Raus aus der Nische!

von Stefan Keim

München, November 2007. Ein wichtiges Thema, eine starke Geschichte, großartige Schauspieler. Berichte in allen ernstzunehmenden Medien, inhaltliche Debatten entstanden, und sie zeigten Wirkung: Erstmals will sich ein Vertreter des Arzneimittelherstellers Grünenthal mit einem Menschen treffen, der durch das Medikament Contergan geschädigt wurde.

"Contergan" ist ein Fernsehfilm, ein sehr guter, umstritten, aufregend, massenwirksam. Warum ist "Contergan" ein Fernsehfilm? Die Frage wurde in den Feuilletons manchmal gestellt. Allerdings mit dem Zusatz: Wieso kommt so ein Film nicht ins Kino? Auf die Idee, dass dieser Stoff auf die Theaterbühne gehört, kam erstmal keiner. Weil das Theater nicht mehr als zentrale Kunstform wahrgenommen wird.

Welthaltigkeit

Das liegt nicht daran, dass Themen wie Contergan auf der Bühne nicht vorkommen würden. Im Gegenteil, seit einigen Jahren haben sich viele Theater eine größere Inhaltlichkeit – oder wie es unter Dramaturgen manchmal heißt "Welthaltigkeit" – auf die Fahnen geschrieben. Und es gibt auch viele ernsthafte Formen der Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus, mit Armut, Integrationsproblemen, Rassismus usw.

Da lassen sich einige Lorbeeren verteilen, an den Bürgerchor am Staatsschauspiel Dresden und den "Woyzeck", an das Schlosstheater Moers mit seinen Kampagnen zu den Themen Demenz und Armut. Fast jedes Haus, das etwas auf sich hält, zeigt Wirklichkeitserkundungen von Rimini Protokoll, Stadtteilprojekte, manche haben sogar Spielstätten etabliert, die sich im Schwerpunkt mit diesen Formen beschäftigen, die von der Zeitschrift "Die Deutsche Bühne" mal als "Theater der sozialen Aufmerksamkeit" bezeichnet wurden.

Um das alles geht´s hier nicht. All diese Dinge sind gut und schön, sie geben den Theatermachern etwas und auch den Leuten, um die es geht. Aber sie bringen das Theater in der öffentlichen Wahrnehmung nicht dauerhaft aus seiner Nische heraus.

Stars gegen die Marginalisierung

Die andere Strategie, um über die üblichen Verdächtigen hinaus Aufmerksamkeit zu erregen, ist das Engagieren von Stars. Das geschieht mal mehr, mal weniger durchdacht. Die Idee, Harald Schmidt den Lucky in "Warten auf Godot" spielen zu lassen, der ja eine Art absurder Standup-Comedian ist, war ein Coup. Denn die Besetzung geschah aus einer überzeugenden inhaltlichen Überlegung heraus.

Die Zahl bekannter Schauspieler, die gern mal wieder ernsthaft Theater spielen möchten, ist gar nicht so klein, und das Ergebnis oft interessant. Aber auch das führt höchstens kurzfristig dazu, dass sich ein sonst bühnenfernes Publikum ins Theater bewegt. Wer sich mal Sebastian Koch in einer Oscar-Wilde-Komödie anschaut, geht mit Sicherheit nicht einen Monat später in eine normale Repertoirevorstellung. Nichts gegen Stars auf der Bühne, aber die Wirkung ist nur kurzfristig, die Aufmerksamkeit schnell wieder verflogen.

Sehnsucht nach Geschichten

Wer das Theater zu größerer gesellschaftlicher Bedeutung führen will, muss grundsätzlich umdenken. Nicht in erster Linie inhaltlich, da ist vieles auf einem guten Wege. Jetzt geht es um die Ästhetik. Es gilt weitgehend als Konsens – auch und vor allem unter Kritikern -, dass Illusionstheater und psychologische Erzählweisen veraltet sind. Geschichten ohne Brechungen zu erzählen, können sich nur ein paar Altmeister leisten. Und auch die werden von ihren jüngeren Kollegen oft belächelt. Gleichzeitig herrscht eine große Sehnsucht nach diesen Theaterformen. Das äußert sich darin, dass deutschsprachigen Autoren gesagt wird, ein well made play könne man heute nicht mehr machen. Gleichzeitig schlagen sich die Bühnen um Erstaufführungen von Neil LaBute.

