Bebildert mit Talent fürs Schrille

von Jens Fischer

Hannover, 5. Dezember 2014. Hau den "Tasso". Eine Performance-Parodie. Staatssekretär Antonio haut also den Künstler Tasso, der haut zurück. Und umgekehrt. "Es bildet ein Talent sich in der Stille", betont der eine immer und immer wieder, "sich ein Charakter in dem Strom der Welt", entgegnet der andere. Beide verballhornen den Goethe-Text mit Micky-Maus-Stimme, schlagen sich die Positionen wie auch Thermoskannen zunehmend slapstickreifer um die Segelohren.

Die grob aus Schaumstoff zurechtgeschnippelt und an die bollerigen Comicfiguren-Köpfe geklebt sind. Ideen, die Das Helmi in Hannover hinterlassen hat. Und beide Haudraufs nun gleich aussehen lässt. Wir könnten deuten, es seien zwei sich gegenseitig in Frage stellende Aspekte des gleichen Goethe, kühler Technokrat und metaphysisch wie libidinös ausschweifender Dichter. Was Regisseur Tom Kühnel aber als zentrale Kunst- und Lebensfrage wieder auseinanderdividiert – in einem Miniaturdisput über Autonomie der Künstler, Wünsche der Kunden und absatzorientierte Anforderungen des Marktes. "Erlaubt ist, was gefällt", sagt der eine, "erlaubt ist, was sich ziemt", der andere. Verziert mit gefurzten Ausrufezeichen.

"Man spürt die Absicht und ist verstimmt"

Showdown. Und weg mit dem Schaumstoff. "Man spürt die Absicht und ist verstimmt?", paraphrasieren die Darsteller weiter Goethe. Sie beurteilen ihren Auftritt als "vielleicht noch ein wenig zu kurz". Der ganze "Tasso" in zehn Minuten – das Publikum wirkt jedenfalls nicht zufrieden. Also alles auf Anfang. Zurück in die schmucklose Probensituation. Für einen Kurs in darstellendem Spiel. Das Reclamheft wird zur Hand genommen. Ach, dieser Text, so kultiviert, so kunstvoll, klug, so schön und ungeheuer weit weg. Ratloses Rezitieren, verulkendes Anspielen, ironisches Abschmecken, punktuelles Einfühlen. So gewinnt die Sprache zunehmend mehr an Saft und Kraft, wird lebendig bis schwärmerisch.

torquato tasso1 560 katrin ribbe uIm Rausch der Verfremdungen: Mathias Spaan als Tasso und Beatrice Frey
© Katrin Ribbe

Auftritt Tasso! Der Hofliterat rollt sich selbst den roten Teppich aus, posiert wie ein anzuhimmelnder Dichterstar, verteilt sein neues Werk ans Publikum, an Arbeit-/Auftraggeber und Finanzier, den Herzog von Ferrara. Er wird von einem 16-köpfigen Hannoveraner Bürgerchor gespielt, der den Zuschauern in einer Karaoke-Einlage auch einige Verse zum jambischen Singen schenkt. Also: Wir alle sind Herzog, Chor, Volk. Kühnel verheutigt so das Abhängigkeitsverhältnis zwischen Kunst und Macht. Wie der mäzenatische Fürstenhof gegen Ende der Renaissance förderte und regelte, tun das heute aufgeklärte Gönner, finanzstarke Käufer, imagetransferierende Sponsoren und wir Steuerzahler, mittels staatlicher Subventionen. Dass ein freiheitsliebender Künstler an solchen Beziehungen zerbricht, scheint der Regie zu simpel. Schuld an Tassos seelischer Zerstörung ist er selbst. Mit satirischer Lust zeichnet Mathias Spaan ihn als narzisstischen Schönschwätzer und gibt dem Formulierungszauber auch gern mal die volle Dröhnung Pathos. Bis er "Mir gab ein Gott zu sagen, was ich leide" in Selbstmitleid herausweint, anstatt es als künstlerisches Vermögen zu nutzen.

