Zeit der Füchse

von Willibald Spatz

Ingolstadt, 18. Oktober 2014. Mit "Foxfinder" hat die Autorin Dawn King einen Hit geschrieben. Das Stück spielt in keinem bestimmten Land zu keiner bestimmten Zeit und lässt gerade daduch Deutungsspielraum; es weist ebenso parabelhaft auf zeitgenössische Überwachungsstaatstendenzen wie auf Ängste, die Kontrolle über das eigene Leben zu verlieren. Es zeigt, wie die Möglichkeit, nur ein wenig Macht über einen Mitmenschen zu gewinnen, ein faschistisches System stützen kann, wie Aberglaube in der Lage ist, eine technokratische Welt ins Chaos zu stürzen, und wie der Mensch seinem Mitmenschen ein Wolf oder besser: ein Fuchs sein kann.

Vom Fuchswahn befallen

Der Fuchs ist in dieser Welt der Inbegriff alles Bösen. Die Füchse rauben kleine Kinder. Wenn die Bestien in der Nähe sind, verlieren die Bürger den Verstand und fallen wie Tiere übereinander her. Deswegen müssen die Füchse gejagt werden, und diejenigen, die von ihnen befallen wurden, müssen ebenso eliminiert werden, indem man sie vom Land ihrer Vorfahren vertreibt und in Fabriken steckt, wo sie sich innerhalb von drei Jahren zu Tode arbeiten.

In dieser genial aberwitzigen Ausgangssituation hetzt nun Dawn King vier Personen aufeinander, die in pointierten Stakkato-Dialogen ihre kompletten Daseinsentwürfe auf den Kopf stellen. Das Bauernehepaar Judith und Samuel hat die Ehre, den Foxfinder William für kurze Zeit zu beherbergen. Ihnen ist schnell klar, dass er nicht nur bei ihnen wohnen will, sie sind auch das Objekt seiner Untersuchungen. William sagt: "Samuel, diese Fragen dienen lediglich dazu, mir ein Bild von der Situation vor Ort zu machen." Und Samuel rastet aus: "Es gibt hier keine Situation." Von wegen. Und was für eine Situation es hier gibt.


Foxfinder3 560 JochenKlenk uInvestigativ: Béla Milan Uhrlau als Foxfinder William befragt Matthias Zajgier (als Samuel)
© Jochen Klenk

Ausstatter Nikolaus Porz hat für das Zusammentreffen dieser Personen einen Bungalowcontainer geschaffen, einerseits futuristisch, weil man in den Wohnbereich hochsteigen muss, andrerseits schäbig, weil die Wände mit Wellblech ausgekleidet und die Räume mit Sperrmüll möbliert sind, dazu rieselt permanent Videoregen im Hintergrund – insgesamt ein idealer Ort für die Stimmung, die "Foxfinder" ausmacht.

Der Foxfinder als Eindringling

Allein der Wahnsinn kommt stark gezügelt daher. Donald Berkenhoff inszeniert die deutschsprachige Erstaufführung zu Beginn äußerst vorsichtig. Er lässt jedem Satz viel Zeit nachzuhallen. Patricia Coridun und Matthias Zajgier sind ein distanziertes Paar. Sie stecken in grauen Kleidern, die an ein Sektengewand erinnern, und leben unter demselben Dach nur noch nebeneinander her. Ihnen ist ein Kind ertrunken, seitdem finden sie nicht mehr zueinander.

Auch Béla Milan Uhrlau als der Foxfinder William ist anfangs keineswegs eine unsympathische Verkörperung der Macht. Unsicher schleicht er sich ins Haus, lässt sich von den Bewohnern die Ausweise zeigen, damit er sicher sein kann, dass nicht Fremde ihre Identitäten geklaut haben. Ein jungenhafter Mann, dem von klein an der Kopf gewaschen wurde, der den Quark, den er erzählt, womöglich selbst glaubt und der sich heimlich nachts geißelt. Erst als er Judith allein zu den Sexualpraktiken des Paars befragt und ihr unmissverständlich zu Leibe rückt oder als er Samuels Trauma wieder heraufbeschwört, indem er ihn zwingt, den Tod des Sohns im Detail zu schildern, schimmert sein wahres Gesicht durch die Fassade.

Foxfinder1 560 JochenKlenk uSelbstgeißelung: Béla Milan Uhrlau als Foxfinder William
© Jochen Klenk

Eine Nachbarin taucht auf mit einem Flugblatt, das behauptet, alle Füchse seien tot. William durchwühlt die Schränke und kennt bald alle Geheimnisse. Er bringt die anderen dazu, sich gegenseitig zu verraten oder ihm Zugeständnisse zu machen. Samuel verwandelt sich in einen fanatischen Fuchsjäger.

Zum Schluss wird viel geschossen und gebrüllt und beinahe gevögelt, es rührt sich richtig was, wobei Dawn King es in ihrem Text geschickt offen lässt, ob die Leute wirklich austicken oder ob dieser Kontrollverlust kalkuliert ist. Man spielt das Spiel solange mit, bis man die Regeln selbst bestimmen darf. Hier wird die Ingolstädter Version wiederum laut und eindeutig. Samuel verwandelt sich in einen ballernden Rambo, und William erliegt seiner Erschöpfung und Judiths Reizen. Ein beeindruckendes Finale, aber im Vergleich zum Text wenig subtil.

Gleichwohl: "Foxfinder" ist eine Entdeckung, und der Ingolstädter Abend weckt allemal Lust weiterzuverfolgen, wie andere Inszenierungen die reichen Möglichkeiten dieses Textes ausloten.


Foxfinder
von Dawn King
Deutsch von Anne Rabe
Deutschsprachige Erstaufführung
Regie: Donald Berkenhoff, Ausstattung: Nikolaus Porz, Musik: Deborah Wargon, Video: Stefano Di Buduo, Regieassistenz: Mona-Julia Sabaschus, Dramaturgie: Paul Voigt, Soufflage: Susanne Wimmer, Inspizienz: Eleonore Schilha.
Mit: Patricia Coridun, Teresa Trauth, Béla Milan Uhrlau, Matthias Zajgier, Judith Covey.
Dauer: 2 Stunden 20 Minuten, eine Pause

www.theater.ingolstadt.de

 

Kritikenrundschau

"Das Stück der britischen Autorin ist ein streng gebautes Lehrstück, eine Parabel – ein wenig 'Biedermann und die Brandstifter' steckt darin, Brecht und Miller standen Pate. Die Thesen sind klar konturiert, die Charaktere wie mit Schablonen ausgestanzt", schreibt Sabine Busch-Frank im Donaukurier (20.10.2014) Die Kritikerin hätte sich, "nicht zuletzt von Regisseur Donald Berkenhoff, der diese Erstaufführung vielleicht allzu sehr beim Wort nahm, mehr Freiheit, weniger flache Bilder und eine größere Unschärfe gewünscht". Dann wäre der Abend, schreibt sie, "vielleicht nicht ganz so vorhersehbar geraten. Die Schauspielerriege allerdings kämpfte sich durch alle Längen und widerstand der klammen Kälte tapfer."

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