Die Passion des Torquato Tasso Superstar

von Petra Hallmayer

München, 20. Februar 2015. Auf der halbrunden Bühne, die den Saal des Residenztheaters widerspiegelt und fortsetzt, tritt Torquato Tasso vor, um uns sein Werk zu präsentieren. "Euch zu gefallen", erklärt er, "war mein höchster Wunsch". Die Figur des Herzogs von Ferrara, der bei Goethe für Tassos Unterhalt sorgt, hat Philipp Preuss gestrichen. Die mächtige Instanz, von deren Gunst und Geld der Dichter abhängt, das sind bei ihm die Zuschauer.

Künstlertraum: frei sein und versorgt

Gleich zu Beginn wartet der österreichische Regisseur mit überraschenden Setzungen auf: Sein Tasso ist der Autor seines eigenen Stückes, dessen Figuren er im Theater imaginiert. In der sich dreifach wiederholenden Auftaktszene souffliert er der Prinzessin und der Gräfin ihren Text, die wie Marionetten die Lippen bewegen. In Galaroben feiern ihn die Frauen wie einen Popstar, rieselt zu tosendem Applaus ein Glitzerflitterregen auf ihn nieder. Eine kurze selige Zeit scheinen sich all seine Träume zu erfüllen, wiegt sich Tasso in der Illusion, dass er versorgt und verhätschelt und zugleich frei, ganz er selbst sein und von allen geliebt werden könne. Doch bald schon stürzt er aus dem Wolkenschloss auf den Betonboden der Realitäten. Die Menschen um ihn wollen nur an seinem Ruhm partizipieren, und als er mit dem Staatssekretär Antonio aneinandergerät, weist ihn die (Hof-)Gesellschaft in seine Schranken.

tasso2 560 matthias horn uIm Glittergewitter: Das Ensemble des Residenztheaters München (Norman Hacker, Sibylle Canonica, Nora Buzalka, Valery Tscheplanowa) bittet zur Showtime © Matthias Horn

Goethes nüchterner Utilitarist Antonio stolziert als Partyking und Showman herein, ein routiniert schamloser Entertainer, der Tasso um sein Talent beneidet, ihn verhöhnt und demütigt. Wofür ein neunzehnköpfiger Frauenchor, der als eine Art inneres Kreativteam Tassos summend und singend durch den Abend geistert, den Gockel mit blutroter Farbe bespuckt.

Spätestens hier jedoch zeigen sich die Verluste, die Preuss' so spannend anmutende Setzungen bedingen: Da ist keiner, der Tassos Strafe verhängen könnte. Wenn er und Antonio die Zuschauer als Richter in ihrem Streit anrufen, dann laufen ihre Plädoyers ins Leere. Die Macht, die uns anstelle des Herzogs zugewiesen wird, ist bloß eine Behauptung der Regie. Der Konflikt zwischen Tassos Autonomiewünschen und Abhängigkeiten gewinnt keine Brisanz. Dafür wären entschiedene Eingriffe in den Stücktext nötig gewesen. Zu denen aber konnte sich Preuss nicht entschließen, dessen mit Wiederholungsschleifen, Motiv- und Textsampling arbeitende Inszenierung ihre Leitgedanken nicht konsequent genug verfolgt, sich immer wieder in Spielereien verliert.

Pathos und Pop

Die wunderbare Valery Tscheplanowa becirct als verletzlicher Tasso mit ihrer nuancenreichen Stimme, die so betörend zart aufgerauht, so weich und verloren klingen kann, ist aber allzu oft gezwungen gegen die ihre Monologe durchdröhnenden Chorträllereien anzuschreien. Spiellust erlaubt Preuss' konzeptlastiges Theater den Akteuren, die sich frontal ins Publikum sprechend am hohen Goethe-Ton abmühen, kaum einmal, weder Nora Buzalka als Leonore Sanvitale noch Sibylle Canonica als Prinzessin, die merkwürdig verkrampft, fast unglücklich in ihrer Rolle wirkt. Nur Norman Hacker darf als Antonio clownesk auftrumpfen.

tasso1 560 matthias horn uTasso (Valery Tscheplanowa) und die Prinzessin (Sibylle Canonica) © Matthias Horn

