Revolution mit Copy & Paste

von Esther Boldt

Frankfurt, 21. Dezember 2014. Die Jugend probt den Aufstand. Das kennt man ja, das muss so sein. Warum also nicht auch im Theater, mit Benzinkanister und Gaffatape? Da wird schon ein Relevanzfunke herauszuschlagen sein aus der Jugend, ein Daseinsgrund für das geschichtsträchtige Mutterschiff, ein Gegenwartsanker. Und schon hat sich die Autorin in den Palmetshofer-Ton hineingeschrieben, schließlich wird der hier gespielt, oder besser: Sollte der hier gespielt werden, wenn ihm nicht die Regisseurin ihre eigene Agenda dazwischenfunkte.

Geschwisterinzest mit Schaumküssen
Denn Mizgin Bilmen macht aus Ewald Palmetshofers "Helden" ein neues, ein anderes Stück. Aus dem Text von 2009 schlägt sie Interessensbrocken heraus und kombiniert sie neu. In "Helden" verkleiden sich die Geschwister David und Judith des Nachts als Spiderman und Catwoman, um Molotowcocktails in Geschäfte zu werfen und ein globales Erwachen herbeizubomben. Ein Ausbruch aus ihrem gesicherten Mittelklasseleben als Kinder von Mittelklasseeltern, die ganz genau wissen, was das Beste für ihre fast erwachsenen Kinder ist: Man muss sich integrieren, sich bemühen in einer durchökonomisierten, durchtherapierten und durchgecoachten Welt, in der alle Probleme privatisiert werden. Furchtbar eng und furchtbar bekannt wirken diese Stammeldialoge, zwischen denen die "Heldentaten" nur medial vermittelt werden durch einen Nachrichtensprecher. Und es ist grausig, wie rasch die beklemmend vertraute heile Welt in blanke Gewalt umschlägt. Mizgin Bilmen, die in dieser Spielzeit zu den drei jungen Regisseuren des Regiestudios gehört, die sich in der Box des Schauspiel Frankfurt eine Saison lang erproben können, macht per Copy & Paste ihr eigenes Stück daraus, schnippelt es auseinander und setzt es vollkommen neu zusammen.

helden2 560 birgithupfeld uLukas Rüpel vor der Projektion des Helden-Paars (Paula Skorupa, Carina Zichner)
© Birgit Hupfeld

Die Eltern sind gestrichen, und man vermag nicht zu sagen, ob es eine ästhetische oder eine ökonomische Entscheidung ist – sechs Schauspieler sind schließlich viel für ein Nachwuchsprojekt. Der Nachrichtensprecher und Judiths Freund Paul werden zu einer Person amalgamiert, auf der nur wenige Meter tiefen, dafür breiten Bühne der Box sitzt sie links am Rand auf ihrem Nachrichtensprechersessel und berichtet von einer Anschlagsserie. In der Mitte flattert eine knittrige, transparente Gaze, auf der wir Judith und David per Video kennenlernen. Big Brother-mäßig sitzen sie in einer anderen Box, spielen in Rollenspielen die Beziehung zu ihrer Mutter durch – schließlich sind beide therapieerfahren –, und wälzen ihre Zweifel. Lukas Rüppels Nachrichtensprecher tigert zwischen Gaze und Rückwand herum, beobachtet die Projektion und mampft auch mal Schaumküsse, ohne dass sich erschließen würde, warum er das tut. Seine Nachrichten werden zusehends süffisanter, und die Kamera malt mal mehr, mal weniger hübsche Bilder des leicht inzestuösen Revoluzzerpärchens, bis irgendwann mit viel Getöse eine Tür sich öffnet, Schlaglicht die Zuschauer blendet, die Geschwister Paul umhauen und an seinen Stuhl fesseln.

