Wie es dem Autor gefällt

von Juliane Voigt

Stralsund, 29. Januar 2015. Es war die "Uraufführung der Autorenfassung", die im Gustav-Adolph-Saal, der kleinen Bühne des Theaters Vorpommern in Stralsund, Premiere hatte. Der Autor Oliver Kluck ließ sich beim Schlussapplaus von den Schauspielern auf die Bühne holen, diesmal gab er also seinen Segen. Die erste Uraufführung des Stücks war im Mai 2013 als "Frankfurter Fassung" ohne den Autor über die Bühne gegangen, nachdem Kluck den Text in der Strichfassung nicht mehr als seinen wiedererkannt und sich von der Inszenierung zurückgezogen hatte.

Gestrichen hat nun auch das Theater Vorpommern. So viel vorweg. Aber die Texte, die Kluck anbietet, verkraften das auch. In "Was zu sagen wäre warum" geht es allerdings ungewöhnlich szenisch zu, jedenfalls für Klucks Verhältnisse. Anders als in den Textflächen, die er sonst anbietet, gibt es hier Figuren: vordergründig unter anderem ein ICH und einen Vater. Doch von diesem ICH existieren in Klucks Text mindestens drei und Väter unübersichtlich viele.

Das Regal als Figuren-Behälter
In Stralsund nun haben wir es mal mit einem und maximal mit vier Vätern zu tun. In identischen Trainingsanzügen, die Hosen auch mal bis unter die Achseln gezogen, geben sie eine Art antiken Väter-Chor ab. Die ICHs kumulieren in der Figur, die Ronny Winter spielt. Er bildet auch einen Chor: einen ICH-Chor, ganz alleine. Und er hat dabei nicht nur eine unfassbare Textmenge zu bewältigen, sondern auch das gehörige Durcheinander an Stimmen zu Gehör zu bringen, die in einem Sohn laut werden können, dessen Vater damit beschäftigt ist, "ein stilles Geschäft mit der Zersetzung seiner selbst" zu betreiben. Etwas, das er schon zu Lebzeiten eisern betrieben hat. Aber jetzt ist er tot.

Waszusagen 560 GunnarLuesch uICH (Ronny Winter) an Väterchor im Regal © Gunnar Luesch

Neben dem Sohn, der die Wohnung auflöst und sich mit den peinigenden Eigenarten und Hinterlassenschaften seines Erzeugers (Matthias Zahlbaum) auseinandersetzen muss, begegnet man dem Nachbarn Heinz (Mike Hermann Rader), Versicherungsvertreter Jürgen (Markus Voigt) und Rowenta (Josefine Schönbrodt). Figuren, die so etwas wie Anteil nehmen. Vom Fernsehsessel (dem so genannten "Väter-Sessel") bis zur Gefrierkombination wird der Vater-Haushalt verschenkt, verramscht. Der Einheitsanzug der Nutznießer (Kostüme: Lisa Rohde) ordnet sie sauber allesamt der Väterwelt zu.

Regisseur André Rößler hat die Vaterfiguren in ein Regal mit vier Fächern gesetzt. Das assoziiert sowohl Schrankwand sowie die zwanghafte Anordnung von Einzimmerwohnungen. Mal machen sie es sich mit verknoteten Gliedern darin gemütlich, mal unterhalten sie sich in Halbsätzen über die Etagen, manchmal sind sie sich einfach einig und sprechen im Chor. Das entbehrt auf die Dauer nicht einer gewissen Komik. Spätestens, als das Regal sich zu drehen beginnt, gerät die peinigende Dumpfheit dieser Spezies ins Schleudern.

Väter und Söhne
Die Bühne von Lisa Rohde besteht ansonsten aus einem Teppich, der wie eine Festplatte funktionieren soll. ICH auf dem Teppich bedeutet, dass er in den Dialog mit dem Vater tritt, in die Erinnerung. Wenn er wieder bei sich ankommt, geht er über die Teppichkante vors Publikum. ICHs Leben mit dem Vater war ein Leben neben dem Vater und ist nun ein Leben nach dem Vater. Gestrichen wurde im Text alles, was damit zu tun hat, dass ICH jemand ist, der schreibt und einen Preis dafür bekommt. Jegliche autobiografischen Rückschlüsse auf Kluck selbst sind raus. Die Kürzung funktioniert: Es geht hier nun um das kleine Universum Vater und Sohn, die nur wenig miteinander zu tun haben, selten telefonieren und sich in Halbsätzen verständigen. Und um eine ganze Nachwende-Generation Väter, deren Söhne es schwer hatten, irgend etwas in ihnen zu finden, was als Vorbild funktionieren könnte. Rasend zählt ICH jeden Mindestlohn-Job auf, alles, was der Vater gearbeitet hat, "als er nicht mehr arbeiten durfte". Die Vater-Figur wird immer sympathischer. Am Ende ist der Vater mit allen Besonderheiten ein akzeptiertes, wenn auch fremdes Wesen.

Der dramaturgische Bogen der Stralsunder "Autorenfassung" beginnt mit einem bedächtigen Monolog von Ronny Winter vor der Teppichkante und endet dort auch. Er lässt sich Zeit für das, "was zu sagen wäre warum". Zwischendurch schwillt es an zu einem monologischen Toben über die fantastischen Ausreden des Vaters, wieso der die Tür nicht öffnet, als es klingelt. Das sind Passagen, die möchte man an die Wohnungstür pinnen, falls man mal nicht öffnen will. Zwischendurch wird es auch sehr szenisch, absurd und lustig. Es ist ein wirklich starker Text – ironisch und hintergründig, manchmal sehr konkret, auch politisch, an einigen Stellen ein Aneinanderfügen von Halbsätzen, die trotzdem alles zuende erzählen. Und die Schauspieler haben ihn mit Bravour ins Leben gebracht.

Was zu sagen wäre warum
von Oliver Kluck
Uraufführung der Autorenfassung
Inszenierung: André Rößler, Bühne und Kostüme: Lisa Rohde.
Mit: Ronny Winter, Josefine Schönbrodt, Matthias Zahlbaum, Mike Hermann Rader, Markus Voigt.
Dauer: 1 Stunde 20 Minuten, keine Pause

www.theater-vorpommern.de

 

Kritikenrundschau

Die reine "Autorenfassung" sei dies auch nicht, aber eine, zu der sich der Autor mit Verbeugung beim Schlussapplaus bekennt, schreibt Dietrich Pätzold in der Ostseezeitung (31.1.2015). Regisseur Rößler habe leicht gestrafft, aber alles, was brisant sein könnte, drin gelassen. Im Mittelpunkt stehe die Erinnerung an den Vater, "erinnert von einem, der einst auszog, um ein Rebell zu werden". Geschichten vom banalen Leben werden zum Flickenteppich vernäht, im Milieu hier ein Schuss Antisemitismus, da ein Reflex Frauenfeindlichkeit und noch ein Quentchen historische deutsche Schuld reingemixt.

 

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