Krokodilstränen für die Bourgeoisie

von Friederike Felbeck

Düsseldorf, 7. Februar 2015. Es geht in diesem Stück nicht um Tennis. Also nicht um den Sport, der wie kein anderer zum Synonym für Eleganz, aber auch Müßiggang und Elitismus wurde, ganz in Weiß, fleckenfrei und lupenrein, in Shirts mit dem berühmt-berüchtigten grünen Krokodil auf der linken Brust als Markenzeichen einer schlagenden Verbindung.

Tennis hat in dieser Uraufführung von Anne Leppers "La Chemise Lacoste" etwas Metaphysisches. Es ist ein Codewort, ein Schlüssel, ein Enigma, gefüttert mit einer Unmenge an hüpfenden gelben Bällen und ein paar automatisierten Bewegungen, die ihre Adepten mechanisch ausführen. Es gibt an diesem Abend kein Spiel und keine Schläger, und erst am Ende wird sich die riesige grüne Wand, der heilige Rasen von Wimbledon, auf die Bühne senken und den Blick auf einen echten Tennisplatz freigeben. Es geht um Zugang, um Access, darum, wie eine geschlossene Gesellschaft Außenseiter absorbiert und abstößt.

Die Geburt des Auserwählten

Am Anfang wird ein zotteliger Neandertaler (Edgar Eckert) aus einem rauchigen Loch im Boden geboren. Seine braunen Locken krönen einen feisten unsportlichen Körper im kanariengelben Nickianzug. Er verabschiedet sich von seinen sieben Brüdern – sieben Köpfe mit ebensolcher Perücke, die hinter ihm her aus dem Orkus ragen. Nur er ist der Auserwählte. Ein ominöser Staat, dem er sich dankbar verschreibt, hat ihn auserkoren, in eine andere Sphäre hinaufzusteigen – eine Welt der Privilegierten und Reichen, aus der man nicht Geld, sondern weiße Hemden nach Hause schickt. Felix, so sein Name, wird dort von einem androgyn-inzestuösen Geschwisterpaar (Bettina Kerl, Florian Jahr) zu höfischer Musik empfangen und erst einmal in die Gepflogenheiten eingeführt. "Was sind noch mal die Regeln von dem Tennis?", fragt er immer wieder, ohne dass ihm jemals Antwort gegeben wird.

Lacoste 560 SebastianHoppe uZotteliger Kanarienvogel beim weißen Sport: Edgar Eckert (als Felix in Gelb) übt mit Florian Jahr und Bettina Kerl © Sebastian Hoppe

Was zunächst nach Sportförderung hinter dem Eisernen Vorhang klingt, ist der schräge in der Zwischenwelt der 1980er Jahre angesiedelte Schlagabtausch, den die Autorin Anne Lepper mit einarmigen Sätzen – nur Punkte, ohne Kommas – und einem gut verdauten Zitatenschatz von Goethe und Büchner über "Kasimir und Karoline" von Ödon von Horváth bis zu David Bowies "Space Oddity" nun am Düsseldorfer Schauspielhaus präsentiert. Es ist ein erneuter Angang, einer saturierten bourgeoisen Civitas eins auf den Pelz zu brennen, und steht in einer Reihe mit Werken wie "The Conversationalist" von Gob Squad oder Woody Allens Film "Match Point", der einen ewigen Schatten auf die Welt des Tennis warf.

Anne Lepper, die Nachwuchsdramatikerin des Jahres 2012, die mit Stücken wie "Käthe Hermann" und "Seymour oder ich bin nur aus Versehen hier" einen wuchtigen Blick auf die menschliche Existenz schaffte, schielt auf die geschlossenen Kreise, die sich im ständigen Selbstverteidigungsmodus jedwede Andersartige als inspirierende und unterhaltsame Fremdkörper zunächst einverleiben, um sie dann verkostet und ausgelutscht wieder auszuspeien wie Sigourney Weaver ihre Alien-Missgeburt.

Pool-Party in Bürgershausen

Die Inszenierung der in Barcelona geborenen Regisseurin Alia Luque verhilft Leppers knappen, fliegenden Szenen dabei zu einer erstaunlichen Klarheit und Brisanz. Das junge Ensemble des Düsseldorfer Schauspielhauses agiert mit einer Pointiertheit und Schlagkraft, die der Aufführung selbst den Eindruck eines knackigen Tennis-Matches verleihen. Im zweiten Teil des Abends wird Felix zu Kay, der bärtigen Geliebten eines Tennisstars à la Boris Becker, genannt Sebastian (Daniel Fries), der in seinen Heimatclub zurückkehrt. Dort sitzen die ewig selben Gestalten in wechselnden Posen um einen mit Tennisbällen gefüllten Pool. Mit zusammengebissenen Zähnen begutachten sie das "Mitbringsel" ihres Goldesels.

