Drei Schwestern und ihr sterbender Vater

Heidelberg, 5. Mai 2013. Henriette Dushe wurde zum Abschluss des 30. Heidelberger Stückemarkts mit dem Autorenpreis für ihr Stück lupus in fabula ausgezeichnet. Lena Kitsopoulou, Autorin aus dem diesjährigen Gastland Griechenland, erhält für Athanasios Diakos – Die Rückkehr, das beim ersten Autorentag vorgestellt wurde, den Internationalen Autorenpreis. Der JugendStückePreis geht an Über Jungs von David Gieselmann, beim Stückemarkt präsentiert in der Inszenierung von Mina Salehpour des Berliner Grips Theater.

Mit dem Publikumspreis ausgezeichnet wurde der griechische Autor Vangelis Hadjiyannidis. Sein Stück Am Bildschirm Licht erhielt die meisten Stimmen der Zuschauer, die im Anschluss an die Lesungen der drei Autorentage in geheimer Wahl über ihre Favoriten abstimmen konnten. Nominiert für den Publikumspreis waren drei griechische und sieben deutschsprachige Stücke. Und der diesjährige NachSpielPreis geht an Trilogie der Träumer von Philipp Löhle in der Inszenierung von Jan-Christoph Gockel am Konzert Theater Bern. Der undotierte NachSpielPreis ist verbunden mit einer Gastspieleinladung zu den Mülheimer Theatertagen NRW, die "Trilogie der Träumer" wird 2014 im dortigen Rahmenprogramm gezeigt werden. 

Die Jury

Mitglieder der Jury in diesem Jahr waren der freie Kulturjournalist Stefan Keim, die Dramatikerin Rebekka Kricheldorf, Iris Laufenberg, Schauspieldirektorin am Konzert Theater Bern, die Generalintendantin des Saarländischen Staatstheaters Saarbrücken Dagmar Schlingmann sowie Jürgen Popig, Leitender Schauspieldramaturg in Heidelberg sowie Künstlerischer Leiter des Heidelberger Stückemarkts. Außerdem wurde die Jury für die Vergabe des JugendStückePreises durch drei theaterbegeisterte Jugendliche unterstützt. Jürgen Berger wählte als ehrenamtlicher Kurator die Inszenierung des NachSpielPreis aus.

Der Autorenpreis des Heidelberger Stückemarkts wird seit 2008 von der Manfred Lautenschläger-Stiftung ausgelobt und ist mit 10.000 Euro dotiert. Der Internationale Autorenpreis mit 5.000 Euro wird vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst des Landes Baden-Württemberg finanziert und wird an einen der Autoren des Gastlandes vergeben. Der 2012 erstmals vergebene JugendStückePreis ist mit 6.000 Euro dotiert und wird gestiftet durch die Volksbank Kurpfalz H & G Bank – zusätzlich wird die prämierte Produktion im Rahmen der Kooperation bei den Mülheimer Theatertagen NRW gezeigt. Stifter des mit 2.500 Euro dotierten Publikumspreises ist der Freundeskreis des Theaters und Orchesters Heidelberg.

Aus den Jury-Begründungen

Iris Laufenberg würdigt in ihrer Laudatio auf Henriettes Dushes "lupus in fabula", dass der Autorin eine fein ausgeformte Sprachkomposition über die Unerträglichkeit des Lebens im Angesicht des Todes gelungen ist. Erst kommt der nahende Tod viel zu schnell, dann dauert das Sterben unerträglich lang. Und am Ende wird es viel zu schnell gegangen sein. Doch da er so oder so nicht wirklich auszuhalten ist, dieser Zwischenzustand, verarbeiten die drei Schwestern ihre eigene Gegenwart mit- und aneinander vorbeiredend am Sterbebett des Kranken. So präzis Dushe die drei Schwestern charakterlich gestaltet, so beeindruckend exakt und musikalisch ist die sprachliche Ausformung.

Und Stefan Keim würdigt, dass Lena Kitsopoulou in Athanasios Diakos – Die Rückkehr einen sprachlichen Furor entfessselt, metrisch gebunden, der an die großen Mythen der Antike erinnert. Gleichzeitig dehnt sie die Sprache, führt den Reimzwang ins Absurde, unterläuft den klassischen Stil mit parodistischen Mitteln, ohne ihn zu zerstören. Vor allem transportiert sie die drastischen Inhalte antiker Sagen in die Gegenwart. Wir kennen die antiken griechischen Mythen, die Grundlage europäischer Kultur, fast nur in abmildernden Bearbeitungen. Dieses Stück nimmt sie auf, in ihrer blutigen Brutalität, und schleudert sie uns als Zerrspiegelbild der Gegenwart entgegen. Es ist enorm unterhaltend, wuchtig, sinnlich und zugleich ein zutiefst ernst gemeinter Tiefschlag gegen die mittelständische Zufriedenheit. Das ist natürlich auch eine Reflexion der völlig verunsicherten griechischen Gesellschaft, doch die ist uns näher als wir manchmal glauben.

