Glitzer

von Teresa Präauer

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10. Februar 2015. Wenn es Glitzer schneit, stehen die Schauspielerinnen und Schauspieler manchmal auf der Bühne wie Goldmarie und Pechmarie. Die winzigen, reflektierenden Partikel aus Plastik sind beharrlich aus der Trickkiste der kleinen Kindergeburtstage und der großen Tanz-Revuen geflattert, hinüber ins zeitgenössische Theater.

Und wo Holzbretter ja die Welt bedeuten, könnte der feinkörnige Glitzer vielleicht so etwas wie die funkelnde Version von Staub bedeuten, der wir angeblich sind, und zu dem wir zurückkehren?

Blickstörung

Nicht zu Feinstaub, sondern etwas größer im Durchmesser, wird Glitzerfolie oder -papier zu Pailletten und Konfetti gestanzt. Denke ich an die vielen Frau Holles auf deutschsprachigen Bühnen, fällt mir gleich René Pollesch ein. Bei dem sogar, in Kill your Darlings! Streets of Berladelphia (2012, Bühne: Bert Neumann), das Brecht'sche "Fatzer-Fragment" wörtlich zum Glitzer-Fragment geworden ist. Noch größer, noch grüner flittert es in Dimiter Gotscheffs Inszenierung (2011, Bühne: Katrin Brack) von Handkes Immer noch Sturm. Hier beinah kein Glitzern, mehr eine Bild- oder Blickstörung, gleichmäßig rieselnd. Oder schneiend wie das Bild vom Fernseher, wenn kein Programm läuft.

Wo sich etwas bewegt, da kann unser Auge nicht anders als hinsehen. Wann habe ich, im Publikum sitzend, zum ersten Mal Glitzerflocken im Theater gezählt? Und wie lang wird ihr Flug anhalten und ihre Mode dauern? – Glitzer gibt es als Material, so lese ich, seit prähistorischen Zeiten, gerieben aus Mineralien, in Ägypten dann aus den Panzern von Käfern, wie herrlich!, später aus Glas, ab den 30er Jahren, zuerst in Amerika, aus Plastik.

kolumne teresa2Seit ich ins Theater gehe, habe ich den Einsatz von Glitzer vermutlich ausschließlich ironisierend wahrgenommen: gegen die Szene gesetzt. Pathetisch, aber nie affirmativ wie in den Momenten des Feierns und der Freude: wie bei den bunten Papierschnipseln im Fasching oder dem gestreuten Reis auf Hochzeiten oder den bunten Farbpigmenten der Inder, die sich auch die Techno-Kids, nein: alle hier, über ihre Köpfe leeren. Sondern fast immer kontrastierend-gepaart mit Melancholie, manchmal Stille. Das Rieseln von Glitzer eher wie das einer Sanduhr.

Sternenstaub

Ich erinnere mich an den Fasching als Kind. Glitzer hat sich hinterher kaum abwaschen lassen. Irgendwo ist immer ein Körnchen kleben geblieben oder wieder aufgetaucht: nach Tagen noch! Diese Zählebigkeit ist es auch, die den Glitzer, versendet im Briefkuvert, heute kampftauglich macht (unter der beinah seemännisch klingenden Parole Ship Your Enemies Glitter).

Dem Glitzer haftet die Erinnerung an ein bereits zu Ende gegangenes Fest an. Er ist, vielleicht von Anfang an schon, ein Rückstand: das schillernde, aber viel zu kleine Überbleibsel eines Tages. Leichtgewichtig und klebrig.

Ach ja: neben Glam- und Glitter-Rock hat es, Ende der 1960er, auch Joni Mitchell gegeben. Sie hat, angeblich auf den schlechten Rat ihres Managers hin, Woodstock nur vor dem Fernseher sitzend erlebt, und dabei wehmütig folgende Zeilen gedichtet: "We are stardust, we are golden / and we've got to get ourselves / back to the garden". Von Glitzer und Sternenstaub spricht hier die, die nicht dabei gewesen ist. Der fallende Glitzer erzählt von der Sehnsucht nach dem Fest, dessen Teil man nicht ist, der Sternenstaub ist bloß die Erinnerung an den Stern.

Vielleicht hat der Glitzer im Theater daher etwas Trauriges. Und Schönes! Während es heute da draußen schneit.

 

teresa-praeauerTeresa Präauer ist Autorin und Zeichnerin in Wien. Sie erhielt 2012 für den Roman "Für den Herrscher aus Übersee" (Wallstein, TB Fischer) den aspekte-Literaturpreis für das beste deutschsprachige Prosadebüt. 2015 ist sie auf Lesereise mit ihrem aktuellen Roman "Johnny und Jean". In ihrer Kolumne Zeug & Stücke spürt sie den Einzelteilen nach, aus denen Theater sich zusammensetzt, und wird sich jeweils zu einem Begriff ihre Notizen machen.

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