Krieg hat eben immer Saison

von Frauke Adrians

Weimar, 30. Januar 2015. "Ich denke einen langen Schlaf zu tun", spricht Wallenstein. Da haben die Zuschauer den langen Premierenabend im Deutschen Nationaltheater fast schon hinter sich. Doch Gründe zum Einschlafen gab es für sie in den gut viereinhalb Stunden eigentlich nicht. Denn mit seiner Inszenierung der gekürzten "Wallenstein"-Trilogie hat Weimars Intendant Hasko Weber einen soliden Theaterabend abgeliefert.

Prominenter Titelheld, zynischer Intrigant

Wer auf Regie-Ideen und neue Ansichten zum Drama um den machtspielverliebten Generalissimus hofft, wird das DNT enttäuscht verlassen. Wer es für einen Wert an sich hält, dass Schillers Dreiteiler nach langer Zeit an den Ort seiner Uraufführung zurückkehrt und dann auch noch recht gut unterhält, verlangt vielleicht zu wenig. Aber er kann mit Webers "Wallenstein" zufrieden sein.

wallenstein1 560 matthias horn uZentralgestirn der Dramentrilogie: Dominique Horwitz ist Wallenstein © Matthias Horn

Für die Titelrolle hat der Intendant den Wahl-Weimarer Dominique Horwitz verpflichtet. Horwitz deklamiert seine Soli in seinem typischen leicht singenden, näselnden Tonfall und spielt sich hingebungsvoll selbst. In zweiter Linie spielt er einen Wallenstein, dem man den gerissenen, zynischen Intriganten jederzeit abnimmt. Den charismatischen Feldherrn aber, dem die Soldaten in jede Schlacht folgen, kann man bei Horwitz kaum wiederfinden. Noch weniger den väterlichen Freund, dem ein kompromisslos aufrichtiger Mensch wie der junge Max Piccolomini blind vertraut. So gern man Horwitz beim Spielen zusieht: Seinem Wallenstein fehlen mehrere Dimensionen. Und wo das Zentralgestirn der Dramen-Trilogie so eindimensional ist, da hüpfen die Planeten gelegentlich aus ihrer Umlaufbahn.

Munteres Ensemblespiel

Es macht schon Spaß, wie Hasko Weber die Generäle und Feldmarschälle beim Saufgelage zu Pilsen aufeinander loslässt: den wortwuchtigen Buttler (Sebastian Kowski) und den beflissenen Terzky (Sebastian Nakajew), den gewissenlosen Söldner Isolani (Bastian Heidenreich) und den idealistischen, frisch verliebten Max (Tobias Schormann). Aber die hinzugedichteten Witzchen am Rande sind eher dämlich als lustig. Octavio Piccolomini muss dauernd mit "Ciao Bello" grüßen – man ist ja Italiener. Was aber nicht darüber hinwegtäuscht, dass Ingolf Müller-Beck Octavios Texte uninspiriert, um nicht zu sagen: schlampig spricht und mit der Rolle fremdelt.

Feldmarschall Illo heißt in Weimar Super-Illo. Ein weiterer blöder Witz, der aber als Ehrentitel für den Illo-Darsteller Krunoslav Šebrek in Ordnung geht. Deutlicher als jede andere Gestalt in Wallensteins Umfeld spiegelt der nervöse, koksende und Zigarillo rauchende Illo wider, dass die Luft dünn wird für den allseits verehrten Generalissimus – und dass es für den Absprung aus seiner Nähe schon zu spät sein könnte.

Als munteres Ensemblespiel funktioniert Hasko Webers "Wallenstein" gut. Für die tieferen Reflexionen über Macht, Treue und Verrat nimmt sich die Inszenierung indes wenig Zeit. Und nie wieder bringt sie ihre Themen so genau und zugleich so eigenwillig auf den Punkt wie gleich zu Anfang, im stark verknappten "Wallensteins Lager". Zwei Soldaten (Jonas Schlagowsky, Michael Wächter) karikieren im Schnelldurchlauf die Kapuzinerpredigt, spielen die Brutalität des Schlachtfeldes und die allgegenwärtige moralische Verheerung nach 15 Jahren Krieg durch. Mehr braucht es nicht, um dem Stück seinen Rahmen zu geben. So viel Tempo, so viel Zuspitzung hätte der Inszenierung auch an anderer Stelle gut getan.

wallenstein2 560 matthias horn u© Matthias Horn

Rache ist überzeugender als Liebe

Wann und wo dieser "Wallenstein" spielt, lassen Regie und Ausstattung (Thilo Reuther) klug offen. Die Kostüme und das Bühnenbild – eine verlassene Kirche, ein verkommenes Firmengebäude oder eine andere namenlose Soldatenunterkunft – sind nahezu zeitlos. Krieg hat eben immer Saison. Wer beim General vorsprechen will, der muss sich untertänig unterm eisernen Vorhang durchbücken. Auf der Bühne einherschreiten heißt, über ein riesiges Kreuz zu laufen. Schon bei seinem ersten Erscheinen in den "Piccolomini" liegt Wallenstein ausgestreckt darauf wie der Gekreuzigte selbst. So viel Hybris kann nicht gut gehen.

