Ost-Indianer und Western-Ganoven

von Michael Bartsch

Zittau, 7. November 2014. Unerlöste Seele West trifft auf materiellen Erlösungsbedarf Ost. Auf diese knappe Formel ließe sich ein heftiger Theaterabend in Zittau bringen, der sich vom organisierten Jubel dieser Wochen nach 25 Jahren Mauerfall erheblich unterscheidet. Oliver Bukowskis "Indianer", so der doppelbödige Titel, ist als Beitrag des Gerhart-Hauptmann-Theaters Görlitz-Zittau zu eben diesem Jahrestag deklariert. Aber zu sehen und zu hören ist alles andere als eine sentimentale Geisterbeschwörung. Man fühlt sich an die subversive Theaternische der späten DDR erinnert, als die Bühne aussprach, was außerhalb der herrschenden Lehrmeinung lag.

Flucht vor der kapitalistische Kälte

In Zittau, wo die Schauspielsparte des Hauptmann-Theaters zu Hause ist, hat man in diesem Herbst keinen Heiner Müller oder vergleichbare Autoren ausgegraben wie anderswo. Intendantin Dorotty Szalma gab bei Oliver Bukowski, den sie schon ins Ungarische übersetzt hatte, ein Stück in Auftrag. Der ist nicht gerade bekannt für bemühten Optimismus und unverbindliche Späßchen. Mit der Dichte seiner Sentenzen und dem gewohnt bissigen Wortwitz mutet "Indianer" vielmehr wie ein Zusammenschnitt dessen an, was den 1961 in Cottbus geborenen Autor seit 25 Jahren umtreibt. Ja, es entsteht sogar der Eindruck, Bukowski habe Stoff und Handlung nur in den Dienst dessen gestellt, was er an Frust über mitmenschliche Verluste und Wohlstandsverwahrlosung summarisch loswerden wollte.

indianer1 560 pawel sosnowski xWessi Katja (Katja Schreier) auf Seelenheilsuche in der ost-indianischen Schwitzhütte
© Theater / Pawel Sosnowski

Es ist eine der krausen Geschäftsideen, auf die man wohl als arbeitsloser Ossi kommen musste, die die fünf Akteure aus Ost und West zusammenführt. Esoterik liegt im Trend, und so will der zuvor schon mehrfach gescheiterte Thomas gemeinsam mit Tochter Paula seinen bescheidenen Hof retten, indem er eine indianische Schwitzhütte einrichtet. Kaputte West-Touris suchen doch so etwas! Den tristen Handlungsort Neschwitz gibt es in der Nähe von Bautzen tatsächlich, Dramaturgin Kerstin Slawek gab Bukowski den Tipp. Wider Erwarten kommen tatsächlich Gäste.

Schlachten der Neunziger

Alle haben einen kleinen Schaden: die neurotische Maria findet es schick, die Ossis zu beschnuppern und in Gedanken "einen Kommunismus anzufertigen, wie er ursprünglich gemeint war". Ihr Freund Stephan wirkt affektiert, Katja mit ihrem unverzichtbaren schamanischen Tuch hingegen einfältig auf der langen Reise ins ferne Ich. "Ichlinge" nennt der Autor die drei, und in der Regie des Weltbürgers Christian Papke grenzen ihre Darstellung manchmal an die Karikatur und die Dialoge ans Kabarett.

Erinnert wird an die zahlreichen Verletzungen des Vereinigungsprozesses, die weder in den heutigen Festreden noch als Forschungsgegenstand vorkommen: Der durch die Treuhand beförderte Ausverkauf der DDR, faktischer Kolonialismus, Ausschaltung ostdeutscher Wirtschaftskonkurrenten, das Wechselbad einer Stilisierung der Ossis entweder als Helden oder als Trottel, die "Massenvernichtung" von Biografien. Noch dichter als im eigentlichen Stück findet sich solche Polemik gleich in mehreren nebeneinander gestellten Prologen. Mit DDR-Widerstandsbiografie beispielsweise ist man leider zu aufsässig für einen Job in der kapitalistischen Wirtschaft.