Die Sehnsucht nach direkt und emotional erzählten Geschichten grassiert unter den Besuchern, aber auch unter Schauspielern. Da hört man manchmal, in Weihnachtsproduktionen könne man endlich mal wieder richtig Theater spielen. Und privat gehen die meisten an einem freien Abend lieber ins Kino. Ich will keinesfalls den frisch erstarkten Konservativen, den Helden des Spiralblocks, das Wort reden. Das Theater braucht natürlich die Künstler, die Träumer, Spinner, Welterfinder. Nichts ist wunderbarer als ein Regieteam, das eine ganz eigene Handschrift entwickelt, in dessen Aufführungen viel Persönliches steckt. Das uns herausfordert, verstört und auch mal vor den Kopf stößt. Klar. Aber das Theater braucht auch den Mut, Geschichten einmal ohne Verfremdungen zu erzählen. Anders ausgedrückt: Das Theater braucht Mut zum Genre.

Mut zum Genre

Der Krimi ist das populärste dieser Genres, im Kino, im Fernsehen, als Buch, als Hörbuch. Im Theater kommen Krimis nur gelegentlich vor. Als nostalgische Spielerei. Da leistet man sich als Spaß in der Boulevardposition die "Mausefalle", was von Wallace oder Durbridge. Zeitkritische Stoffe sind Fehlanzeige. Dabei ist der Krimi die beste Form, um politische Inhalte verpackt in eine spannende Story einem großen Publikum zu präsentieren. Verwandt sind der Politthriller, das Melodram, auch die Gruselgeschichte.

Auf solche Genres angesprochen, zucken die meisten Regisseure die Achseln und sagen, so etwas könne das Fernsehen besser. Das stimmt nicht. Denn das direkte Erleben realer, atmender, schwitzender Schauspieler hat immer noch eine Wirkung, die keine Großaufnahme erreichen kann. Wenn man dann doch mal einen "Dracula" oder vergleichbares inszeniert, geht es auf der Bühne immer gleich um Reflexionen, das Spiel mit den Motiven, die Vielschichtigkeit, den Einzug einer kommentierenden Ebene, um Metatheater. Okay, das ist ja alles auch mal spannend. Aber es ist zum Dogma geworden.

Zuschauer, die ein direktes emotionales Erlebnis wollen, haben inzwischen viele Enttäuschungen hinter sich und winken – wenn sie entsprechende Titel lesen - im schlimmsten Fall schon ab, weil sie kapiert haben, dass Theaterleute denken, so etwas gehe nicht. Es geht aber, natürlich auf eine eigene Art. Doch die kann nicht darin bestehen, ständig sich selbst und die eigenen Produktionsbedingungen zu reflektieren. Denn – seien wir mal ehrlich – außer uns interessiert das keinen. Außerdem sind all diese Dinge inzwischen durchgekaut und damit öde und langweilig. Das Theater ist nicht dafür da, um vom Theatermachen zu erzählen. Wie gesagt, inhaltlich haben das viele verstanden, jetzt geht es darum, diese Erkenntnis auch ästhetisch umzusetzen.

Wider den Originalitätszwang

Es geht mir nicht darum, solche Reflexionen zu verdammen, im Gegenteil. Ich rede jetzt nicht von den Spitzenaufführungen, sondern vom Theateralltag, in dem zu viele Regisseure zeigen wollen, dass in ihnen auch ein kleiner Pucher, Castorf, Marthaler oder wenigstens ein Thalheimer steckt. Sie kriegen ja auch von Kritikern wie wahrscheinlich auch von manchen Intendanten [...] das Signal, Handwerk sei langweilig und Originalität alles.

