Da will die Säge sägen

von Stefan Keim

Essen, 2. Oktober 2010. Im Film erscheint Katlewski wie ein Geist aus der Dunkelheit. Die Augen flackern im geschwärzten Gesicht unter dem Grubenhelm. Zwei Wochen ist er unter Tage gewandert, von Recklinghausen bis Dortmund. Nun taucht er in einer Kneipe auf, und alle schauen ihn an. Kinofans denken an Clint Eastwood als "Fremder ohne Namen". Eine melancholische Westernstimmung durchzieht Adolf Winkelmanns wunderbaren Film "Jede Menge Kohle", das Mittelstück seiner Ruhrgebietstrilogie. Hinter den derben Sprüchen und dem lakonischen Witz liegt viel Schwermut. Sie haben ihre Packen zu tragen, die Bergmänner und Brummifahrer.

Anfang der achtziger Jahre war das Ruhrgebiet noch richtig grau, wenn da etwas leuchten sollte, musste es von innen kommen. Im Essener Grillo-Theater dauert die Bühnenadaption gerade mal 75 Minuten. Obwohl Musikeinlagen dazu gekommen sind. Regisseurin Caroline Stolz und Dramaturgin Carola Hannusch haben aus dem langsamen, stimmungsvollen Film eine Trashkomödie gemacht.

Ein Desperado, der nach Freiheit strebt
Was zunächst einen recht unterhaltsamen Abend ergibt. Die Zuschauer bekommen Grubenlampen ausgehändigt, das Licht im Saal ist aus, das Parkett ein Lichtermeer. Die Schauspieler klettern auf den Metallstegen rund um das Publikum und am Rande der Bühne herum und brüllen sich Sätze zu. Die Welt unter Tage spielt über den Köpfen der Besucher. Die Bühne besteht aus einer großen Hauswand, die auf zwei Ebenen bespielt wird. Caroline Stolz nutzt diese Möglichkeiten mit handwerklichem Geschick. Illusionen werden ersetzt durch offen ausgestellte Theatereffekte.

Hinreißend gelingt die Szene, wie Katlewski sich als Kraftfahrer bewirbt und eine Proberunde samt Einparken drehen muss. Da stehen zwei Schauspieler an der Seite und machen mit Mund, Mülltonne und Tröte die Geräuschkulisse. Caroline Stolz inszeniert viele hübsche "Nümmerken", in denen die Schauspieler charmant ihr musikalisches Können und perfektes Komiktiming zeigen können. Die Schnitte zwischen den Szenen geschehen viel rasanter als im Film als wollte das Theater ein für allemal das Vorurteil pulverisieren, es sei das langsamere Medium. Doch die Geschichte gerät dabei in den Hintergrund, ganz zu schweigen von den Charakteren.

Katlewski ist bei Adolf Winkelmann ein anarchischer Querkopf, ein Desperado, der nach Freiheit strebt. Er braucht "jede Menge Kohle", um einen Kredit abzulösen, über 9000 Mark schuldet er der Sparkasse Recklinghausen. Jörg Malchow spielt ihn angenehm zurück haltend und authentisch, aber Katlewskis existentielle Ebene, den Aufbruch in ein neues Leben, zeigt er nicht. "Es kommt der Tag, da will die Säge sägen" ist zu einem Kultsatz geworden, weil dahinter ein Lebensentwurf steht, eine Dringlichkeit ohne Wenn und Aber. Davon ist auf der Bühne nichts zu spüren.

Die dunkle Seite der Ruhgebietsidentität
Überhaupt zahlt die Aufführung am Ende einen hohen Preis für ihr atemloses Slapsticktempo. Denn "Jede Menge Kohle" endet nicht in einem komödiantischen Happy-End. Weil den Figuren jede Tiefe fehlt, bricht die Inszenierung in sich zusammen. Man versteht gar nicht, warum die Säge sägen muss, wieso die amour fou, die Katlewski mit der jungen Ulli erlebt, plötzlich endet. Silvia Weiskopf spielt diese abenteuerlustige Frau mit glaubwürdiger Bodenständigkeit, sie deutet immerhin einen interessanten Charakter an, für den sich die Aufführung aber keine Zeit lässt.

