Mein Kamerad - die Diva - Eine Ausstellung im Schwulen Museum* Berlin, ein Buch und ein Symposium spüren den Frauendarstellern an der Front nach
Kampfmittel gegen fortschreitende Zersetzung
von Georg Kasch
Berlin, 5. November 2014. Erwin Piscator war not amused: Es sei "einfach eine Qual" gewesen, die Antonie in Roderich Benedix' "Die Hochzeitsreise" zu spielen. "Dennoch wurde mir von ganz unparteiischer Seite das Kompliment gemacht, dass man mich solange für eine richtige Frau gehalten habe, bis man meinen Namen auf dem Zettel gelesen habe." Mal davon abgesehen, dass es interessant wäre zu erfahren, was eine "richtige Frau" ausmacht – Piscator ist kein Einzelfall: Viele Soldaten spielten während des Ersten Weltkriegs Theater. Und nicht wenige davon spielten Frauenrollen.
Soldaten spielen Theater
Nun ist das ja grundsätzlich kein junges Phänomen: Von der Antike über Shakespeare und Hosenrollen bis zu den Travestieshows hat es auf dem Theater immer wieder den mehr oder weniger illusionistischen Geschlechtertausch gegeben. Aber unter Soldaten? Einer geschlossen männlichen Gesellschaft? Während eines der grausamsten Kriege der Weltgeschichte?
Symposium, beim dem am 8. November in der Humboldt-Universität die Autoren der Buch-Beiträge Vorträge halten. Front- und Gefangenen-Theater hatte es schon vor dem Ersten Weltkrieg gegeben, aber noch nie so viele und noch nie so gut dokumentiert – ein internationales Phänomen, wie Bilder von russischen, französischen, englischen und deutschen Soldaten- und Gefangenen-Truppen zeigen.
Es sind Fragen wie diese, die zur Ausstellung "Mein Kamerad – die Diva" im Berliner Schwulen Museum* geführt haben, zur begleitenden Publikation und zumAlt-Heidelberg für die Notgemeinschaft
Dabei spielte das Theater keine subversive, sondern eine systemerhaltende Rolle: ihrer stimmungshebenden und wehrkraftsteigernden Wirkung halber "als Kampfmittel gegen fortschreitende Zersetzung", wie es einmal heißt, gegen Langeweile und Sinnlosigkeitsanfälle. Da die gespielten Stücke – in erster Linie Lustspiele wie "Alt-Heidelberg" und "Der Raub der Sabinerinnen", aber auch "Minna von Barnhelm" und "Die Räuber" – Frauenrollen enthielten, die Notgemeinschaften an der Front oder im Lager aber ausschließlich aus Männern bestanden, waren Damendarsteller die einzige Lösung.
Sie bewegten sich dabei zwischen zwei Extremen: Das bewährte komische Mittel, in weiblicher Verkleidung durch Übertreibung, grobe Gesten und markante Stimmen auf das wahre biologische Geschlecht zu verweisen, traf auf die Einfühlung, wenn das Geschlecht des Darstellers ganz hinter der Rolle verschwand. Für beide Versionen gibt es im Schwulen Museum* beeindruckende Filmbeispiele und Fotos – oft so klein, dass nebenbei eine Lupe hängt. Im Begleitband sind sie oft besser zu erkennen, aber da verpasst man, wie liebevoll der große Raum gestaltet ist mit Uniform und Kostümen, mit feldgrauem Leinen und rohem Holz – und die erstaunlich vielen Film- und Tondokumente kann er auch nicht ersetzen.
Irritationsanfällige Verabredung
Dafür kreisen die sieben Buch-Beiträge immer wieder um die Frage, ob und wie die Frauendarsteller die Geschlechterrollen, ja das sexuelle Begehren der Betrachter durcheinandergewirbelt haben. Antworten gibt es keine, eher Vermutungen. So betonen Julia B. Köhne und Britta Lange, dass "die Verabredung, dass alle Seiten sich im Moment der Bühnenaufführung freiwillig und bewusst der Täuschung hingeben, zutiefst irritationsanfällig war". "Wie ein Hypnotiseur musste der Damendarsteller die Zuhörer bestricken, so dass ihnen ganz das Bewusstsein schwand, einen Mann vor sich zu haben", zitieren sie den Kölner Theaterwissenschaftler Hermann Pörzgen, der die von Carl Niessen gegründete Theaterwissenschaftliche Sammlung und damit das Kriegstheaterarchiv betreute.