Die Jugendjury hat sich für David Gieselmanns "Über Jungs" entschieden, weil das Thema Gewalt und Kriminalität besonders in der pubertären Altersgruppe sehr aktuell ist. Mit dem Thema kann sich in irgendeiner Weise jeder identifizieren. Sehr spannend war auch der Gedanke, ein solches Thema in einem so ungewöhnlichen Umfeld wie der Kochküche zu behandeln. Mit viel Komik und Witz versucht sich das Stück dem Thema aggressive Jugend zu nähern, ohne jedoch den Ernst der Sache untergehen zu lassen. Eine Leistung, die unser er Meinung nach den JugendStückePreis mit viel Applaus verdient!

Und der ehrenamtlichen Kurators Jürgen Berger sagt über Philipp Löhles "Trilogie der Träumer", dass man diese Idee erst mal haben muss: Drei der frühen Vergeblichkeitshelden aus dem Hause Löhle zusammenzuführen und zu zeigen, dass es um Menschen geht, die sich im Chaos der Moderne nicht mehr zurechtfinden und in träumerische Revoluzzerposen retten. Alles zusammen auf die Bühne gebracht hat das der in der Kurpfalz bestens bekannte Jan-Christoph Gockel. Ihm gelingt mit den Berner Schauspielerinnen und Schauspielern eine funkelnde und mit ganz unterschiedlichen Mitteln spielende Trilogie traurigkomischer Löhle-Welten.

(sik)

Mehr auf dem nachtkritik-Festivalportal zum Heidelberger Stückemarkt.

 

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Kommentare  
Preisträger Heidelberg: Zufälle
Nachspielpreis an Löhle, Einladung zu den Mülheimer Dramatikertagen 14 (als Gastspiel):

Iris Laufenberg, Jurymitglied, ehemals Leiterin Theatertreffen der Berliner Festspiele, heute Chefdramaturgin (Theater Bern)

Philipp Löhle, ehemals Teilnehmer Stückemarkt (Berlin), Autor, Hausautor Spielzeit 13/14 (Theater Bern)

Jan Gockel, Teilnehmer Internat.Forum d. TT Berlin, Regisseur Spielzeit 13/ 14 (Theater Bern)

..so viele Zufälle..
Preisträger Heidelberg: genau lesen
Wenn man den obigen Text genau lesen würde, bevor man ihn kommentiert, wüsste man, dass Iris Laufenberg weder Chefdramaturgin in Bern ist, noch etwas mit der Vergabe des NachSpielPreises zu tun hat. Auch nicht zufällig.
Preisträger Heidelberg: Posten in Bern
ne stimmt, frau laufenberg ist schauspieldirektorin in bern, das machts aber auch nicht besser.
Preisträger Heidelberg: Preisunterschied
Ich finde es ja mal wieder interessant, dass der Autorenpreis der Jugendsektion mit 6000€ dotiert ist und der "normale" Jurypreis mit 10000€. Ist Jugendtheater weniger wert? Ist es weniger kreativ oder schwierig ein Jugendstück zu schreiben? Sie sollten fairer Weise die zwei Preisgelder zusammenlegen und für jeden 8000€ ausschüten.
Preisträger Heidelberg: unterschiedliche Konzeptionen
@Dem
Die Wettbewerbe sind aber komplett anders konzipiert, und von daher erklärt sich vielleicht auch der Unterschied in der Dotierung.
Im Falle des Jugendstücke-Preises werden drei Produktionen vom Theater Heidelberg ausgewählt, die dann als Gastspiele beim Stückemarkt gezeigt werden. Da spielen dann natürlich auch dispositionelle Gründe eine Rolle, es sind nicht zwangsläufig die drei besten, eigens von einer Jury auserkorenen Stücke am Start. Eine von diesen drei Produktionen erhält dann den Preis, der auch mit einem weiteren Gastspiel bei den Mülheimer Theatertagen verbunden ist. Dass der Preis dotiert ist, hängt damit zusammen, dass es einen Sponsor gibt.

Der Autorenpreis hingegen wird in einem zweistufigen Verfahren aus potentiell beliebig vielen Einreichungen ermittelt. Zuerst werden die sieben Teilnehmer, die dann zum Stückemarkt kommen, bestimmt, aus diesen wählt die Jury dann den Gewinner. Das könnte im Übrigen auch ein Jugendstück sein, eines war in diesem Jahr auch dabei: Esther Beckers "Supertrumpf". Der Autorenwettbewerb ist also der viel offenere Wettbewerb, insofern ist er auch höher dotiert. Zumal, wie gesagt, auch ein Jugendstück gewinnen könnte.
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