst etwas überambitioniert. Das Verb "to save" muss hier allerdings nicht als "retten", sondern als "abspeichern" verstanden werden.

Schnitte per Zauberstab

24 Stunden lang haben Gob Squad auf dem Mehringplatz fürs Archiv gearbeitet, haben versucht, das kleine Konkrete als Stichwort fürs große Allgemeine zu nehmen. Der Film soll eine Zeitkapsel sein, das Dokument eines "ganz normalen Tages Anfang Oktober 2008". Das ist allein schon als Dokument interessant.

Man sieht Schulkinder, Müllwerker, Studenten, Säufer, Kopftuchmädchen, Mütter mit Kinderwagen, eine Omi mit Rollator und viele ohne, einen Pommes-Esser und eine dänische Schulklasse. Unter anderem. Dazwischen versuchen die Performer Berit Stumpf, Sharon Smith und Simon Will, die Jetztzeit darzustellen. Das Publikum, das den Film in hundert Jahren sieht, könnte schließlich vergessen haben, was ein Baum ist. Oder Nachrichten. Oder die Ausbeutung Afrikas.

Also wird das alles so engagiert wie improvisiert erklärt, zwischendurch werden Passanten zum Thema befragt, zu Geld und Kultur, zu ihren Lebensplänen und dem schönsten Moment des Tages. Nur leider passen die Performer ihr Tempo dem eiligen Schritt der Leute an, die zudem oft keine Lust zum Plaudern haben. So bleibt die ganze Sache ergebnisarm, ein Stichwort gibt das nächste, Schnitte werden per Zauberstab gesetzt.

Was machen die denn da?

Was den Abend über weite Strecken anstrengend macht, ist das Gewusel, die Jagd nach dem O-Ton. Die Performer springen in flatternden grünen Glitzercapes zwischen den Passanten herum, können die Leute aber nicht wirklich in die Show einbinden, weil die oft schlicht nicht verstehen, was die lustigen Freaks da eigentlich machen. Es gibt hier zu wenig Struktur und zu viel Glücksspiel. Zwar findet sich mal jemand, pling, für ein spontanes Statement ein, im Gesamtkontext sind dies aber kaum mehr als Schnipsel.

Nicht, dass nicht auch mal was entstehen würde. Wunderbar sind die Tableaus, wenn auf dem Sieben-Leinwände-Breitbild nicht der Betonplatz mit eiligen Menschen und aufgeregten Performern zu sehen ist, sondern jedes Bildfeld von einem einzelnen Menschen eingenommen wird. Beim Thema Geld etwa halten die verschiedensten Leute ihren Besitz in die Kamera: zwei Salatköpfe, eine Münze, eine Kreditkarte, ein Handy. Oder es werden Figuren gruppiert: Radfahrer, Raucher, Hundebesitzer, Frauen unterm Regenschirm. Das sind eindrückliche Porträts, kraftvolle Momente.

Auswurfhaken ins Jetzt

Gegen Ende treten Stumpf, Smith und Will dann in persona aus dem Zuschauerraum vor das Leinwand-Halbrund. Juhu, denkt man, jetzt kommt Live-Leben in Bude. Ist ja auch eine schöne Idee: Der Film-Simon-Will vom Anfang Oktober 2008 fragt den echten Simon Will auf der HAU-Bühne: "How are you?" Und der antwortet seinem alten Ego. Gute Idee. Persönlich und lustig und richtig und ein schöner Auswurfhaken ins Jetzt.

Bloß tun die Performer auf der Bühne viel zu schnell tatsächlich so, als unterhielten sie sich mit ihren Leinwand-Ichs, inklusive Fragen und Antworten und einem durchgeplanten "Lass uns einen trinken gehen"-Dialog. Warum wird da plötzlich jede Spontaneität rausgenommen? Warum wird nach all der Improvisation so gebremst? Da ärgert man sich ein bisschen. Umso mehr, weil die anschließend von Berit Stumpf nur kurz angespielte Idee, die Passanten auf ihren feststehenden Leinwandwegen wie Schauspieler zu dirigieren, eine viel schlauere und souveränere Art ist, auf der Bühne mit dem im Film fixierten Material zu spielen.

Aber man wird dann doch versöhnt. Nachdem die Performer wieder abgetreten sind und es knallt und zischt und die Scheinwerfer strahlen, wird nämlich eine Party gefeiert auf der Leinwand, wird das Jetzt gefeiert, der vergängliche Augenblick. Seifenblasen fliegen und zerplatzen, Kunstnebel wabert und verweht, und Smith und Will haben unglaublich lustige Kuscheltierpatchworkkostüme an und tanzen mit Passanten – auf dem Bildschirm ganz links lächelt eine Frau unter ihrem Kopftuch, es ist das schönste Bild des Abends.

 

Saving the World
von Gob Squad
Entwicklung: Martin Clausen, Johanna Freiburg, Sean Patten, Sharon Smith, Berit Stumpf, Sarah Thom, Laura Tonke, Bastian Trost, Simon Will. In Berlin spielen: Sharon Smith, Berit Stumpf, Sarah Thom, Simon Will.

www.gobsquad.com
www.hebbel-am-ufer.de

 

Kritikenrundschau

In der Berliner Zeitung (11.10.) meint Doris Meierheinrich, dass das "Panoramakino" von Gob Squad in "Saving the World" ein bisschen "an die Life-Film-Technik der Big Art Group" erinnere, "die das Spiel zwischen künstlichen und echten Welten in fantastische Höhen schraubt". Gob Squad bleibe dagegen "dicht am Boden mit ihrer abgefilmten Straßen-Performance, die nur als Film im HAU präsentiert wird und kaum interaktiv wird". Das Interessanteste an dem Abend seien die "Zeitsprünge, die jeden Augenblick in Perspektiven zerlegen", die eingefangenen Passanten-Meinungen blieben aber eher blass. Man vermisse in dieser "bunten Gute-Laune-Performance: Wut oder echtes Scheitern. Am besten geraten daher auch jene Momente, in denen niemand spricht: Gesichter schauen fragend ins Bild und man sieht Menschen, die sich darin verlieren."

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