Leppers Text sammelt jetzt die Gesprächsfetzen einer überflüssigen und sinnentleerten Party auf, die sich vom Smalltalk über die Gefahren der Radioaktivität bis zu rassistischen Statements hangelt. In einer präzisen Versuchsanordnung nimmt die homophobe Clubgesellschaft Kay, die Transe, in sich auf, kleidet sie in einen feinen Anzug und entfremdet so das Paar so weit voneinander, dass Sebastian seine Geliebte am Ende in einem Meer von Tennisbällen wie in einem mafiosen Betongrab ertränkt, während die sensationslüsternen Zuschauer die Bachkantate "Wer sich selbst erhöht, soll erniedrigt werden" singen.

Nach Volker Löschs Persiflage auf die Düsseldorfer Intendantensuche mit Hauptmanns Die Ratten ist dieser Abend ein erneuter Versuch, einen Bezug zur schwierigen Klientel des Schauspielhauses herzustellen. Auch bei der Wahl des Stücks von Anne Lepper, das nicht als Auftragswerk, sondern bereits 2012 entstanden ist, spielten sicher Vorurteile über Publikum und Spielort eine wichtige Rolle – Lepper selbst nennt es die "vornehmlich außerhalb Düsseldorfs über Düsseldorf im Umlauf befindlichen Klischees". Was fraglos etwas Ermüdendes hat. Aber dessen ungeachtet ist "La Chemise Lacoste" eine abgründige Parabel über die gefährliche Macht einer Bürgerlichkeit, die Selbsterhalt und Kastendenken über alles stellt.


La Chemise Lacoste
von Anne Lepper
Uraufführung
Regie: Alia Luque, Bühne: Christoph Rufer, Kostüme: Ellen Hofmann, Arrangements und musikalische Einstudierung: Klaus-Lothar Peters, Dramaturgie: Barbara Noth, Licht: Konstantin Sonneson.
Mit: Edgar Eckert, Florian Jahr, Bettina Kerl, Daniel Fries, Klara Deutschmann, Sarah Hostettler, Katharina Lütten, Moritz von Treuenfels.
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

www.duesseldorfer-schauspielhaus.de

 

Kritikenrundschau

"Dieses Stück stellt keine Fragen, rafft sich zu keiner Verunsicherung oder Nachdenklichkeit auf, sondern behauptet, alles schon zu wissen", schreibt Lothar Schröder in der Rheinischen Post (9.2.2015). Auch vor den Augen des künftigen Düsseldorfer Intendanten Wilfried Schulz implodiere es unter der Regie von Alia Luque vor lauter Phrasen und Zitaten. "Ein Abend voller Schnipsel, die ebenso gut fast alles wie auch nichts bedeuten können."

Marion Troja vermerkt in der Westdeutschen Zeitung (9.2.2015) einen Talentbeweis der Autorin: die Schauspieler schlügen sich Sätze um die Ohren, die keiner klaren Handlung folgten und doch "perfekt platziert" seien, eine "gelungene Parabel", die das gesellschaftliche Drama von arm und reich auf einem Tennisplatz verhandele. Nur wenige Szenen benötige das Stück, um zu zeigen wie aussichtslos die Rennerei um den gesellschaftlichen Aufstieg sei. Von Satz zu Satz steigere sich "die Grausamkeit", die Autorin bediene sich "vieler Zitate" von Büchner bis Bowie, von Kratwerk bis Spielberg und baue sie "scheinbar assoziativ" zusammen. "Unter der gelungenen Regie von Alia Luque" ergebe sich ein "Gesamtbild, das moralisch" sei, "ohne die Keule zu schwingen".

Dagegen schreibt Tobias Becker auf Spiegel Online (9.2.2015), die "überzeichneten" Figuren des Textes formulierten "gestelzt und steif und unbeholfen, strunzdumme Aussagen", die "so naiv und schlicht und klischeehaft draußen in der Welt" nie fallen würden. Durch den "fehlenden Realismus" komme paradoxerweise "die Realität besonders klar zum Ausdruck". Im ersten Teil gelinge es Regisseurin Luque und ihrem Ensemble, den "störrischen, widerborstigen, eigensinnigen Text in Szene zu setzen, ohne ihm seinen Zauber zu nehmen". Sie sprächen den Text, aber spielten ihn kaum. Im zweiten Teil wirkten die Smalltalk-Schnipsel nicht mehr so zusammenhanglos wie sie sich im Text läsen. Das Ergebnis erinnere "zu sehr" an eine "realistische Partyszene". Und Realismus sei "der Tod für Leppers Text".

Martin Krumbholz schreibt in der Süddeutschen Zeitung (11.2.2015), warum sich Anne Lepper auf die Zeit kapriziere, in der Tennis noch ein elitärer Sport war, erschließe sich nicht. Leppers Text schieße, trotz der "formidablen Wurfmaschine" am Bühnenrand "weniger mit Tennisbällen als mit Totschlagsätzen". Die Autorin winke andauernd mit "nicht näher definierten Zaunpfählen" wie "der Staat", "die Avantgarde" und so weiter und suggeriere damit Bedeutung, die der Text bei Weitem nicht einlöse. Die Regie konzentriere sich auf eine "strenge Choreografie: Arme verschränkt, ein Bein angewinkelt, so demonstriert der Tennissnob Ausgrenzung".

 

 

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