Kunst = Terror?
Auf dem Video schon wirkte das Geschwisterpaar wenig überzeugend, auf der Bühne spürt man gar nicht, was ihre Beziehung so besonders macht, dass sie gemeinsam die Welt durch Zerstörung retten wollen. Beide werden von jungen Schauspielerinnen des Schauspielstudios gespielt: Paula Skorupa gibt eine mal sinnliche, mal kindlich-auffahrende Judith, und die zierliche, blasse Carina Zichner versucht, breitbeinig den arroganten Denkmacker David zu markieren. Wo im Originaltext die Terrorgeschwister die Therme hochbomben, in der ihre Eltern gerade wellnessen, da ersetzt Bilmen die drastische Un-Tat durch einen wild zusammenkopierten Monolog, den sie Judith in den Mund legt: Mit Autoren wie Matias Faldbakken, Georg Büchner und Peter Sloterdijk erzählt er von einer zynischen Welt, in der Subversion zum guten Ton gehört und Erfolg ist, wenn man seine Konkurrenten niedermacht. Dröhnende Musik mit Bässen und viel Orgel erzeugt dazu reichlich Pathos, und Lukas Rüppel lamentiert herein, dass das Setting des Terrors einer Kunstperformance ähnele. Aha. Beim diffusen Bühnengeschehen handelt es sich also auch um einen Aufstand? – der inhaltlich ungefüllt allerdings eine reine Geste bleibt.

Und dabei beschleicht einen das Gefühl, dass diese Nachwuchsförderformate genau das wollen: Junge Menschen zeigen, die sich über die Welt empören und ein bisschen schaurig-schönen Aufstandswind um die Nase des Establishments pfeifen lassen.

Helden
von Ewald Palmetshofer
Regie: Mizgin Bilmen, Video/Raum: Oliver Rossol, Kostüme: Laura Krack, Musik: Fabian Russ, Dramaturgie: Henrieke Beuthner.
Mit: Paula Skorupa, Carina Zichner, Lukas Rüppel.
Dauer: 1 Stunde 10 Minuten, keine Pause

www.schauspielfrankfurt.de

 

Kritikenrundschau

Mizgin Bilmen interessiere sich nicht für das bürgerliche Setting, sondern ausschließlich für die Verstörung der terroristisch gesinnten Geschwister Judith und David, unfrohe Sprösslinge der 68er-Generation, diagnostiziert Judith von Sternburg in der Frankfurter Rundschau (23.12.2014). "Das doppelte Eingesperrtsein, wir hier im Box-Karton und die dort an vagem Ort, muss einen nicht kalt lassen, wenngleich Judith und David Probleme damit haben, für das Publikum wirklich interessant zu werden", so von Sternburg. Zu sehr seien sie Sprachrohre eines Unzufriedenheitskonzepts. "Interessanter so auch in Frankfurt letztlich Lukas Rüppel, als Nachrichtensprecher auf der Bühne, mit einem sensationellen Wutanfall. Theater braucht auch Theater, und da ist es schon."

"Von den Mitteln des Theaters rückt Mizgin Bilmen ab", schreibt Stefan Michalzik in der Offenbacher Presse (23.12.2014). Am Ende bleibe ein Gefühl von Halbheit, von interessanten Ansätzen, die nicht ausgegoren sind. Der Epilog wäre für Michalzik "im Programmheft besser aufgehoben".

"Man wird ganz schön auf die Folter gespannt", findet Alexander Jürgs in der Welt (23.12.2014). "Als dann endlich die burschikose Carina Zichner als David und Paula Skorupa als seine Schwester Judith auftreten, da hat man schon so lange auf den großen Knall gewartet, dass dieser schnell verpufft." Der Abend habe starke Momente. "Wenn Paula Skorupa als Judith ihren mit Klebeband an einen Bürostuhl geketteten Ex-Freund Paul voller Begierde küsst. Wenn zu düsterer Elektromusik auf der Gazestoff-Leinwand Videobilder zu sehen sind, die zeigen, wie die Geschwister mit Wunderkerzen hantieren. Wenn Carina Zichner als David explodiert und brüllt: 'Ich will nicht in die Trauer, ich will in die Wut.'" Trotzdem bleibe der Eindruck, "dass sich Bilmen verzettelt hat".

