Wo Wunder um die Ecke lugen

von Christian Rakow

Oldenburg, 22. Februar 2008. Es ist nichts dagegen einzuwenden, dass im Theater Werke aufgeführt werden, die sich jedermann problemlos auch im DVD-Handel besorgen kann (und im Falle des dänischen Kleinods "Adams Äpfel" von 2005 ruhig auch besorgen sollte). Nicht umsonst haben, wie man hört, einige Häuser um die Erstaufführungsrechte dieses Textes von Anders Thomas Jensen konkurriert, und die wache Oldenburger Dramaturgie um Jörg Vorhaben darf es sich als Erfolg anrechnen, den Zuschlag für die Uraufführung erhalten zu haben.

Wenn aber im Ergebnis so gar keine eigene Theatersprache entwickelt wird, wenn man sich wie hier darauf beschränkt, Filmszenen der Reihe nach treuherzig nachzustellen und das brave Schauspiel dann ein bisschen notdürftig, V-Effekt haschend aufzupeppen mit Live-Sounds nach Hörspielart (von Felix Huber) – dann ist Kopfschütteln angebracht. So klein sollte sich das Theater, gerade angesichts der Medienkonkurrenz, nicht machen.

Bösmensch und Gutmensch mit Apfelkuchen

Mit frischem Mut zur naturalistischen Requisite haben Regisseur (und Schauspielleiter) K.D. Schmidt und seine Ausstatterin Anike Sedello alle relevanten Szenerien auf die Bühne des Kleinen Hauses gepackt: links den Schlafbereich, rechts die Küche, dazwischen einige Sitzgelegenheiten. Im Hintergrund sorgt ein Hügel mit einer Miniaturkirche für Niedlichkeit; über der Szenerie hängt ein kräftiger Ast mit den titelgebenden, natürlich saftig roten Äpfeln.

Einen Apfelkuchen zu backen, hat sich der Neonazi und Knasti auf Bewährung Adam als Besserungsprojekt vorgenommen. Tatsächlich findet er in der Erziehungsanstalt des Pfarrers Iwan aber bald seine eigentliche Bestimmung: Es gilt, Iwan selbst in seinem radikal gutmenschlichen Illusionismus zu entlarven und ihn mit den tatsächlichen Härten seiner Existenz zu konfrontieren. Und härter als bei Iwan kann es kaum kommen: als Kind vom Vater missbraucht; Selbstmord der Frau, der Sohn behindert, zudem hat Iwan einen Tumor im Kopf.

Den Realismus überrealisten

In einem Interview meinte Jensen, er habe seine Figur des Gemeindepfarrers mit nahezu allen Extremmotiven bestückt, die im dänischen Realismus der 1990er Jahre für existentielle Triftigkeit sorgen sollten. Das ist selbstredend als Kritik am Realismus aufzufassen und hätte ruhig dazu führen können, dass man sich mit dessen Vorgaben auch im Schauspiel ein wenig auseinandersetzt. Dann wäre man auch hier auf so etwas wie die Überwindung des Realismus mit seinen eigenen Mitteln gestoßen.

Stattdessen wird zwar gläubig, nicht aber ernstlich drauf los gespielt. Lutz Wessel fühlt sich mit der nordischen Schweigsamkeit seines Adams sichtlich unwohl und lässt seine grimmigen Blicke daher gelegentlich in ein pantomimisch redundantes Gestenspiel abgleiten. Der Iwan von Thomas Lichtenstein – ein Mann vom Schlage eines Star-Tenors à la Pavarotti – ist vordergründig bereits bestens aufgelegt, weshalb ihm alle hintergründige Tragikomik abgeht. An ihrer Seite chargieren solide: ein Moslem mit flotten Sprüchen (Murat Yeginer), ein kleptomanischer Trinker mit Garfield-Look (Stefan Vitu), eine schwangere Trinkerin (Caroline Nagel) und ein zynisch heiterer Dorfchirurg (Gerhard Palder).

Es gibt anscheinend eine Menge Leute, die weder die Programmkinos noch den Video-Verleih regelmäßig aufsuchen und also bei all dem kein Defizitgefühl verspüren. "Oh, jetzt stirbt er", erschrak eine Zuschauerin, als Iwan in einem Scharmützel mit Neonazis eine Kugel durch den Kopf geschossen bekam. Passiert natürlich nicht; in diesem Stück lugt immer irgendwo ein Wunder um die Ecke. Ein vergleichsweise kleines Wunder war dagegen der tosende Schlussapplaus für die Oldenburger Premiere, einen Tag nach den Jubiläumsfeiern zum 175. Geburtstag des Staatstheaters. 

