Presseschau vom 6. Oktober 2014 – Süddeutsche und Neue Zürcher berichten von Robert Wilsons Inszenierung von "Les Nègres" am Pariser Odéon-Theater

Schwarze spielen Schwarze, die Weiße spielen

Schwarze spielen Schwarze, die Weiße spielen

6. Oktober 2014. Barbara Villiger Heilig in der Neuen Zürcher Zeitung (6.10.2014) und Joseph Hanimann in der Süddeutschen Zeitung berichten von einer von Robert Wilson inszenierten Aufführung von Jean Genets "Die Neger" am Pariser Odéon-Theater, das derzeit von Luc Bondy geleitet wird.

Mit politischer Energie aufgeladen

Villiger Heilig schreibt: Vor dem Theater habe es Proteste gegeben – aber nicht gegen ein etwaiges Blackfacing oder den Titel "Les Nègres", der in französischen Ohren "kein bisschen korrekter" klinge, auch zu Genets Zeiten schon nicht, wie bei uns. Der Protest richtete sich gegen die "künstlerischen Vorherrschaft von Männern an den grossen Bühnen". Dazu Luc Bondy, Chef des Odéon: "Falls eine Regisseurin mit Talent auftauche, werde er sie sofort engagieren."

Weil es in Frankreich "reichlich frankofone Schauspieler schwarzer Hautfarbe" gebe, sei Robert Wilson in der Lage gewesen, für "Die Neger" einen "All-Black-Cast" zu wählen. 1961 habe ihn die amerikanische Erstaufführung von "The Blacks", die als Gründungsmoment des schwarzen Theateres in den USA gelte, nachhaltig beeindruckt. "Und wer Bob Wilsons Biografie kennt, darf vermuten, dass ihn dieser Umstand durchaus bewegte."

Bei Wilson in Paris spielten also weiß gefärbte Schwarze, als "Hofstaat" verkleidet, eine "üble Zeremonie" nach: "Schwarze spielen den Sexualmord an einer Weissen nach. «Les nègres se nègrent», sagt der Spielleiter, um klarzumachen, dass sie mit solch dunklen Neger-Klischees bloss den weissen Blick der kolonialen Welt reflektieren."

Alles, so Villiger Heilig weiter, sei "von einer Künstlichkeit, die heute fast kunstgewerblich" wirke: "Theater im Theater im Theater." Aber ausgerechnet Robert Wilson lasse "plötzlich Körper tanzen, Hüften schwingen, Hände klatschen."
Die fabelhafte Show im Wilson-Light-Design mische Bitterstoffe unter "das hübsch Liebliche und drollig Ungezähmte". Und die Zuschauer würden zu Voyeuren.
"Denn während wir das phänomenale Ensemble bestaunen, glotzen auch unsere Stellvertreter auf der Bühne von ihrer Tribüne herunter: Die lächerlichen Totenmasken-Popanze des weissen Hofstaats kreischen lüstern, wenn zähnebleckende Sklaven die Mär vom bösen schwarzen Mann spielen."

Es sei "die Wirklichkeit ohne Anführungszeichen, der diese Inszenierung Kraft, Witz, Schönheit, Schärfe verdankt: schwarze Gesichter statt Blackfacing." Die Hautfarbe lade Genets Stück heute noch mit "politischer Energie" auf.

In unseren Köpfen ist es bald soweit?

Luc Bondy, Intendant des Pariser Odéon-Theaters, habe mit Stück- und Regisseurswahl für "Die Neger" die richtige Intuition gehabt. "Nach den Peinlichkeiten um Johan Simons' Aufführung von 'Die Neger' (...) – sowohl in der Inszenierung als solcher wie in der absurden Petition wider den angeblichen Rassismus – war eine Offensive die beste Antwort", schreibt Joseph Hanimann in der Süddeutschen Zeitung.

Wilson habe aus dem "burlesken Situationsreigen" eine "Nummernrevue" gemacht. Genets "Verstellungs- und Rollenspielzauber" komme aber nicht ohne "den archimedischen Punkt einer politischen Objektivität" aus. Es werde daher suggeriert, hinter der Bühne fänden eine wahre
Hinrichtung eines Schwarzen durch Weiße statt, von denen uns "der Neger Ville de Saint-Nazaire hie und da Kunde bringt". Im Umgang mit diesem Motiv beweise Robert Wilson "sein eigentliches Genie". In "einem stummen Prolog" hole er "die wahre Hinrichtung" nach vorn an die Bühnenrampe. Saint-Nazaire stehe dort, wenn wir den Saal betreten, und lächele uns "eiskalt entgegen" – Babacar M'Baye Fall spiele ihn als eine der "unheimlichsten Figuren, die wir seit Langem im Theater sahen". Unter "wiederholten Maschinengewehrsalven" erschienen dann die schwarzen Darsteller einer nach dem anderen "und erstarren mit erhobenen Händen".

"Aufgetreten, abgeknallt – so übersetzt der Regisseur Genets zeremoniellen Spuk zwischen Spiel und Wirklichkeit, oder vielmehr umgekehrt: abgeknallt, aufgetreten." Denn wie in ein Nachleben verschwänden die Darsteller am Ende im Palast, in dem das Stück dann beginne. Der Palast als Kunstwelt, "in deren abschirmendem Ambiente die Schüsse noch lauter knallen."

Sein Stück würde vergessen werden, wenn "Verachtung und Abscheu, Wut und Hass zwischen Farbigen und Weißen" eines Tages verschwunden sein werden, habe Genet geschrieben. "Die Pariser Aufführung", schreibt Hanimann, "suggeriert, dass es in unseren Köpfen vielleicht schon fast so weit ist, dass es in der Realität aber noch genügend Menschenverachtung gibt, von der das Theater zehren kann".

(jnm)

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