Ich bin von keinem Missionsgeist getrieben

24. November 2013. Burgtheaterintendant Matthias Hartmann hat Gabriella Valaczkay ein Interview gegeben, das die ungarische linksliberale Tageszeitung Népszabaság am 17. November 2013 veröffentlicht hat. Es geht darum um die Billeteursaffäre am Wiener Burgtheater, um Hartmanns Einsatz für die freie Szene in Ungarn und seinen verunglückten Besuch bei Kulturminister Balog, den Hartmann nun nach Wien einlädt, wo das Burgtheater im kommenden Jahr ein ungarisches Theaterfestival ausrichten wird: "Wenn ihr Minster Mut hat, kommt er nach Wien und beantwortet offen die Fragen." Unsere Zusammenfassung des Interviews beruht auf einer Übersetzung von Ágnes Szabó.

Die Billeteurs-Affäre

"Ich habe mir gedacht, dass ich nicht davonkomme", retourniert Matthias Hartmann Gabriella Valaczkays Frage nach der Vereinbarkeit der Protestrede des Burgtheaterbilleteurs Christian Diaz mit der Theaterutopie, die der Burgtheaterkongress formuliert habe, in dessen Rahmen Diaz auf seine Arbeitsbedingungen und den wirklichen Arbeitgeber, einen international operierenden Secutitydienstleister, hingewiesen hatte. Die Aktion des Billeteuers, so Hartmann, sei erfreulich gewesen, "die Reaktion der Journalisten darauf weniger". Viele Journalisten hätten eine doppelte Moral: "Sie greifen mich an, aber verschweigen, dass auch Ihre eigenen Redaktionen mit diversen Securityunternehmen zusammenarbeiten, die für die Sicherheit und Reinigungsarbeiten verantwortlich sind".

Doch er habe sich von Anfang an für Christian Diaz eingesetzt. "Ich war solidarisch mit ihm. Ich setze mich für ihn ein, als er seinen Arbeitgeber G4S kritisierte und jetzt suche ich nach einer Möglichkeit, wie ich unser Theater von dem Unternehmen ablösen kann. Ich bin Christian Diaz sehr dankbar, dass er uns auf diesen Missstand aufmerksam gemacht hat. Ich hatte keine Ahnung davon, dass das Unternehmen in Menschenrechtverletzungen verwickelt ist. Die Verantwortung trägt jetzt der österreichische Staat, nur der Staat kann mir Gelder zur Verfügung stellen, die mir ermöglichen, unsere Platzanweiser wieder bei uns im Burgtheater anzustellen zu können."

Der offene Brief des Burgtheaters an Minister Balog

Mit seinem Brief an Kulturminister Zoltán Balog habe er in Ungarn einen Kulturkampf ausgelöst, so Gabriella Valaczkay weiter: "Ihre Regierung in Ungarn hat Attila Vidnyánszky zum Intendanten des Nationaltheaters gemacht." Sein Vorgänger Róbert Alföldi sei ebenfalls beim Jubiläumskongress in Wien zu Gast gewesen. "Er hat berichtet, dass das Nationaltheater immer voll war, solange er der Intendant war. Die Menschen suchen nämlich nach Orten, an denen man sich frei äußern, sich frei entfalten kann." Das Theater von Vidnyánszky sei nicht mehr voll, das "Újszínház" mit seinem antisemitistischen Intendanten ebenfalls nicht , "weil es die Menschen nicht interessiert, was da gemacht wird."

Das Treffen bei Minister Balog

Zur Vorbereitung seines Gesprächs mit Minister Balog habe er mit Vertretern der Freien Szene in Ungarn gesprochen, unter anderem mit Marton Gulyás von Kretakör und sich auch mit Kritikern und Journalisten ausgetauscht. "Wir haben Summen, Zahlen und Daten gesammelt über die unabhängige Szene und ich habe dann den Minister damit konfrontiert." Balog habe zugegeben, "dass das Ministerium in den vergangenen Jahren die Förderungsgelder für die Freie Szene in Ungarn enorm gekürzt hat, aber er hat mir versichert, dass sich die Freien Theater im Jahr 2013, seitdem er der Minister ist, schon um mehr Gelder bewerben konnten als im Vorjahr. Wir saßen also da mit zwei unterschiedlichen Informationen und Daten. Ungarn ist eine Sprachinsel, die sich mit seinem Ungarisch isoliert, Politiker und Minister können also im Inland und Ausland ganz entgegengesetzte Aussagen formulieren, niemand kontrolliert oder übersetzt sie und konfrontiert sie damit."