Wie in so vielen Schiller-Inszenierungen sind die Frauen Nebensache. Wallensteins Gattin (Anna Windmüller) verlegt sich aufs Klagen und Schimpfen, die Schwägerin (Johanna Geißler) tritt auf wie des Herzogs selbsternannte PR-Beraterin, und Tochter Thekla (Nora Quest) bleibt bei allem zur Schau getragenen Selbstbewusstsein farblos. Es will etwas heißen, dass die paar Wuttränen, die Buttler aus Empörung über Wallensteins Verrat vergießt, den Betrachter mehr berühren als jede Liebesbeteuerung zwischen Thekla und Max. Rache ist – jedenfalls in dieser Inszenierung, die starke Emotionen umgeht und lieber auf Sarkasmus und Schillerschen Wortwitz setzt – ein viel stärkerer Motivator als die Liebe. Und sie wird auch weitaus überzeugender gespielt.

Die Hauptleute Macdonald und Devereux, dargestellt von denselben Schauspielern wie die Soldaten aus Wallensteins Lager, werden den Herzog am Ende niedermachen. Treue hält nicht lange in der Politik und im Krieg, wer wüsste das besser als Wallenstein selbst. Eine kühle Mordszene zum kaltblütigen Mord. Keine sichtbare Trauer. Selbst Octavio Piccolomini, der seinen Sohn beerdigen musste – ciao bello – geht zur Tagesordnung über. Nichts ist so zeitlos wie die Abstumpfung. Sie ist uns so vertraut.

 

Wallenstein
Wallensteins Lager | Die Piccolomini | Wallensteins Tod
von Friedrich Schiller
Regie: Hasko Weber, Bühne und Kostüme: Thilo Reuther, Musik: Sven Helbig, Dramaturgie: Beate Seidel.
Mit: Dominique Horwitz, Michael Wächter, Jonas Schlagowsky, Anna Windmüller, Nora Quest, Ingolf Müller-Beck, Tobias Schormann, Sebastian Nakajew, Johanna Geißler, Krunoslav Šebrek, Sebastian Kowski, Bastian Heidenreich, Bernd Lange.
Dauer: 4 Stunden 35 Minuten, zwei Pausen

www.nationaltheater-weimar.de

 

Kritikenrundschau

Weber benutze den Dreißigjährigen Krieg "als Sprungbrett in die Gegenwart", so Torsten Unger auf MDR Thüringen (31.1.2015). "Die Figuren des Stückes verlautbaren, aber sie reden nicht miteinander." Für den Zuschauer bedeute das Windstille in punkto Spannung. Verlierer des Abends sei die poetische Sprache Schillers. Allerdings arbeite Weber klar heraus: "Krieg ist für Wallenstein - und nicht nur für ihn - die Vorstufe der Macht. Wir erleben, wie persönliche Besessenheit und politische Mechanismen unheilvoll, aber folgerichtig ineinander greifen. Das macht die Inszenierung aktuell, und das ist gut herausgearbeitet. Wer die knapp fünf Stunden durchgehalten hat, wurde mit dieser Erkenntnis belohnt."

Hasko Weber inszeniere von Schillers Trilogie "eine stringente und doch hochspannend alle Verästelungen von Vertrauen und Verrat, Gewalt und Zärtlichkeit, Intrige und Mord auslotende Strichfassung, mit der aus drei Teilen ein Ganzes" werde, schreibt Angelika Bohn in der Ostthüringer Zeitung (2.2.2015). Er mache aus dem Gesellschaftsdrama ein Kammerspiel, und arbeite die Zwischentöne heraus. "Nichts lenkt ab von dem, was die Männer und die wenigen Frauen ausfechten, und das wird, obwohl jeder den Ausgang kennt, von Stunde zu Stunde spannender."

"Jeder Abend für sich ist ein Ereignis", schreiben Michael Helbing und Lavinia Meier-Ewert in ihrer Doppelkritik von Hasko Webers "Wallenstein" und Volker Löschs (von nachtkritik.de nicht besprochener) Verdi-Inszenierung "I Masnadieri (Die Räuber)" in der Thüringer Allgemeinen (2.2.2015). In Webers Inszenierung sei besonders der Einstieg grandios. "Im weiteren Verlauf wirkt das Drama etwas schematisch. Weber inszeniert den Untergang des Feldherrn als spannenden und unterhaltsamen Polit-Thriller. Er kultiviert ambitioniertes Sprechtheater: Auftritt, Rede, Abgang. Er entdeckt einigen Witz in den düsteren Texten, manchmal auch nur Kalauer."

"Ein toller Beginn. Doch dann erleben wir am Nationaltheater Weimar viereinhalb lange Stunden Rampen-Sprechtheater", so Hartmut Krug in der Sendung "Kultur Heute" vom Deutschlandfunk (31.1.2015). Wenn auch "dramaturgisch klug gebaut", wirkt die "solide Inszenierung" auf den Kritiker "doch langatmig und spannungslos. Plump dräuende Musik und aufdringliche Schicksals- und Schlachtenlärm-Musik verstärken den Eindruck eines überdeutlichen Erklärtheaters."

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