Hamlet Cantabile - Eine Art burlesker Zugabe beim Young Directors Project der Salzburger Festspiele
Zuviel gedacht
von Reinhard Kriechbaum
Salzburg, 27. August 2012. Und nochmal Shakespeare bei den Salzburger Festspielen, nochmal in hübsch-heiterer Verulkung. Da mag man sich auf die Schenkel klopfen – bei "Hamlet", der in ein Straßentheater-Musical verwandelt wird. Gut so, man hat's ja sonst schwer genug im Leben.
Seit 2005 tingelt die Performance Group Tuida aus Südkorea mit "Hamlet Cantabile" herum, die Salzburger Festspiele sind also wieder mal so richtig flott am Ball. Hamlet auf Koreanisch mit deutschen Übertiteln? Das hat in diesem Fall einen gewaltigen Pferdefuß, denn um alle Shakespeare-Rudimente und die eigenen Texte in hundert Minuten zu pressen, lässt Regisseur und Textschreiber Yo Sup Bae die Sätze nur so dahinpurzeln. Mit dem Lesen ist man eigentlich ausgelastet, registriert aber mit halbem Auge doch, dass da echte Körpertheater-Profis am Werk sind, die minutiös ausgeklügelten Slapstick liefern.
Exaktes Timing
Drei Frauen und zwei Männer bilden die Belegschaft eines schlichten Thespiskarrens. Wir sind Zeugen einer kryptoreligiösen Zeremonie, die das Hinübergleiten der Verstorbenen ins Jenseits begleitet. Die hektisch-quirligen, überdrehten Psychopompoi haben es mit Hamlet zu tun. Mit seinem Kopf, vielleicht auch mit seiner Seele. Sie finden sein Tagebuch, beginnen drin zu lesen und Szenen nachzuspielen. Riesengroße Pappmaché-Köpfe sind griffbereit und viele, viele Meter Stoff. Aus den Jenseits-Führern werden im Handumdrehen Puppenspieler, die alle Register der Imagination ziehen. Singen tun sie auch, manchmal in fernöstlichen Tonskalen und noch öfter zu seichtester europäischer Unterhaltungsmusik. Kontinenteübergreifendes Karaoke ist angesagt.
Das alles passiert in ansehnlicher Lautstärke. Ein Feuerwerk an Gags wird gezündet, und man wüsste gar nicht, wo anfangen mit dem Erzählen von einfallsreichen Einzelheiten. Ein wenig zappelig und hektisch wirkt das alles, aber es ist blendend choreographiert. Ein Ping-Pong von Wörtern und Bewegungen, bei dem ein Jeder und eine Jede immer an seinem Platz ist. Das Timing der Performance nötigt dem Zuschauer Respekt ab.
Langweilig wird es also nicht, aber mit zunehmender Zeit beginnt man doch auch zu grübeln, wo dieses Spektakel eigentlich hinpasste. In die leicht muffige Probenbühnen-Atmosphäre des Salzburger "republic" ganz bestimmt nicht. Am ehesten auf eine italienische Piazza, zu einem Straßenkunst-Festival. Dort passten Lautstärke, Stimmungsmache und Charme wohl zusammen.
Zugabe zum Young Directors Project
Das Publikum hat am letzten Premierenabend dieser Salzburger Festspiele mit den Beinen abgestimmt und durch sein Fernbleiben bestätigt, dass Sven-Eric Bechtolf als Neo-Schauspielchef binnen einer Saison das Young Directors Project grandios heruntergewirtschaftet hat. "Hamlet Cantabile" läuft quasi als Zugabe, außerhalb des Wettbewerbs. Es ist von dreizehn Schauspiel-Beiträgen dieses Sommers die vierte mit hohem Puppenspiel-Anteil. Könnte es sein, dass Bechtolf eine individuelle Vorliebe zu Tode reitet?
Ein running gag in "Hamlet Cantabile": Die Seelengeleiter stellen immer wieder fest, dass Hamlet zu viel denkt. Überhaupt dächten die Menschen zu viel, heißt es einmal. Gäbe es doch mehr Sven-Eric Bechtolfs auf dieser Welt! Er hat dem Festspielpublikum das Nachdenken weitestgehend erspart. Das Puppenformat gab den Maßstab vor. Man verlässt Salzburg heuer, sagen wir, intellektuell leicht unterfordert.
Hamlet Cantabile
nach William Shakespeare
Regie und Text: Yo Sup Bae/Performance Group Tuida, Komposition, musikalische Leitung: Jung Rim Han, Bühne und Puppen: Kyung Hee Kim, Kostüme: Jin Hee Lee.
Mit: Jae Young Choi, Ji Youn Lee, Mo Eun Kim, Ji Young Kim und Seung Jun Kim.
www.salzburgerfestspiele.at
Mehr zum diesjährigen Young Directors Project der Salzburger Festspiele, dessen Young Directors Award letzte Woche vergeben wurde, hier und hier.