Theater kann aber nicht ständig originell sein, so viel Neues gibt es einfach nicht. Ein gut inszenierter Gegenwartskrimi ist an jedem Haus ein Renner. Und wenn man ihn mit Liebe, Ernsthaftigkeit und Humor inszeniert, kann er ein Aushängeschild werden, eine Aufführung, die auch die Stärke des Ensembletheaters verdeutlicht im Gegensatz zu den meisten Tourneeproduktionen.

Denn wenn tolle Schauspieler, die einen Zusammenhalt entwickelt haben, eine spannende Genregeschichte erzählen, weist schon ihr Spiel über das hinaus, was da konkret verhandelt wird. Weil sie ganz automatisch anfangen, die Natur des Menschen zu erforschen.

Vom Kindertheater lernen, heißt siegen lernen

Das Unterhaltungstheater ist nicht dafür da, ein paar konservative Abonnenten zu bedienen und damit die Projekte abzusichern, die den Machern eigentlich am Herzen liegen. Es hat ein eigenes Recht. Mehr noch: Es ist zentral für die Wahrnehmung in weiteren Kreisen der Gesellschaft. Denn die Leute gehen zum Vergnügen ins Theater.

Unsere Konkurrenten sind nicht nur Kino und Fernsehen, sondern auch das Abendessen im Restaurant oder die Party. Viele Menschen müssen sich – schon aus finanziellen Gründen – entscheiden, ob sie zum Italiener oder ins Theater gehen. Diesen Kampf sollten wir führen. Mit spannenden Krimis, tollen Liebesgeschichten, mit Horror und intelligenten, satirischen Komödien.

Die Familienstücke vor Weihnachten wurden früher oft geschmäht und als lästige Pflichtaufgabe erledigt. Heute werden sie schon vielerorts mit künstlerischer Anteilnahme inszeniert. Weil sie Aushängeschilder sind und inzwischen auch viele Erwachsene rein gehen. Das muss auch für die anderen Formen des Entertainments gelten. Denn es könnte eine Todsünde sein, diese populären Genres den Tourneebühnen, Privattheatern und im schlimmsten Falle Film und Fernsehen zu überlassen.

Da können wir übrigens lernen von den Kinder- und Jugendtheatern, die es immer schon gewöhnt sind, auf eine sehr direkte Weise mit dem Publikum zu kommunizieren. Sie müssen genau darauf achten, was ankommt, wo sie ihre Zuschauer abholen müssen und schaffen es häufig, dass da keine oder nur wenige künstlerischen Abstriche nötig sind.

Für eine zeitgemäße Operette

Besonders wichtig sind in diesem Zusammenhang Operette und Musical. Das Repertoire ist an den meisten Bühnen extrem eng und wird von so genannten Routiniers inszeniert, die schon ihre vierzigste bis fünfzigste "Csardasfürstin" machen. Als ich das zum ersten Mal hörte, hielt ich es für einen absurden Gag. Sie wissen, das ist Realität, entsprechend sehen diese Aufführungen auch aus, Aufgekochtes, Lauwarmes, Plädderiges. Auch hier werden Riesenchancen vertan.

Eine zeitgemäße Operette, ein unkitschiges Musical zu schaffen, ist ein zwingendes Gebot. Die Tradition ist da: die satirischen Operetten Jacques Offenbachs, die damals voller Zeitkritik steckten, auch die Mischformen aus Musical und Operette aus den zwanziger Jahren, in denen Kabarettisten auftraten, und scharfe Pointen auf ihre Gegenwart abschossen. Eine Wiederbelebung dieser Form wurde gelegentlich versucht, zum Beispiel in Dresden mit Wolfgang Stumph als Frosch in der "Fledermaus" mit saftig-kabarettistischem Biss. Repertoirestücke lassen sich so neu beleben, aber es ist auch nötig, neue zu schreiben, Operetten, Musicals, Revuen, die den Geist der zwanziger Jahre in die Gegenwart übertragen. Da gibt es noch viele Möglichkeiten außerhalb der Liederabende von Franz Wittenbrink.

