Ein Volksfeind - Carsten Knödler bittet das Publikum in Chemnitz zur Teilnahme an einem Krimi
Wer ist das Volk?
von Ute Grundmann
Chemnitz, 14. Februar 2015. Kurgäste in Bademantel und mit Drink in der Hand schlappen durchs Foyer, folgen den Zuschauern in den Saal. Die Treppenlandschaft auf der Bühne (Frank Heublein) ist mal Zeitungsredaktion, mal Kurpromenade mit Wasserhähnchen fürs heilbringende Nass. Schauspieldirektor Carsten Knödler, der im Theater Chemnitz Henrik Ibsens "Ein Volksfeind" inszeniert hat, variiert im ersten Teil der Aufführung das Thema "Kurbad" auf allerlei Arten. Fast jeder der Akteure hat mal Bademantel und Schlappen an, Handtücher werden dekorativ geschlungen, Aslaksen und Stockmann tummeln sich im dampfenden Thermalbad, ohne nass zu werden.
Das ist ein bißchen viel des Als-ob-Kurens; dass mit Euro gezahlt wird, die brisanten Untersuchungsergebnisse über das verseuchte Kurwasser per Laptop präsentiert werden, Zeitungstexte per USB-Stick den Besitzer wechseln, soll das Stück vorsichtig näher ans Heute bringen. Doch letztlich bleibt dieser erste Teil das gute, alte Konversationsstück um den eitlen Dr. Stockmann, der mit viel aufklärerischem Pathos das Prunkstück seines Städtchens, das Kurbad, in Verruf bringt.
Teil zwei mit Publikum als Bürgerversammlung
Auch die übrigen Charaktere sind eindeutig festgelegt: Der verbiesterte Bürgermeister-Bruder Stockmann, der schmierige Journalist Hovstad, der sich schon an der Spitze einer Revolution sieht, der wendige und Mäßigung predigende Aslaksen. Dazu, bei Stockmann zu Hause, ein furchtsames Frauchen und eine aufmüpfige Tochter. Und alle sind zwischen Populismus, Obrigkeitsfurcht und Sorge um ihr kleines Stückchen Macht unterwegs – Knödler vermeidet es allerdings, hier Parallelen zum Heute deutlich aufzuzeigen, die muss und kann der Zuschauer sich selber denken.
Was diesem ersten Teil der Inszenierung an Spannung und Action abgeht, gibt's nach der Pause dann reichlich. Denn das Publikum wird zu der außerordentlichen Bürgerversammlung, in der Stockmann als Nestbeschmutzer seines beschaulichen Kurstädtchens auseinander genommen wird. Bürgermeister und Aslaksen wettern von der Galerie herunter, junge Demonstranten skandieren in den Gängen ihre gegenteilige Meinung. Flugblätter fliegen, es gibt Gerangel, Polizisten schreiten ein, prügeln und führen ab. Wenn dann noch "Wir sind das Volk!" durch den Saal schallt, ist das allerdings Original-Ibsen.
Heddas Knarre spielt auch mit
In all dem Tumult und Remmidemmi hat Stockmann die schwierige Aufgabe, aus seinem Leben eine Wahlrede zu machen, allein mit einem Mikro auf der Bühne, und zugleich sein Plätzchen in der Gemeinde zu verteidigen. Philipp von Schön-Angerer macht das beeindruckend, wie er sich vom verseuchten Kurbad zu immer größeren Zusammenhängen windet, immer eifernder und geifernder wird, um seine allein seligmachende Position zu vertreten. Auch da sind durchaus heutige Parallelen à la "Pegida" und anderen Populisten mitgedacht, aber nicht vorgeführt.
Dass ihm dann Hedda Gabler ("ich komme aus einem anderen Stück", Carsten Knödlers Antrittsinszenierung in Chemnitz) eine Pistole überreicht, mit der er "in Schönheit" alles zu Ende bringen soll, ist ein eher abstruser Einfall. Aber diese Phase, in der sich die ungleichen Brüder Stockmann selbst zerlegen, der "Revoluzzer" und Kurbad-Verräter alles Bürgerliche vehement bestreitet und zertrümmert, aber zugleich genau um dessen Verlust fürchtet, ist die stärkste Phase dieser Inszenierung. Als dann Hovstad und Aslaksen mit Stockmann einen letzten, dreckigen Deal abwickeln, bleiben drei bedröppelte Herren im Schwimmbad zurück, einer mit Heddas Knarre in der Hand.
Ein Volksfeind
von Henrik Ibsen
Regie: Carsten Knödler, Bühne: Frank Heblein, Kostüme: Ricarda Knödler, Dramaturgie: Kathrin Brune.
Mit: Philipp von Schön-Angerer, Philipp Otto, Maria Schubert, Lysann Schläfke, Ulrich Lenk, Marko Bullach, Dominik Förtsch, Wolfgan Adam, Christian Ruth.
Dauer: 2 Stunden 20 Minuten, eine Pause
www.theater-chemnitz.de
"Was treibt ein Gemeinwesen an, was zerstört es?" Auf diese Fragen gebe Regisseur und Schauspielchef Carsten Knödler keine eindeutigen Antworten, so Marianne Schultz in der Freien Presse (16.2.2015). Der Abend fühle sich stark in die Gegenwart hinein, frage nach Haltung und schärfe nachdenklich wie unterhaltsam die Gedanken. "Vornehmster Vorzug ist ein großartiges Ensemblespiel, allen voran Philipp von Schön-Angerer in der Titelrolle. Man freut sich an seinem vitalen Helden und gerät dabei fast in die Falle des radikalen Verführers."
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