Mit gedämpftem Pathos nähert Preuss Goethes Künstlerdrama den Passionsgeschichten des Popzirkus an. Love will tear us apart, singt der sich von allen verraten fühlende Tasso, ein Verweis auf die Grabinschrift von Ian Curtis, des am Showbiz und der eigenen Hybris zerbrochenen Sängers von Joy Division. Das dürfte sich allerdings nicht jedem erschließen, ebenso wenig wie die Bedeutung der aufleuchtenden Zahlen "25/7", jenes Datums, an dem der Renaissance-Dichter Tasso die Tür seiner Zelle aufbrach.

Im System der totalen Vermarktung

Die Ausbruchsversuche von Preuss' Junggenie führen nirgendwohin. In einem überlangen Videofilm irrt der von der Bühne geflohene Poet durch die Gänge des Theaters. In einem Konzert sich überlagernder Sätze enthüllt der Chor seiner inneren Stimmen seine Zerrissenheit und Konfusion. Gegen Ende tauscht er seinen blauen Kittel gegen ein schickes Abendkleid, ehe ihm Antonio schließlich einen Lorbeerkranz und eine Pistole reicht. Dem System der totalen Vermarktung entrinnt man nicht, das macht Preuss eindringlich deutlich.

Zu vieles aber bleibt vage und unausgegoren in seiner Inszenierung, der manch starke Szene gelingt, doch die es leider versäumt, ihre überzeugenden gedanklichen Ansätze zu einem wirklich schlüssigen Theaterabend zu verbinden. Die Zuschauer, denen dieser "Tasso" eine so zentrale Rolle zuschreibt, konnte er jedenfalls nicht rundum begeistern. Ihr Applaus war eher verhalten.


Torquato Tasso
von Johann Wolfgang Goethe
Regie: Philipp Preuss, Bühne: Ramallah Aubrecht, Kostüme: Katharina Tasch, Komposition und Live-Musik: Kornelius Heidebrecht, Licht: Mariella von Vequel-Wesernach, Video: Konny Keller, Dramaturgie: Sebastian Huber.
Mit: Sibylle Canonica, Nora Buzalka, Valery Tscheplanowa, Norman Hacker. Chor: Nora Bollmann, Serena Buchner, Caroline Corves, Lucia von Damnitz, Virginie Didier, Verena Eckardt, Carmen Engel, Julia Gamberini, Anna-Mathilda Gomboc, Johanna von Gutzeit, Ulrike Hecht, Maria Messner, Janina Möller, Jeanne de Prins, Carina Poleschinski, Irmingard Rohls, Sabrina Ronacher, Vera Suschko, Katarina Vrabcova.
Dauer: 2 Stunden, keine Pause

www.residenztheater.de

 

Kritikenrundschau

In der Süddeutschen Zeitung (23.2.2015) schriebt Reinhard Brembeck: "Das hätte unendlich fad werden können." Weil aber alle Beteiligten eine beachtliche Sprechkultur mitbringen würden, die Texte hörbar verinnerlicht hätten und alles "an diesem in seiner Spannung nie nachlassenden Abend" auf das Thema Kunst-versus-Gesellschaft zulaufe, entstehe ein sehr großer Sog. "Wer von Kunst bloß Betörung, Überwältigung, Zauber und Erhebung verlangt, wird enttäuscht sein. Wer jedoch der Kunst zubilligt, dass sie gedankenschwer das Leben und den Weltenlauf durchpflügt, wird staunen ob dieser konsequenten Arbeit, die die Bühne dezidiert als moralische Anstalt versteht."

Auf Merkur Online (22.2.2015) heißt es in einer nicht gezeichneten Kritik, dass der Abend manche Anspielung birge, die sich vielleicht nicht unmittelbar erschließe. "Denn so deutlich die Inszenierung oft ist, so viel setzt sie auch voraus." Der Abend brauche Konzentration für die vielen guten Einfälle. Preuss haben den Abend als "theatrales Nachdenken über das Verhältnis von Künstler und Gesellschaft inszeniert: mal spröde, mal ungeschickt, oft klug."

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