Operette und Musical tragen die Möglichkeit in sich, zeitkritisches, satirisches und populäres Gegenwartstheater zu sein, weil sie das Publikum durch Lachen und Emotionen öffnen. In den letzten Jahren haben sich einige wichtige Regisseure mit der Operette beschäftigt. Gerade gibt es auch den Trend, dass viele Schauspielensembles sich dem Musiktheater nähern, und auch der Operette. Das sollte intensiviert werden, nicht mit dem Ziel der Dekonstruktion, sondern der liebevollen Wiedergeburt.

Theatermacher brauchen neues Selbstbewusstsein

Ich habe über den Theateralltag gesprochen. Der liefert die Grundlage, um die Bühnen wieder mehr in den Blickpunkt eines größeren Teils der Gesellschaft zu rücken. Aber um einen höheren Status in der mediengeprägten Welt zu etablieren, braucht es natürlich die Spitze. Auch da brauchen wir ein anderes Bewusstsein.

Es ist toll, dass viele Theater Uraufführungen spielen und Autoren zu Stücken anregen. Es ist weniger schön, dass deren Honorare meist sehr übersichtlich sind. Kein Schriftsteller kann es sich derzeit leisten, einen Stoff wie "Contergan" für das Theater zu entwickeln. Das erfordert eine lange Recherche, sehr viel Arbeit, und die entsprechende Bezahlung findet man eben bei Film und Fernsehen.

Und hier braucht es Mut, Mut, in solche Projekte zu investieren, Autoren zu finden, die sich mit dem Theater auseinander setzen und Stoffe, die sie nach vielen Diskussionen und tausend Veränderungen vielleicht beim Fernsehen durchsetzen können, für das Theater entwickeln. Es braucht den Mut, solche Produktionen eine bestimmte Zeit lang en suite anzusetzen, wie Peter Steins "Wallenstein", der marketingtechnisch genial platziert war. Womit wir zu einem der wichtigsten Punkte kommen: Die Theatermacher brauchen nicht nur ein verändertes Bewusstsein, sondern vor allem Selbstbewusstsein.

Selbstreflexivität aus Feigheit

Die fast schon an Denkverbote grenzende Konzentration auf verschiedene Spielweisen der Selbstreflexivität liegt meiner Ansicht nach auch in einer Feigheit begründet. Im fehlenden Selbstvertrauen. Man will sich dem Vergleich nicht stellen, nicht an handwerklichen Kriterien messen lassen, behauptet einen künstlerischen Freiraum, der in unserer Gesellschaft immer enger wird. Ich habe den Eindruck, dass sich viele Theatermacher als Reaktion einigeln und den Bestand mit Zähnen und Klauen verteidigen. Dadurch geraten sie in die Defensive. Angriff ist die beste Verteidigung.

Wenn ich mir was wünschen könnte

Ich wünsche mir vom deutschsprachigen Theater, dass es populäre Genres wie den Krimi nicht Film und Fernsehen überlässt. Ich wünsche mir den Mut, Autoren und Regisseure an große Stoffe und große Projekte zu setzen und die Arbeit entsprechend zu finanzieren. Ich wünsche mir, dass die Theatermacher auch zu dem stehen, was sie machen, und spannende Uraufführungen nicht nach ein paar Vorstellungen wieder in der Versenkung verschwinden lassen. Ich wünsche mir, dass Sie sich Gefühle trauen, große Geschichten und Unterhaltungstheater auf einem Niveau, das außerhalb des deutschen Stadttheaters keiner erreicht.

Und natürlich wünsche ich mir, dass es weiterhin die unverwechselbare Handschrift, radikal persönliche Theaterformen und Experimente gibt. In der Verbindung liegt die Kraft. Die große Kunst und die populäre Unterhaltung benötigen den gleichen Aufwand an Herzblut und Energie. Dann werden sie sich öfter gegenseitig befruchten. Und wir werden häufiger das wunderbare Erlebnis haben, dass große Kunst populär und unterhaltend ist, und natürlich umgekehrt.