 

Adams Äpfel (UA)
von Anders Thomas Jensen
Deutsch von Beate Klöckner, für die Bühne bearbeitet von K.D. Schmidt
Regie: K.D. Schmidt; Bühnenbild: Anike Sedello; Kostüme: Bettina Schürmann: Musik: Felix Huber; Dramaturgie: Jörg Vorhaben; Licht: Herbert Janßen.
Mit: Lutz Wessel, Thomas Lichtenstein, Stefan Vitu, Murat Yeginer, Caroline Nagel, Gerhard Jansen, Gerhard Palder, Björn Müller, Lars Möller, Karsten Waldeck, Felix Huber.

www.staatstheateroldenburg.de

 

 

Kritikenrundschau

In der Welt (25.2.2008) gratuliert Fri zur "gelungenen Premiere" von "Adams Äpfel", die K.D. Schmidt "in einer wohldurchdachten Dosierung von Komik und Ernsthaftigkeit" auf die Bühne gebracht habe. Das Komische ergebe sich "vor allem aus den überzeichneten Charakteren". Thomas Lichtenstein spiele den Gutmenschen Ivan "differenziert, aber auch ziemlich lustig als Resultat deutschen Sozialarbeitertums der Achtziger und deren Kränkung durch die ironischen Neunziger". Wo es im Film apokalyptisch werde, erspare Schmidt dem Publikum "allzu viel Theaterdonner". Der Kritiker sieht hinter all dem auch die "Frage nach der Belastbarkeit westlicher Demokratien, die ihre Ränder so weit ausdehnen, dass sie glauben, noch jeden integrieren zu können". So könne jeder Zuschauer, der angesichts des scheinbar harmonischen Schlussbildes "von Rührung erfasst wird, (...) daran auch den Grad seiner eigenen Manipulierbarkeit ermessen". Die Inszenierung habe "einiges gewagt – und gewonnen", lautet das Fazit.

Regina Jerichow
möchte den Schluss in der Nordwest-Zeitung (25.2.2008) hingegen lieber nicht verraten und "nur so viel" sagen: "Adams Äpfel" mache "so glücklich, dass man bei den Bee Gees mitsummt und sich die Finger wund klatscht". Aus "einem bitterbösen Kinofilm mit Tiefgang" sei hier ein "Theaterstück mit Hit-Qualitäten" geworden. Dabei habe der Regisseur "geschickt im Leinwand-Genre gewildert". Er ließe "es ordentlich vom Band krachen" und verzichte keineswegs "auf eruptive Gewaltausbrüche". Für die Kritikerin könnte der Abend stimmiger kaum sein. Wo reichlich Theaterblut fließt, Plastikraben und Plüschkatze ihr Leben verlieren, Schauspieler schreien, "Turbulenz und schwarzer Humor“ walten, störe die Pause "wie eine Werbeeinspielung im Fernsehen".

   
Kommentare  
zu Adams Äpfel: Kritiker hat sich dem Zauber entzogen
In nur zwei Punkten stimme ich mit dem Kritiker dieser Premiere von Adams Äpfel überein, dass der Film ein Kleinod ist, und das der Premierenabend in Oldenburg mit tosendem Applaus endete. Ansonsten ist ausgerechnet der Kritiker der einzige, der sich wohl ganz bewußt dem Zauber dieser Inszenierung entzogen hat. Wie in eine kleine Zauberkiste, kann man da auf die Bühne sehen und staunen, dass man trotz so offensichtlicher Künstlichkeit von nahenden Krähenschwärmen, die alle gleich in der Luft stehen bleiben, noch nicht einmal von ihrem Standfuß befreit wurden, nur durch die wunderbar genaue Tonarbeit von Felix Huber,Leben eingehaucht bekommen und man trotzdem, das alles ganz wahrhaftig erlebt.Der Bus der den Neonazi aus dem Gefängnis in die Landidylle bringt. Einfach nur Ton und ein Mensch der die Bühne betritt.Bienen summen, Lämmer blöcken, und man sieht sie, die wogenden Felder und bunten Wiesen vor dem inneren Auge. Die kleine Kirche auf dem blauen Hügel, die auch die Tage und Nächte vergehen lässt mit Licht und Glockengeläut... und dann die kleine Versammlung Mensch dadrin,ergreifend schräge, häßliche und anrührende.Die nah am Kitsch,an der Charge vorbei schrabben.Aber durch die wahren Momente von Einsamkeit, Wut und Trauer ganz wahrhaftig werden und all das Lachen von eben, einem im Halse stecken bleibt. Diese Ballance, von groteskem Humor,großer theatralischer Überhöhung und wahren Gefühlen, das ist der Zauber dieser Inszenierung, dem sich eben nur der Kritiker an diesem Abend entzogen hat. Warum?!
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