Hartmann auf die Frage, ob ihn ungarische Kulturpolitiker belogen haben: "Nur zwei Beispiele: in seinem Interview vom 13. Juli, erschienen auf der Website index.hu, sagt Zoltan Balog, ich hätte behauptet, das Újszínház erhalte die höchsten Subventionen aller ungarischen Theater. Diese Behauptung widerlegt Herr Balog dann. Aber natürlich habe ich das gar nicht gesagt. Ein alter Trick: Aussagen zu dementieren, die gar nicht gemacht wurden. Weiter sagt Herr Balog in dem Interview, Attila Vidnyánszky habe bei dem Treffen mit mir "zahlreiche unwiderlegbare Daten präsentiert", die bewiesen, dass die freien Gruppen von den verantwortlichen Stellen nicht "getötet" würden. Wahr ist, dass wir Herrn Vidnyánszky um solche Zahlen gebeten haben. Und er hat versprochen, sie uns zuzustellen. Aber wir haben sie natürlich nie erhalten."

Zur Kritik an Hartmanns Engagement in Ungarn

Sein kulturpolitisches Engagement in Ungarn sei auch kritisiert worden, so Gabriella Valaczkay weiter.

Hartmann: "Wenn man über die Autobahn rast und dann am Stadtrand jemanden sieht, der nicht weiterfahren kann, hat der Rasende die Chance anzuhalten und zu helfen. Ich hatte das Gefühl, dass ich die Chance habe, etwas für Ungarn tun zu können. Aber ich bin von keinem Missionsgeist getrieben. Ich habe genug in meinem eigenen Theater zu tun. Doch ich bin halt ein Mensch, der anhält, wenn er etwas sieht. Und ich hatte den Eindruck, ich habe sogar die Erfahrung gemacht, dass die Politik in Ungarn das Theater unter ihre Kontrolle bringen will." "Ich habe versucht, Herrn Balog zu erklären, warum die Kritik so wichtig ist und dass das Theater manchmal die Aufgabe hat, unangenehm zu sein und zu rebellieren und sich demokratische Regierungen auch zulassen müssen, daß Künstler sie ab und zu stören."

Einladung nach Wien

"Ich habe Herrn Balog schon einmal eine Chance gegeben, meine Fragen fair zu beantworten, ich versuche es noch einmal, aber ich muss ihm sagen, dass wir diesmal bei mir treffen, weil wenn wir uns bei ihm treffen, wird er mir wieder Worte in den Mund legen wollen." Am Anfang des nächsten Jahres würde das Burgtheater ein Festival mit Ungarnthematik ausrichten. "Wir haben Attila Vidnyánszky, Krétakör, Béla Pintér und Viktor Bodó eingeladen. Im Rahmen des Festivals planen wir auch ein Forum, wo wir über Theater und Demokratie und über ihre Ursache und Wirkung diskutieren wollen. Nur sich radikalisierende Regierungen ersticken in einer Gesellschaft das kritische Denken. Das Theater hat jedoch die Aufgabe das kritische Denken zu inspirieren." "Regierungen, die sich radikalisieren, ob das jetzt extrem links oder extrem rechts oder reaktionär ist, sind daran interessiert, das zu unterdrücken, was Theater im eigentlichen Sinne tun muss, kritisches Bewusstsein zu schaffen. Sie möchten eigentlich eher das Pathos der Heimat schaffen."

Valaczkay: Eine Einladung von Attila Vidnyánszky zu einem Theaterfestival nach Budapest habe er abgelehnt. "Im Burgtheater wollen Sie ihn und Balog nun mit offenen Armen empfangen? Meinen Sie das ernst?"
Hartmann: "Wenn Ihr Minister Mut hat, kommt er nach Wien und beantwortet offen die Fragen."

(sle)

 

Mehr lesen? Alles nachtkriik.de-Beiträge zum Theater in Ungarn sind über den entsprechenden Lexikoneintrag erreichbar.

 

 

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