Text einer Rede, die der Journalist und Theatertreffen-Juror Stefan Keim im November 2007 bei der Münchner Tagung der Intendantengruppe im Deutschen Bühnenverein gehalten hat.

 

mehr debatten

Kommentare  
Honorare für Autoren sind beschämend
"Es ist toll, dass viele Theater Uraufführungen spielen und Autoren zu Stücken anregen. Es ist weniger schön, dass deren Honorare meist sehr ÜBERSICHTLICH sind."

Übersichtlich ist gut! Nennen Sie es beim Name bitte: beschämend. Wo Regisseure feste Gagen haben, sind Autoren auf den Kassenerfolg verdammt. Will heißen: Wenn ein Regisseur mit einem Stück scheiß baut und das Stück schnell abgesetzt wird, hat er/sie immer noch seine Gage, und der Autor bekommt peanuts. Na ja! If you pay peanuts, you get monkeys!
Plädoyer für populäres Theater: leider richtig
LEIDER hat Keim RECHT !
Plädoyer für populäres Theater: ja, aber!
Lieber Stefan Keim, ich gratuliere zum Mut, für ein publikumsfreundliches Theater zu plädieren! Dass die selbstreflektiven Inszenierungen höchstens noch für den inner circle interessant sind, entspricht ganz meiner Überzeugung, und immer mehr kommen mir viele Theatermacher in ihren Äußerungen wie Mitglieder einer Sekte vor.
Dennoch möchte ich am subventionierten Theater nicht unbedingt jene Krimikomödien und netten Musicals sehen, mit denen das Boulevardtheater Zuschauer anzieht. Ich denke, große Bühnen sollten auch große Geschichten erzählen, auf verständliche Art, ja, mit Emotionen, ja! Das können Klassiker sein oder neue Stücke, wobei viele Dramatiker sich meiner Meinung nach genieren, "einfach" Geschichten zu erzähen. Eine Ausnahme ist Lutz Hübner, der zwar der meistgespielte lebende deutsche Dramatiker ist, aber vom Feuilleton meist mit Naserümpfen goutiert wird. Seine Stücke beweisen aber, dass es nicht seicht sein muss und trotzdem gut ankommt, wenn man emotionale Geschichten auf die Bühne bringt. Zum Beispiel "Blütenträume" in Essen, ein Stück über die Gefühlssituation älterer Menschen ist witzig und ergreifend!
In diesem Sinne schließe ich mich dem Ruf an: Raus aus dem ästhetischen Elfenbeimturm! Macht das Theater wieder zum öffentlichen (politischen) Raum!
Raus aus der Nische: Finanzbeteiligung aller!
Die hohen Subventionen - verbunden mit dem System der Festgagen - sind leider eine Bremse. Klar, Kinos, Buchhandlungen, Fernsehen sind voll von populären, gleichzeitig relevanten Stoffen - aber eben auch, weil sich damit Geld verdienen lässt. Die Einnahmeseite interessiert im Theater wenig, der Marktwert der Künstler bemisst sich nach der Besprechung in irgendwelchen Feuilletons und Fachzeitschriften, die außer anderen Theaterleuten kein Mensch liest. Warum beteiligt man nicht auch Intendanten, Regisseure, Schauspieler - idealerweise den ganzen Apparat - am Erfolg einer Inszenierung, eines Theaters? Solche Beteiligungsmodelle gibt es in vielen Unternehmen längst, auch in anderen Medien bemessen sich Gagen direkt oder indirekt nach Auflage, Quote, Einspielergebnissen etc. Solange die Theater an ihren starren Systemen festhalten, werden bloß inhaltliche Debatten, wie sie ständig geführt werden, wenig ausrichten.
Und die Theater sollten selbst das größte Interesse an entschiedenen Subventionssenkungen haben. Lutz Hübner wird viel gespielt - aber vor allem von Jugendtheatern ohne viel Geld. LaBute, Yasmin Reza werden viel gespielt - auch die kommen aus anderen Theatersystemen, mit viel weniger Geld. Diese hohen Subventionen sind leider kein Segen - weil sie das Theater in eine Nische verbannen, in die es nicht gehört.
