Eukalyptus im Totalitarismus

von Frauke Adrians

Weimar, 8. November 2014. Was ist denn das nun wieder? Ein Beitrag zum Orwell-Jahr: 30 Jahre 1984? Ein Beitrag zum immer wieder gern totgerittenen Thema: "Utopien - und wie sie scheußlich scheiterten"? Oder ein weiteres kaum spielbares Theoriendrama mit vielen hochtrabenden Substantiven im Exposé ("Enthierarchisierung", "Möglichkeitssinn", "Vorahmung")? Was auch immer Kevin Rittberger, Autor des Stückes "Radio Cooperativa", vorhatte – und was immer Regisseur Jakob Fedler auf der Bühne des Weimarer E-Werks daraus macht: 70 Minuten hält man es aus. Länger wäre lästig.

 Auch Weimars Goethe-Schiller-Denkmal verschmort

"Es geht um die ästhetische Umsetzung von anderen Möglichkeiten", ist die Inhaltsangabe im Programm-Faltblatt zur Uraufführung tapfer überschrieben. Zunächst mal geht es um eine Horrorvision, die mit Orwell locker mithalten kann: Wir schreiben das Jahr 2043, die Welt im Allgemeinen wird von Großkonzernen beherrscht, Weimar im Besonderen von einem chinesischen Zellstoffproduzenten, der auf dem Ettersberg – dort, wo 100 Jahre zuvor das KZ Buchenwald stand - eine totalitäre Eukalyptus-Plantage betreibt. Das Wasser für die Restbevölkerung ist erstens knapp und zweitens verseucht. Den Boden bedecken die geschredderten Reste des angestammten Thüringer Baumbestandes.

radio cooperativa1 560 kerstin schomburg uLustige Revoluzzer auf den Resten des Thüringer Baumbestands © Kerstin Schomburg

Die Alten finden sich ab, die Jungen begehren auf; zumindest die Klischees sind also noch intakt. Ein Bursch' in Lederhose namens Erle (Tobias Schormann), benannt nach einer anno 2043 nahezu ausgestorbenen Baumart, und die heiligmäßige Öko-Aktivistin Longka (Johanna Geißler) fackeln die Plantage ab; dass alles andere – inklusive Weimars Goethe-Schiller-Denkmal – gleich mit verschmort, stört nicht weiter. Neues Leben blüht aus den verkohlten Baumstümpfen. Alle bilden einen Arbeitskreis und diskutieren, wie man eine Welt aus selbstverwalteten Betrieben aufbauen kann. Vorhang.

Hitzköpfig, aber aufrichtig

Die einzige Frage, die den Zuschauer über 70 Minuten beschäftigt, lautet: Wie ernst wollen Autor und Regisseur eigentlich genommen werden? Dass so ein Stück sich unmöglich im hohen Ton der hehren Utopie durchhalten lässt, ist offensichtlich beiden klar: Zumindest die eine oder andere Dialogzeile deutet Ironie an. Und das titelgebende Radio Cooperativa ist ein Ulkfunk, der lustige Geräusche macht und dessen Moderator (Michael Wächter) nicht der Unternehmenspropaganda verfällt. Signal ans Publikum: Es darf gelacht werden.

Die Ernsthaftigkeit, mit der "Radio Cooperativa" sich andererseits um die Wiederbelebung von Salvador Allendes Kollektivierungs-Plänen bemüht, hat etwas Rührendes. Oder besser: hätte etwas Rührendes, wenn das Stück nicht so gnadenlos im Theoretischen steckenbliebe. Die Figuren, die Autor Kevin Rittberger entwirft, sind bloß Holzschnitte: Opa und Oma, desillusioniert, verängstigt und misstrauisch nach all den vielen politischen Slogans des 20. Jahrhunderts; der Revoluzzer-Enkel, hitzköpfig, aber aufrichtig; der Expolizist, der sich in Zeiten des Konzern-Regimes durchlaviert und auf bessere Tage hofft. Überall Holzschnitte, kein Charakter in Sicht. Die Schauspieler des Nationaltheaters Weimar sind krass unterfordert.

Wer so schreibt, der meint das ernst

Die Musik von Laura López Castro und Lonski & Classen aber – so verspricht es der Programmzettel -, "die Musik ist von zentraler Bedeutung. Die Musik ist ein Hoffnungsstrom, der unter allem liegt. In ihr ist es möglich, momentweise einen Ausblick in ein fernes Utopia zu erhalten. Die Musik verbindet das Individuum mit dem Ganzen, lässt beides ineinander aufgehen, ohne den Einzelnen zu negieren. Die Musik ist ein Bollwerk gegen den Fatalismus, gegen die Hoffnungslosigkeit." Wer so schreibt, der meint das ernst. Die Musik aber, die Live-Musik auf der Bühne des E-Werks, ist vor allem sehr laut in dem mäßig großen Saal, besteht vorrangig aus Schlagzeug, wird insgesamt eher spärlich eingesetzt und verbindet überhaupt nichts. Im besten Fall zitiert sie Lieder aus Allendes Chile. Ansonsten lässt sie den Zuschauer völlig kalt.

Am Ende triumphiert eine Art Arbeiterbewegung 2.0, die ihren Sieg über den allüberwachenden Bonzen in der Eukalyptus-Plantage mit dem Lied "Alle Drohnen stehen still, wenn unser starker Arm es will" feiert. Das totale Flammeninferno hat den kapitalistischen Totalherrscher hinweggefegt. Wie war das noch? "Ästhetische Umsetzung von anderen Möglichkeiten"? Was, bitte, ist denn hier ästhetisch, was ist "anders" – oder gar: besser?

Wie lautet noch gleich der Wahlspruch des Senders Radio Cooperativa? "Reingehört und Spaß gehabt." Nach 70 Minuten Uraufführung wünschte man, es wäre so.

 

Radio Cooperativa
von Kevin Rittberger
Uraufführung
Regie: Jakob Fedler, Musik: Laura López Castro und Lonski & Classen, Bühne und Kostüme: Marc Bausback, Dramaturgie: Nora Khuon.
Mit: Bernd Lange, Ingolf Müller-Beck, Tobias Schormann, Elke Wieditz, Johanna Geißler, Michael Wächter.
Dauer: 1 Stunde 10 Minuten, keine Pause

www.nationaltheater-weimar.de

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