Presseschau vom 8. Dezember 2014 – Ulrich Matthes im Spiegel-Interview über Expertenjournalismus und die Kommentarkultur auf nachtkritik.de

"Ich glaube nicht an Schwarmintelligenz"

"Ich glaube nicht an Schwarmintelligenz"

8. Dezember 2014. Schauspieler Ulrich Matthes spart derzeit nicht mit herzerwärmenden Botschaften für Journalisten und Theaterkritiker. Jüngst im Tagesspiegel bescheinigte er der Kritik seiner Stadt und seiner Bühne (des Deutschen Theaters Berlin), "hart, sehr selbstbewusst und manchmal ein bisschen zu kulturpolitisch", aber in der Mehrzahl doch "okay" zu sein.

Jetzt ist Matthes, selbst Sohn eines renommierten Tagesspiegel-Journalisten, zum "Spiegel" nach Hamburg gereist, um die dortigen Journalisten in der seit Jahren andauernden Printkrise ein wenig aufzumuntern: "Journalismus ist Kunst, jedenfalls ist für mich jeder gelungene journalistische Text ein Kunstwerk", sagt Matthes. Anregende Haltungen schätze er an Kritiken und eine "Freude an der Sprache", durch die ein journalistischer Text gleichsam zu einer "Partitur" werde. Ähnlich wie in der Kunst solle es im Journalismus um die Förderung von "Empathie" gehen und darum, "den Menschen und die Dinge in ihrer Widersprüchlichkeit zu zeigen, in der Reichheit dessen, was möglich ist."

Fatale Anonymität auf nachtkritik.de

Das "Expertentum", das hinter solcher Schreibkompetenz stehe, werde aber aktuell infrage gestellt. Womit das Interview auf die Meinungskultur im Internet zusteuert: "Die Meinungsäußerung ist doch nicht dadurch demokratisiert, dass Leute, von denen man früher einen dämlichen Leserbrief bekam, sich jetzt an ihre Computer setzen und in der Öffentlichkeit vor sich hin brabbeln!", sagt Matthes. "Ich glaube nicht recht an eine Schwarmintelligenz. Ich glaube an die Intelligenz von einzelnen Menschen."

Und dann kommt der Schauspieler auf die Kommentarkultur auf nachtkritik.de zu sprechen, einer Website, die er nach eigenen Aussagen regelmäßig nutzt: "Auf der Theaterplattform Nachtkritik.de kann man Rezensionen von Lesern finden, die auch anonym bleiben dürfen, die nach Aufführungen Regisseure, Schauspieler und Kritiker in die Pfanne hauen. Das finde ich fatal. Warum lässt man zu, dass die Autoren dieser Kommentare nicht ihre wirklichen Namen daruntersetzen?"

(chr)


Die Frage nach der Anonymität im Netz, die Ulrich Matthes hier aufwirft, wird seit Gründung von nachtkritik.de im Mai 2007 intensiv diskutiert und regelmäßigen Positionsbestimmungen unterzogen. Siehe dazu die Essays: Theaterkritik im Netz vor dem Hintergrund einer sich verändernden Öffentlichkeit am Beispiel von nachtkritik.de von Nikolaus Merck (3/2011) sowie Fünf Jahre nachtkritik.de – eine kleine Zwischenbilanz von Dirk Pilz (5/2012).

Mehr im Dossier zur 2014er Konferenz von nachtkritik.de und der Heinrich Böll Stiftung Theater und Netz, Vol.2.

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