Schöngeistiges Kieksen

Glorios aber zuvor, wie Tasso sich selbst erhöht, auf eine Lautsprecherbox wie einen Sockel steigt, um Antonio erneut zu empfangen und das Duell nun im klassisch hohlen Tonfall auszutragen. Jede Szene wird fortan ästhetisch anders ausformuliert. Die Begegnung mit des Herzogs Schwester Leonore steigert sich schüchtern in putzig putzende Übersprunghandlungen an beider Sitzbank, während der schöngeistige Dialog in kieksende Höhen getrieben wird. Anti-Illusionstheater ist Kühnel wichtig. Erlebt Antonio sich identitätskriselnd doppelt, wird seine Stimme über Lautsprecherzuspielung gedoppelt. Sonst werden gern spannungsheischende bis kitschsatte Filmmusiken unterlegt. Fremdtext darf nicht fehlen. Gespielt wird auch mal im Playbackverfahren, Zickenkrieg auf Italienisch (mit Übertiteln) gekeift und Grübelei in französelnder Singer-Songwriterin-Manier am Klavier dargeboten.

In Tassos finaler Begegnung mit Leonore kommt der Abend sogar zu Ruhe, Klarheit und Bestimmtheit, probiert akkurat abstrahierend eine Kammeroper der Worte. Kühnel scheint auch Benedikt von Peters "Don Giovanni" in Hannover gesehen zu haben, jedenfalls zeigen beide per Videokamera, was ein Frauenheld in einem Frauengesicht auslösen kann, verfolgt wird auch die Handlung bis in den Backstage-Bereich. Das ist bei "Tasso" allerdings kein Regiekonzept, nur ein weiterer Regiegag. Hau den "Tasso" hat genau dieses Problem: Dem lässig unterhaltsamen Abend putziger Ideen fehlt eine große Idee, um die kurzweiligen Schnipselszenen zu verbinden. So bleibt es eine witzig unterhaltende Show des Inszenierungs- und Schauspielhandwerks – als klitzekleines Kompendium zeitgenössisch ver- und entfremdender Theatermittel.


Torquato Tasso
von Johann Wolfgang von Goethe
Regie: Tom Kühnel, Bühne: Jo Schramm, Kostüme: Ulrike Gutbrod, Musikalische Leitung: Markus Hübner, Dramaturgie: Lucie Ortmann.
Mit: Katja Gaudard, Beatrice Frey, Mathias Spaan, Mathias Max Herrmann und einem Chor Hannoveraner Bürger.
Dauer: 3 Stunden, eine Pause

www.schauspielhannover.de


Zuletzt in Hannover: Volksrepublik Volkswagen von Stefan Kaegi (Rimini Protokoll) und Atlas der abgelegenen Inseln von Thom Luz nach Judith Schalansky.

 

Kritikenrundschau

Für Stefan Gohlisch konterkariert diese Inszenierung "so ziemlich alles, was man allgemein im Theater erwartet". "Erst mählich wird diese Inszenierung zu einem Stück, ganz wird sie es nie", Und das sei natürlich Absicht, schreibt Gohlisch in der Freien Presse (8.12.2014). Kühnel liefere großes Ideentheater, Goethes Text werde beinahe zum Hintergrundrauschen.  "Künstlerisches Selbstverständnis und Realität kollidieren hier eben auf mehr als nur einer Ebene." Nicht immer sei der Abend schlüssig, "aber immer interessant".

Viele folgerichtige, kluge und "auf ihre Art großartige" Szenen hat auch Ronald Meyer-Arlt gesehen. Kühnel zeige fast alles, was auf der Bühne möglich ist, schreibt Meyer-Arlt in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung (8.12.2014), und das wirke nicht als reine Demonstration von Fertigkeiten, "sondern – Kunststück – immer auch irgendwie zwingend". Die von Anfang an behauptete Theatersituation biete dem Ensemble die Möglichkeit, mächtig aufzudrehen und "(ganz unironisch) sehr pathetisch zu werden", was schön zu Goethes Sprache passe. Drei Stunden fühlten sich für den Rezensenten an wie eine, und er schließt: Wer sich auf diesen Abend einlasse, "geht am Ende beglückt und begeistert aus dem Theater".

 

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