Gute Menschen, schlechte Menschen

von Ute Grundmann

Halle/Saale, 29. Januar 2015. Keine brüllenden Wutbürger, sondern scharf artikulierende Schauspieler. Keine Straße mit Demonstrationszügen und ausländerfeindlichen Plakaten, sondern ein ödes, bürgerliches Wohnzimmer. Obwohl in Philipp Löhles Stück die Parallelen zu den derzeitigen "Pegida"-Kampagnen und Demonstrationen auf der Hand liegen, hat Ronny Jakubaschk "Wir sind keine Barbaren!" genau ohne diese Parallelen inszeniert: als rasante Spirale von Vorurteilen zwar, aber ohne das allzu Offensichtliche zu zeigen. Und das bekommt der 90 Minuten kurzen Aufführung gut.

"Hier sind wir!"

In der kleinen Spielstätte des Neuen Theaters, der "Kammer", hat Annegret Riediger (Bühne und Kostüme) in den roten Guckkasten eine grotesk wuchernde Schrankwand-Landschaft gebaut, in der auch Platz für den Kühlschrank und zwei Klappsitze ist. Hoch oben zeigt ein reizendes Eheglück-Foto, in wessen Wohnung man sich gerade befindet.

wir sind keine barbaren1 560 falk wenzel uNormiertes Leben in wuchernder Schrankwand: zwei Paare und ein Heimatchor
© Falk Wenzel

Doch den Anfang macht der "Heimatchor" mit einem immer wiederholten "Hier sind wir", "Wir sind viele" in einem skandierenden Singsang. Damit scheinen Ton und Thema vorgegeben, doch Stück und Inszenierung kehren erstmal zu verkrampft-humorvoller Bürgerlichkeit zurück. Da machen Mario und Barbara ziemlich fad auf nett und aufgeschlossen, die neuen Nachbarn Paul und Linda, die bald dazukommen, tun beim Prosecco dasselbe. Das ergibt ein steif-gestelztes Normalo-Leben, begleitet von elektronischen Orgelklängen wie im Partykeller. Der Abend kommt zunächst also ganz als das nette Konversations-Stück daher, das Löhles Werk ja auch ist. Es hat eine unterschwellige Gereiztheit, lahmt aber auch ein bisschen. Erst mit dem Klopfen eines Fremden (der aber nie auftritt) kommt Rasanz und Schärfe auf.

Die Fronten verschieben sich

Denn dann klären sich, fürs Erste, rasch die Fronten: Mario und Barbara nehmen den Fremden auf und sind die "Gutmenschen". Paul und Linda haben ihm die Tür gewiesen und rechtfertigen sich mit aufgesammelten Parolen und Voreingenommenheit. Hier nimmt die Inszenierung Fahrt auf, werden die Vorurteile auf beiden Seiten immer höher aufgestapelt und durch den "Heimatchor" noch mal zugespitzt. Inspiriert wurde Löhles im Februar 2014 uraufgeführtes Stück durch die Abschottungsinitiative der Schweiz gegen Ausländer, die inzwischen von den "Pegida"-Kampagnen auf deutschen Straßen rechts überholt worden ist. Doch Jakubaschk ist klug genug, das nicht auf die Bühne zu holen. Er schreibt dem Zuschauer nicht vor, was er zu denken und zu assoziieren hat, auch wenn der Chor mit seinen Parolen (die vier Protagonisten und vier Schauspieler in ähnlichen Kostümen) immer weiter in die rechte Ecke rückt.

Doch über diesem (Haupt-)Thema vergisst der Regisseur in seiner meist stringenten Inszenierung nicht, auch die Geschichte der beiden Paare weiterzuerzählen: Barbaras verkniffene Freude über den Riesen-Fernseher, den Mario eher sich selbst geschenkt hat. Die ständig krittelnde Fitnesstrainerin Linda, die unverhohlen Interesse an dem fremden Mann zeigt, was in kreischendes "Frauen-Gespräch" mündet, während die Kerle sich kumpelhaft einig sind und sich abklatschen. Die Fronten verschieben sich immer wieder. Aus Verbündeten werden Feinde, man giftet sich an oder ist plötzlich einig mit dem, dessen Meinung man gerade noch vehement abgelehnt hat.

Gänsehaut-Parolen

Die weiteste Entwicklung macht dabei Mario durch, von Matthias Walter eindrücklich gespielt: Aus dem anfangs noch verklemmt-unterwürfigen Typen wird am Ende ein rabiater, phrasendreschender Wut-Bürger, der durch nichts mehr zu bändigen ist. Der Heimatchor dagegen bleibt immer kühl, immer präzise, scharf geschliffen, auch wenn seine Parolen von der Angst um Wohlstand und Sicherheit, von Zivilisation und Regeln, von "uns und denen" zunehmend Gänsehaut erzeugen. Am Ende klingen in das "Wir"-Gefasel hallende Marschtritte. Das wäre ein bedrückender, prägnanter Schluss gewesen. Doch es gibt noch einen netten Nachklapp mit Paul und Linda, die nun ihrerseits bei Prosecco auf neue Nachbarn warten – und das ganze Spiel beginnt von vorne.

 

Wir sind keine Barbaren!
von Philipp Löhle
Regie: Ronny Jakubaschk, Bühne und Kostüme: Annegret Riediger, Musik und Sounddesign: Bastian Bandt, Dramaturgie: Henriette Hörnigk.
Mit: Stella Hilb, Matthias Walter, Sonja Isemer, Alexander Gamnitzer und dem Chor aus Maria Radomski, Kerstin König, Barbara Zinn, Louise Nowitzki, Philipp Noack, Max Radestock, Andreas Range, André Hinderlich / Enrico Petters..
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

www.buehnen-halle.de

 

Die Uraufführung von Philipp Löhles Stück Wir sind keine Barbaren hat 2014 am Theater Bern Volker Hesse inszeniert.

 

Kritikenrundschau

"Indem sich der Text quasi raushält und - in Anführungsstrichen – nur ein Spiegel für das Thema ist – bleibt die Sache am Ende offen, liefert keine Lösung", sagt Stefan Petraschewsky auf MDR Figaro (30.1.2015) – das sei die große Stärke, die das Stück habe. Und es sei die Stärke dieser Inszenierung, dass sie sich nicht positioniere. "Also ein gelungener Abend." Und die Schauspieler und der Chor machten ihre Sache überzeugend, fänden schöne Farben und Details für ihre Figuren, so Petraschewsky: "Das Publikum hat gestern über die Macken der Figuren sehr gelacht, befreit gelacht – ich denke: In dieser schlimmen Zeit ist es auch ganz gut, dem ganzen Ernst des Themas etwas witzig-entlarvendes entgegenzusetzen."

Martin Schöler schreibt für die Leipziger Internet-Zeitung (1.2.2015), Ronny Jakubaschk inszeniere die "scharfzüngigen Dialoge als Salonstück", das "Dank seiner vier starken Darsteller für viel Lachmuskeltraining" sorge. Löhles "Wortwitz" ergänze der Regisseur mit "etwas Slapstick". Das Resultat: eine "bissige Polit-Sitcom im Wohnzimmer des deutschen Kleinbürgertums". Jakubaschk greife für die Chöre nicht auf die Laien zurück, die für Pegida auf die Straßen gingen. Ensemblemitglieder und Darsteller bildeten den Heimatchor. Kern der Botschaften: "Wir sind ein Volk."

 

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