Raus aus der Nische: Autoren wie Lutz Hübner braucht's
Ich schließe mich gerne dem Statement von Eva Pfister an. Und mit Lutz Hübner hat sie sehr, sehr recht! Wir brauchen mehr solche Autoren! Dialoge schreiben können, Situationen auf den Punkt bringen, Stoffe aus der Gegenwart bearbeiten...
Raus aus der Nische: sind Lutz Hübners Texte nicht harmlos?
hab den eindruck, dass es bei lutz hübner eher um ein kuscheltheater geht. vielleicht hab ich zu sehr meine eigene brille auf. schade allerdings, dass lutz hübner in der öffentlichkeit nicht so bekannt ist, obwohl er häufig gespielt wird. liegt vielleicht daran, dass es heute kaum mehr tabubrüche gibt: wie z.B. Heimarbeit von Kroetz als es an der Kammerspiele aufgeführt wurde, fiel über ihn die Boulvardepresse her. Daselbe passierte Sarah Kane in London. Kann es sein, dass manche Texte von Lutz Hübner zwar poetisch gut sind, aber harmlos?
Raus aus der Nische: Krimis über Contergan auf der Bühne?
Krimis über Contergan auf der Bühne - also, bitte, Leute, was soll der Unsinn - das interessiert keinen Menschen! Das kann die Zeitung nun wirklich besser - und der Gedanke, dass, wenn man den Leuten nur kein Geld zahlt, sie sich schon dem Mainstream anschliessen und populäreres Theater machen werden, ist auch so ein neoliberaler, dummer Mythos.
Keims Plädoyer für ein populäres Theater: Kommentar
Mein Kommentar ist zu lang geworden, man kann ihn hier finden:
http://hollarius.wordpress.com/
Plädoyer für ein populäres Theater: Poesie der Sprache 1
Wenn das Theater sich an seine Konkurrenzmedien wie Film und Fernsehen anpasst, dann wird es tatsächlich bald tot sein. Erstens lebt das Theater von seinem ganz eigenen Stoff- und Darstellungspotential. Und zweitens führt eine Unterschätzung des intellektuellen Potentials der Zuschauer in die falsche Richtung. Für den Bereich des Films hat Jean-Luc Godard bereits 1963 am Beispiel seines Films "Le Mépris" darauf aufmerksam gemacht, dass das Kino keine Zukunft haben werde, wenn die Bilder erschaffende Poesie der Sprache daraus verschwindet. Ebenso verhält es im Bereich des Theaters. Ich persönlich möchte da jedenfalls nicht noch mehr Geschichten von modernen Alltagsneurotikern hören und sehen, sondern gegenwärtige Geschichten, durch welche das historisch Gewordene bzw. bereits Vergangene durchscheint. Geschichtsbewusstsein erscheint mir gerade da notwendig, wo es besonders im Fernsehen nur noch um die profitorientierte Selbstbespiegelung des Gegenwärtigen und Zukünftigen im Sinne des neuen Produkts geht.
Plädoyer für ein populäres Theater: Poesie der Sprache 2
Zusatz: "Poesie der Sprache" meint hier nicht - wie oftmals vorschnell behauptet - eine abstrakte und selbstreferentielle Sprachverliebtheit, sondern die Art, wie ein Text formuliert ist: "Es wird überhaupt nicht transportiert, daß es ein formulierter Text ist und dass die Formulierung eines Tatbestandes schon die Überwindung eines Tatbestandes ist." (Heiner Müller) Und das lässt sich sowohl auf die historischen Stoffe als auch auf das zeitgenössische Diskurstheater anwenden.
Eine recht persönliche Frage an Jeanne d'Arc
@ad 9, ad 10 und generell eine recht persönliche Frage.