Kommentare  
Helden, Frankfurt: Unterstellung
Ich stimme mit der Beschreibung des Abends überein. Doch der letzte Abschnitt ist eine haltlose Unterstellung. Woran macht die sich fest? Ganz sicher nicht an regelmäßigen Besuchen in der Box, an den tatsächlich stattfindenden Produktionen in dieser Spielstätte. (Bitte selber recherchieren, wen's interessiert.) Zudem entmündigt diese Unterstellung die Regisseurin dieses Abends, indem ihre Inszenierung als etwas beschrieben wird, was nicht die Regisseurin wollen darf, sondern ein ominöses "Programm". Dieses "Programm" ist - konkret betrachtet - jedoch genauso unterschiedlich wie es die Regieanfänger sind, die es gestalten. Die letzte Premiere, die ich da gesehen habe - "Silent Noise" - versucht etwas ganz anderes als dem Establishment irgendetwas um die Nase zu blasen. Und jetzt auch eine Unterstellung: Das "Gefühl", das Esther Boldt hier beschleicht, scheint mir getragen von einem tieferliegenden Ressentiment gegen das Reese-Theater im "Mutterschiff" (wobei mir dieses "alles-über-einen-Kamm-scheren", das ich mit dem letzten Halbsatz auch getan habe, grundsätzlich gegen den Strich geht). Sachlich begründen lässt sich dieses "Gefühl" jedenfalls nicht.
Helden, Frankfurt: Antwort der Nachtkritikerin
Liebe Martina,

da ist mir möglicherweise mitten in der Nacht die Formulierung missglückt, natürlich wollte ich die Regisseurin nicht entmündigen - ich habe bei dem Aufstand der Jugend den Kurzschluss zu Alexander Eisenachs Fauser-Projekt in der letzten Spielzeit gemacht. Ich würde den jungen Regisseurinnen und Regisseuren einfach etwas mehr Großzügigkeit wünschen, mehr Spielraum beispielsweise als diese winzige, niedrige Bühne, aber das gilt nicht nur für das Schauspiel Frankfurt, sondern auch für die Nachwuchsförderung an anderen Häusern.

mit den besten grüßen: e.boldt
Helden, FFM: eigener Zugriff
Liebe TheaterbesucherInnen,
ich war vorgestern in der Vorstellung und stimme in groben Zügen mit der Beschreibung Fr. Boldts überein, allerdings eben nur in jenen Zügen, in denen Sie tatsächlich versuchen etwas zu beschreiben, ohne es gleich als "richtig" oder "falsch" bewerten zu wollen.
Mag sein, dass die beiden Darstellerinnen nicht wirklich überzeugend spielen, aber die Entscheidung es so zu inszeniren ist scharf und teilweise sehr gut umgesetzt - handwerklich wie inhaltlich...
Ich habe einen sehr eigenwilligen und mutigen Zugriff auf ein Stück gesehen, dass eben das tut, worum es in der BOX gehen dürfte: Sein Eigen zu suchen und es selbst zu formen... Diese Inszenierung dafür auszunutzen um einen allgemeinen Unmut gegen die ARt der Förderung von Nachwuchs zu kritiesieren ist ziemlich unseriös und unpassend, finden Sie nicht? Und diese Arbeit mit "Silent Noise" zu "vergleichen" ist genauso, wie Befindlichkeiten mit ernsthaften poltischen Problemen in einen Topf zu werfen... Es ist ein Abend der Konfrontation, der erste in dieser Spielzeit - mal mehr mal weniger gelungen, vielleicht, aber er lässt einen nicht bequem in sich sacken und schafft keine Distanz zur Welt. Ich denke immernoch oft über viele Gedanken des Abends nach und habe viele Widerstände - APPLAUS!
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