Gute Damendarsteller wurden schnell zum Star der Truppe, galten als wirkliche Künstler und wurden verehrt – auch über die Bühnendarbietung hinaus: Oft erhielten sie Privilegien, höhere Essensrationen, "Aufmerksamkeit, Galanterien, im Lagerleben unerhörte Erscheinungen", "Blumen und Geschenke", wie Pörzgen schreibt. "Mein Leben war also das einer Diva", berichtet ein ehemaliger Damendarsteller an der Front: "Meine Kameraden sparten sich in rührender Anhänglichkeit und Devotion manches vom Munde ab, nur um mir alles bieten zu können, damit die Heldin ihrer Tage im schönen Komfort und in ihrem wohlbehüteten Heim leben konnte. Kein Mittel der Kosmetik war zu teuer, unzählige Briefe und Briefchen flatterten in meine Wohnung von Verehrern meiner Kunst, die nur zu oft auch meine Person selbst betrafen."
Etwas geriet durcheinander
Auch wenn man nicht vom Dargestellten auf die sexuelle Veranlagung des Darstellers schließen kann, wie Buch und Ausstellung immer wieder betonen, auch wenn die offizielle Anerkennung der Damendarsteller, die sich etwa in zahlreichen Feldpostkarten mit ihren Abbildungen ausdrückt, dagegen spricht – etwas geriet mit ihnen durcheinander. Selbst wenn es sich bei ihrer Verehrung durch die Kameraden "um nichts anderes, als um das starke Begehren nach dem Weibe gehandelt" haben mag (so ein Zeitzeuge) – der Umstand, dass sich die Bewunderung zuweilen von der Figur auf den Darsteller übertrug, macht deutlich, dass es mit Travestie eine Eindeutigkeit der Geschlechter nicht geben kann. Andererseits betonen mehrere AutorInnen des Buches, dass die "zweigeschlechtliche und asymmetrisch strukturierte Geschlechterdifferenz in der Damenimitation offensichtlich wiederhergestellt werden sollte" – gezeigt wurden Frauen als Modelle einer Weiblichkeit, wie sie zu diesem Zeitpunkt längst nicht mehr gesellschaftliche Realität war.
Wie genau nun diese Darstellung mitten im Krieg, zwischen Grabenlangeweile und Todesnähe auf die Soldaten gewirkt haben mag – wir wissen es nicht. Man kann es auch nicht erwägen, wenn man sich – wie die Ausstellung – die Berliner Gefängnistheatergruppe aufBruch vor Augen führt (über die wir hier und hier berichteten), wo Frauendarstellungen Teil des Spiels sind, aber nie perfekte Illusion angestrebt wird. Wie Soldaten in Drag wirken können, zeigt vielleicht am besten ein Video (auch das ist in der Ausstellung zu sehen), das Mitglieder der US-Army in einem Camp in Afghanistan zeigt, die die Choreografie einer Cheerleader-Gruppe zum Popsong "Call me maybe" imitieren.
Denn was bleibt, wenn halbnackte Muskelpakete laszive Bewegungen und Blicke proben in einer Umgebung, die von Gewalt geprägt ist? Je nach Betrachter wirkt die Performance erotisch, witzig, unterhaltsam, ziemlich schwul. Das alles aber wird gerahmt vom Kriegs-Camp, von Gewalt und Tod also. Das ist die eigentliche Ambivalenz, auf die Ausstellung und Buch zu wenig eingehen: die unauflösbare, schmerzliche Spannung zwischen Unterhaltung und Vernichtung.
Die Ausstellung Mein Kamerad - die Diva. Theater an der Front und in Gefangenenlagern des Ersten Weltkriegs läuft noch bis zum 30. November 2014 im Schwulen Museum* Berlin. Der von Julia B. Köhne, Britta Lange und Anke Vetter in der edition text + kritik herausgegebene Begleitband umfasst 131 Seiten und kostet 19,80 Euro.
http://www.kamerad-diva.de
http://etk-muenchen.de
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