Kritikenrundschau
Cornelia Fiedler schreibt in der Süddeutschen Zeitung (29.8.2012): Der "ästhetisch extrem konsistenten Inszenierung" mit ihrem "fast schwerelosen Körpertheater" gelinge es Maßstäbe zu setzen. Mithilfe eines aufgefundenen Tagebuches sowie "mal kleiner, mal übergroßer Masken sowie Tüchern, Schilfrohr, Gießkannen und Korkenziehern" spielten, sängen und tanzten fünf Totengeister, die an "eine elegante Version der Teletubbies" erinnerten, ein "schnelles Best-of 'Hamlet'". Dass die Schauspieler in diesem Totenritual immer zu sehen seien, sogar "Teil der Puppen" würden, folge einer zwingenden philosophischen Logik: "Wie Schamanen den Toten ihre Stimme leihen, wären auch diese Schädel oder Totenmasken ohne das Theater-Ritual stumm und hilflos." Puppen- und Schauspiel träfen hier nicht aufeinander, "sie werden eins". Ein bisschen Kitsch bleibe nicht aus, doch entwickele diese "schräge Darbietung auf Koreanisch mit deutschen Übertiteln" eine "unerwartet tröstliche - und damit im Theater fast ungehörige – Stimmung".
Auf der Webseite der Wiener Zeitung Die Presse (28.8.2012, 16:51) schreibt Barbara Petsch: Das Konzept sei nicht neu: Tuida erkundeten "sozusagen naiv" die Hamlet-Geschichte. In dieser sei die Handlung zwar etwas willkürlich umgestellt, aber "die Verwandlung des britischen Stückes in ein asiatisches Epos" gelinge glücklich. Fast mehr als in europäischen Aufführungen würden Hamlets "Vaterkomplex", sein "aggressives Verhältnis zur Mutter", vor allem aber der Schrecken von Wahnsinn und Tod durch die Masken, die "schrille Hochsprache in vielen Facetten", die "geisterhafte Atmosphäre" und die "akzentuierende Musik" sichtbar. "Hamlet" gewinne eine "geheimnisvolle Magie, aber auch Leichtigkeit" dadurch, dass sich die "rituell, aber auch burlesk agierenden" Spieler immer wieder versammeln und "mit Alltagssprache, auch mit Kraftausdrücken, das Geschehen hinterfragen und kommentieren". Eine spannende Kreation, die den Namen Crossover wahrlich verdiene.
Auf der Webseite der zweiten großen seriösen Wiener Tageszeitung Der Standard schreibt Margarete Affenzeller (28.8.2012, 17:47): Das Puppenspiel verschaffe der Tragödie des Dänenprinzen Hamlet eine "bezwingende Düsterkeit". Die schnelle, "in hohen Tonlagen angesiedelte koreanische Bühnensprache" scheue keinen Ausdruck des Entsetzens, der Panik oder des Schmerzes. Entlastung erfahre die so forcierte Dramatik nur durch die als Bindeglied zwischen Publikum und Shakespeares Hamlet gestellten Clowns, die das Geschehen in "ihrer Schlaubi-Schlumpf-Manier" frech kommentierten und kritisierten. Der Abend sei ein geglücktes Fusion-Theater aus westlichen wie östlichen Elementen.
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denkt, sprucht hamlet zu viel und fühlt er zu wenig?
wir sprechen zu viel und fühlen zu wenig...
also gut
die klugheit hat uns hochmütig werden lassen...
die seelengeleiter stellen immer wieder efest,
dass hamlet zu viel denkt.
überhaut dächten die menschen zu viel, heißt es einmal.
wir denken aber auch zu wenig und sprechen zu viel.
was nun?
die zu viel denken und sprechen fühlen zu wenig.
die zu viel fühlen, denken zu wenig.
wir denken und sprechen und fühlen zu wenig
und zu viel. . .
"Wie Lassalle sagte, ist und bleibt die revolutionärste Tat, immer 'das laut zu sagen, was ist'." (Rosa Luxemburg)
Mehr braucht's doch gar nicht. Respekt ist unsere Aufgabe, und nicht die falsche Maske, die ich/du/er/sie/es/wir/ihr/sie auf haben. Also?
und zitieren auch übermäßig.
es ist nicht in jedem fall immer gut,
das immer laut zu sagen was man denkt.
respekt, maske -
lesen sie bei shakespeare nach,
eingehendere beschäftigung
mit hamlet und seiner maske
täte ihnen sicherlich ganz gut.
http://www.youtube.com/watch?v=lMre2CD3gMM
Oder anders gefragt: Woher wissen wir denn, was eigenständig gedacht und was zitiert ist? Gibt es überhaupt so etwas wie Authentizität und Originalität oder spielen wir nicht immer? Müssen wir nicht sogar spielen, um Mensch zu sein? Allerdings: Woher wollen SIE eigentlich wissen, was mir "ganz gut täte"? MEINE Bedürfnisse sollten Sie schon mir überlassen. Und da wären wir bei der Machtfrage erzwungener Spiele gegenüber Beuys Idee des erweiterten Kunsbegriffs, der sozialen Plastik bzw. bei der Frage nach der "direkten Demokratie". Wenn Sie jetzt Jürgen Trittin hießen, könnten Sie sich zum Beispiel mal wieder an die Anfänge der "Grünen" zurückerinnern. Vielleicht würde Ihnen das ja ganz gut tun.