Die vielen wunderbar schrägen Typen, denen Katlewski auf seiner Jagd nach Geld begegnet, bekommen ebenfalls kein Eigenleben. Der Lkw-Fahrer Lewandowksy hat im Film einen tollen Monolog, der seine Welt zwischen Außenspiegel und Gangschaltung mit trockenem Witz präzise beschreibt. Er ist komplett gestrichen, aus einer interessanten Rolle wird ein Stichwortgeber. Anders als der ebenfalls stark zusammen gestrichene Prinz Friedrich von Homburg, mit dem Schauspielintendant Christian Tombeil seine erste Spielzeit begann, rutscht diese Aufführung nie in die Langeweile.

Doch wenn sich hier ein Essener Stil manifestieren sollte, ist ein mahnendes Wort am Platze. Nicht immer bedeutet Reduktion Konzentration. An beiden Abenden geht extrem viel verloren, die Möglichkeiten der Vorlagen erscheinen bei weitem nicht ausgereizt. Wenn "Jede Menge Kohle" nur ein kleiner Spaß am Rande sein sollte, die "Unterhaltungsposition" in einem Spielplan voll reizvoller Ur- und Erstaufführungen, ließe sich das ertragen.

Aber in diesem Film spiegelt sich viel Ruhrgebietsidentität, auch in ihren dunklen Seiten. Wer seinen Witz verwitzelt, lässt nicht die Säge sägen.


Jede Menge Kohle (UA)
Eine Aussteigerkomödie nach dem Film von Adolf Winkelmann
Bühnenfassung von Caroline Stolz und Carola Hannusch
Regie: Caroline Stolz. Bühne und Kostüme: Lorena Diaz Stephens und Jan Hendrik Neidert. Musikalische Einstudierung: Henning Beckmann. Dramaturgie: Carola Hannusch.
Mit: Jörg Malchow, Silvia Weishaupt, Ingrid Domann, Sven Seeburg, Lisa Jopt, Jan Pröhl, Jens Ochlast und Rezo Tschchikwischwili.

www.schauspiel-essen.de

 

Kommentare  
Jede Menge Kohle in Essen: aus der Seele
Was Stefan Keim da schreibt spricht mir aus der Seele.
Eine schöne und gute Kritik.
Jede Menge Kohle in Essen: liebevolle Details
Adolf Winkelmann empfand die Adaption seines Films für die Bühne als sehr gelungen.
"Jede Menge Kohle" ist ein elegisches Road-Movie - der Humor, die Hommage an die Menschen im Ruhrgebiet werden in der Theaterfassung von Caroline Stolz und Carola Hannusch erlebbar, auf der Bühne mit vielen liebevollen Details, schnellen Schnitten in einem stimmigen Bühnenbild interpretiert.
Das Premieren-Publikum hat die Umsetzung verstanden und mit viel Applaus gewürdigt.
Jede Menge Kohle in Essen: gegen Schönrederei
Wieso entsteht bei nachtkritik.de immer wieder der Eindruck, dass hier Theatermitarbeiter und Verantwortliche ihre Produktionen schön reden wollen?
Zumal in diesem Fall dies gar nicht notwendig erscheint, da der Kritiker überhautpt nicht unterstellt, dass Publikum habe die Umsetzung nicht verstanden. Herr Keim weist - mit Recht! - mahnend darauf hin, dass Klamauk und Kürzung nicht zum Motto der neuen Intendanz werden sollten. "Prinz Friedrich von Homburg" lässt in diese Richtung bangen. Aber die Saison ist noch sehr jung, und so lassen wir uns überraschen, was der Spielplan uns noch bringen wird!
Jede Menge Kohle, Essen: kurz und doch langweilig
Ich stimme der Kritik zu! Gestern haben wir die letzte Aufführung gesehen, und mir war trotz der Kürze des Stücks am Ende etwas langweilig. Es gab sehr schöne Einfälle (wie die Geräusch- und Musikentstehung auf der Bühne, ins Stück integriert), aber die Figuren waren z. T. zu oberflächlich, ihre Funktion nur angedeutet.
Wenn der Regisseur sich mehr Zeit für die Entwicklung der Charaktere genommen hätte, wäre das Stück vielleicht länger, sicher aber interessanter geworden.
Und ich verbitte mir, dass meine mangelnde Begeisterung darauf zurückgeführt wird, dass ich die Umsetzung "nicht verstanden" oder nicht genug Geduld mitgebracht habe.
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