Die Wannseekonferenz - In Neustrelitz wird das Dokumentartheaterstück von Paul Mommertz authentisch ausstaffiert
Stammtisch der Mörder-Bürokraten
von Hartmut Krug
Neustrelitz, 14. Februar 2015. Sie kommen aus unserer Mitte, die mehr als ein Dutzend Männer in weißen Hemden, die zu Beginn mit Scheinwerfern aus dem Publikum geholt werden. Jeder stellt sich kurz vor, mit Namen, Herkunft, Funktion und Position, – und mit einem Statement, das Sinn- oder Verteidigungsspruch sein kann. Unterstaatssekretär Martin Luther aus dem Auswärtigen Amt und Reinhard Heydrich, Chef der Sicherheitspolizei und des SD, liefern den gedanklichen Rahmen, in dem sich die Teilnehmer der sogenannten "Wannsee-Konferenz" bewegen. "Was sind schon ein paar Millionen Tote, wenn ich Karriere machen kann", erklärt Luther, während Heydrich dekretiert: "Die Geschichte schreibt nicht mehr der Jude, sondern wir. Und so, dass der Jude darin nicht mehr vorkommt."
Bemühung um Authentizität
Nach diesem zeigefingrigen Einstieg finden sich die Schauspieler aus unserer Mitte in historischen Kostümen auf der Bühne zwischen zwei Hakenkreuzfahnen an drei Konferenztischen zusammen. Paul Mommertz' dokumentarisches Stück über die Konferenz, in der am 20. Januar 1942 in einer Villa am Wannsee in Berlin die Modalitäten für die Organisation der "Endlösung der Judenfrage", also den Holocaust, besprochen wurden, kam zuerst 1984 als weltweit beachtetes Fernsehspiel heraus. Die Theaterfassung wurde 1988 in Wien uraufgeführt. Sie wirkt wie eine genaue Rekonstruktion, ist aber eine Konstruktion aus vielerlei Material, vor allem aus den Fakten des Originalprotokolls der Konferenz und aus Eichmanns Aussagen während seines Prozesses in Jerusalem.
Die Neustrelitzer Inszenierung bemüht sich um Authentizität. Eine andere Inszenierung des Stücks von Historikern anlässlich des 70. Jahrestages der Wannseekonferenz, die am Ort der Konferenz und im Berliner Maxim Gorki Theater gezeigt wurde, spielte die Konferenz nicht nach. Dort ging es stattdessen um eine "nüchterne" Montage der Fakten und Dokumente. Das war anstrengend, aufregend und aufklärend.
"Achte auf dich!"
Der redliche Neustrelitzer Versuch ist dagegen auf skurrile Weise auch unterhaltsam mit seiner Ausmalung der Schrecken der Biederkeit. Er tut nicht wirklich weh, auch wenn er uns über die schrecklichsten Sachen informiert. Schon allein, wie die Regisseurin die Begrüßungsrituale mit ihren Hackordnungen inszeniert, wie sie Konflikte zwischen einzelnen Tagungsteilnehmern aufbaut, wie sie Figuren individualisiert, das bringt uns diese bürokratischen Massenmörder auf merkwürdige Weise näher. Nicht sympathischer, nicht verständlicher. Aber doch erklärlicher. Eben lehrstückhaft.
Dabei moralisiert die Inszenierung deutlich und scheint zu warnen "Achte auf Dich, in Deiner Seele könnte der Nazi schlummern." Wir sehen Bürokraten bei der Arbeit, die auch Manager bei einer Vorstandssitzung sein könnnen. Hier wird nicht der längst begonnene Holocaust, sondern seine effektivste Organisation besprochen. Es ist eine Versammlung von Männern mit Einfluss und Eitelkeiten. Wie jeder auf seinen Einflussbereich, auf die Rechte seiner Institution pocht und um seine Position in der Rangordnung kämpft! Es ist ein Fest der Eitelkeiten von wichtigtuerischen Karrieristen ohne jede menschliche Regung. Dabei geht es immerhin um die Deportation der gesamten jüdischen Bevölkerung Europas in den Osten zur dortigen Vernichtung.
Führer und Mitläufer
Doch die Begriffe Mord und Tote werden vermieden. Also redet man von Organisation, sucht Definitionen (Wer ist Halbjude? Wen kann man gebrauchen?), erklärt Vernichtungsarten und bestimmt Opfergruppen. Einwände kommen nicht aus humanen Gründen, sondern aus "arbeitstechnischen". Gegen die massenhafte Erschießung von Juden wird nicht generell, sondern praktisch argumentiert: Die Munition brauche man doch für die kämpfenden Soldaten! Und der Bahntransport der Juden in den Osten wird akzeptiert, weil die Züge bei der Rückkehr russische Zwangsarbeiter transportieren könnten.
Die Inszenierung führt uns geschickt ein Typenarsenal von Führern und Mitläufern, von Egomanen und Biedermännern vor. Am interessantesten in seiner Ambivalenz Heydrich, eine eitle blonde Bestie, die das Führer-Prinzip imitiert, so amoralisch wie machtbewusst. Als Einpeitscher ein geschickter Taktiker, kann er sowohl jovial wie drohend sein. Die hübsche Protokollantin wird von ihm locker angebaggert.
Ansonsten geht es eher wie am Stammtisch zu. Kognak und Häppchen werden gereicht, und Zustimmung wird mit dem Klopfen auf die Tische oder kräftig-grölender Heiterkeit gezeigt. Es ergibt sich im Gesamtbild eine theatrale Informationsveranstaltung – die vom ausverkauften Haus mit viel Beifall belohnt wurde.
Die Wannseekonferenz
Dokumentarstück von Paul Mommertz
Regie: Isolde Wabra, Ausstattung: Oliver Opara, Dramaturgie: Katrin Kramer.
Mit: Johannes Stelzhammer, Michael Goralczyk, Michael Kleinert, Thomas Pötzsch, Fabian Quast, Sven Jenkel, Axel Rothe, Bastian Sichting, Wolfgang Grossmann, Peter Heller/Heinz-Peter Ulbrich, Amanda Fiedermann/ Isolde Wabra, Peter-Udo Gensch/Diethard Wegner, Rolf Klippel, Lothar Missuweit, Alexander Mildner, Lür Jaenike/Christoph Kurzweil, Hans-Michael Hoffmann/Roland Ott, Nico Äbähr/Vincent Brudelyins.
Dauer: 2 Stunden, eine Pause
www.theater-und-orchester.de
Am Ende fröstele es den Zuschauer, "denn es wird noch einmal deutlich, dass hier keine Roboter am Werk waren, selbst wenn man es denken könnte, wenn man sie lapidar und beiläufig über Leben und Tod schwätzen hört, als ginge es um die Steigerung der Produktion und des Umsatzes einer Firma", schreibt Marcel Auermann im Nordkurier (16.2.2015). Diese "Wannseekonferenz" kombiniere Fabulierlust mit Feixerei und giftiger Debattiererei. Fazit: "Tiefgehend, ergreifend, verstörend, erschreckend und aufrüttelnd" ist das auf die Bühne gebracht.
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