So treffend das sein mag, entsteht doch der Eindruck, hier würden noch einmal die Schlachten der Neunziger geschlagen. Mehr als zweieinhalb Stunden prasseln Disputation auf die Zuschauer ein. Ausgetragen werden sie in allen Lagen, bei versuchten indianischen "Selbstoffenbarungsritualen", im Konflikt von Vater und Tochter oder bei einem postkoitalen Pas de deux in Minimalbekleidung. Was aber ist Stand 2014? Das Publikum Ü40 applaudierte lange und rhythmisch, aber bei einer Voraufführung wussten junge Leute mit manchen Themen nichts mehr anzufangen. Spät, Richtung Happy-End-Kurve, klang es manchmal an, dass wir gemeinsam vor großen offenen Fragen an ein wenig zukunftsfähiges Systems stehen.

Am Ende heulen die Wölfe

Für die heftigen Dispute und die auflockernden Aktionen hat die junge Sabine Born Bühnenelemente entworfen, die sich von einer Schwitzhaus-Fassade unverhofft zu einem Saal kombinieren lassen, der einschließlich des "Problemtisches" im Vordergrund da Vincis "Abendmahl" nachempfunden ist. Wenn sie dann noch Stuck und Saaldecke krachen lässt, folgt sie ganz dem Apokalyptiker Bukowski. Die Vornamen der Figuren entsprechen denen der vier Spieler aus dem kleinen Zittauer Ensemble, das durch Thomas Werrlich als Gast bereichert wird. Der plakativen Stückanlage können sie durch Tiefzeichnung nicht viel hinzufügen, und die Regie scheint das auch nicht sehr gründlich versucht zu haben.

Am Ende heulen die Wölfe in der Lausitz, doch der Schlusssatz spricht überraschend optimistisch und vielsagend von einer zweiten Chance, die jeder bekäme. Auf der Premierenfeier wurde spekuliert, auf welches Echo Bukowskis "Indianer" bei einer zweiten Chance auf einer westdeutschen Bühne stoßen würde ...

 

Indianer
Tragikomödie von Oliver Bukowski
Uraufführung
Regie: Christian Papke, Ausstattung: Sabine Born, Dramaturgie: Kerstin Slawek.
Mit: Thomas Werrlich, Paula Schrötter, Katja Schreier, Stephan Bestier, Maria Weber.
Dauer: 2 Stunden, 40 Minuten, eine Pause

www.g-h-t.de

 


Kritikenrundschau

"Etwas weniger Fassadenblick wäre dieser Aufführung zu wünschen, die vom Zittauer Ensemble mit spürbarer Lust und großem Engagement auf die Bühne gestemmt wurde", schreibt Rainer Kasselt in der Sächsischen Zeitung (10.11.2014). Oliver Bukowski habe ein "gescheites Stück“ verfasst. "In der Regie von Christian Papke wird keine Figur zur Witzfigur degradiert. Etwas angepappt wirken die teils didaktischen, teils intelligenten Prologe." Die "temporeiche, turbulente Inszenierung vermeidet jede Verklärung. Sie setzt jedoch stark auf äußere Effekte, entschärft durch schrilles Spiel manche kritische Textpassage."

Abgesehen "von ein, zwei originellen Ideen" werden zweieinhalb Stunden "Plattitüden und Klischees aneinandergereiht", sagt Theaterredakteur Stefan Petraschewsky auf MDR Figaro (17.11.2014). "Für ein Stück, daß 25 Jahre nach der Wende die Verhältnisse hierzulande aufs Korn nehmen will, ist es ein peinliches, schlechtgemachtes Stück." Denn Autor Oliver Bukowski habe sein Erfolgsstück "Londn – L. Ä. – Lübbenau" (von 1993) "quasi einfach nur verlängert ohne zur Kenntnis zu nehmen, daß die Verhältnisse im Osten inzwischen durchaus andere und differenzierter sind". Die Leute, die der Kritiker im Zittauer Foyer beobachten konnte, seien "eben keine Blöd- und Looser Ossis – wie es das Stück später behauptet". Auch die Schauspieler täten sich mit dem Stoff schwer. "Was sie auf der Bühne zeigen ist mehr behauptet als erspielt."

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