Sie sind so umfassend gebildet, aktiv, Impuls gebend, tatsächlich sehr beeindruckend.

Das Einzige was ich nicht verstehe, ist: Warum schreiben Sie unter dem doch eher "abgelatschen" Pseudonym Jeanne d'Arc? Fehlt Ihnen der Mut zum Outing? Sind Sie zu sehr mit den Strukturen der Kunstvermittlung verknüpft? Schreiben Sie entgegen Ihren kommerziell/beruflich vertretenen Standpunkte?

Sie werden mir wahrscheinlich die Frage nicht ehrlich beantworten können, aber gestellt möchte ich sie trotzdem haben, sie beschäftigt mich eigentlich schon länger.
Plädoyer für ein populäres Theater: wider die Lüge
Das Problem liegt weniger in den Geschichten selbst- Nicht in den Formalen Ansätzen- nicht in den leidlichen Versuchen der Theater sich einer Stadt, einem Land, einer Gesellschaft und ihren Themen anzunehmen- Das Problem ist viel Grundsätzlicher- es liegt in der Lüge- Es begegnet einem auf deutschen Bühnen leider zu oft Unaufrichtigkeit- kunstvoll konstruierte Betrugsanordnungen- ohne Sinn und Verstand und vor allem ohne Herz- Und das ist für mich das schlimmste- wenn ich das Gefühl habe belogen zu werden- (Das werde ich im Alltag schon genug- und von allen Seiten) Da sollte das Theater doch ein Ort der Aufrichtigkeit sein- der ehrlichen und offensiven Auseinandersetzung- Mich interessiert es viel mehr ein Ensemble offensiv fragend zu erleben- begeistert und leidenschaftlich sich aussetzend- als nette Einzelleistungen und eine handvoll noch netterer Regie Einfälle- die versuchen eine Welt vorzugaukeln die die Brisanz einer Vorabend Serie nicht überschreitet- (installiert von Mittelmäßigen jung und alt Regisseuren- von denen es verdammt noch mal zu viele gibt) Die fülle verseucht das Theater- der Mittelmäßigkeit und der Unaufrichtigkeit- Theater braucht einen tatsächlichen Anlass- Sonst sollte man es bleiben lassen- Und das gilt für alle: die Schauspieler, die Regie, die Dramaturgie und alle anderen die an diesen sensiblen Prozessen beteiligt sind- Lieber weniger- dafür mit mehr Zeit-und sich ernsthaft auf Dinge einlassen- Für Liebe, Kraft und Energie! Ich kann einfach besser nachdenken wenn ich ehrlich berührt bin!
eine recht (un)persönliche Antwort von Jeanne d'Arc
@ Susanne Peschina: Ich könnte genauso gut unter dem Pseudonym George Sand schreiben. Pseudonyme können auch von Vorteil sein. Aber eins kann ich Ihnen ganz offen sagen, ich schreibe nur in meinem eigenen Namen.
ein Verdacht
Egal zu welcher Tages- oder Nachtzeit: So (hyper-)aktiv, wie Jeanne d'Arc hier auftritt, handelt es sich ohnehin um ein Kollektiv, das sich hinter dem Namen verbirgt. Carry on!
Plädoyer für ein populäres Theater: Wortgeklingel
Nein, die d'arc erkennt man immer wieder, an ihrer gedanklichen Ungenauigkeit, dem aufgeregten Gebahren und dem willkürlich herbeigezerrten Zitat am Ende. Auf solchem Niveau hat dann alles mit allem irgendwie was zu tun. Aber nettes Wortgeklingel.
Plädoyer für ein populäres Theater: Diskussion wäre wichtig!
Irgendwie scheint mir das Thema zu wichtig zu sein, als das kleinliche Streitigkeiten zwischen Kommentierenden angebracht wären ... Diskussion wäre wichtig!
Kommentar schreiben