Ganze Arbeit, Null Null Smilla!

von Simone Kaempf 

Hamburg, 13. April 2007. Beim Spielen ist der Junge vom Dach des Wohnblocks gestürzt. Ein tragischer Unglücksfall, glaubt die Polizei. Nichts weist auf Mord hin. Wozu auch Mord an einem kleinen Jungen grönländischer Herkunft? Smilla aber kombiniert aus den Spuren im Schnee und den dunklen Machenschaften, zu denen sie bald führen. Dubiose Pathologen und redselige Angestellte durchschaut sie wie James Bond und Sherlock Holmes in Person, um am Ende nicht nur die Hintergründe des Mordes aufzudecken, sondern auch die geheime Existenz eines Meteorits, der in der Arktis eingeschlagen hat. Ganze Arbeit, Null Null Smilla.

Die Superdetektivin ist aber nur die eine Seite jenes Fräuleins Smilla aus Peter Høegs Roman, den Armin Petras jetzt am Thalia Theater in einer Fassung von ihm und der Dramaturgin Juliane Koepp zur Uraufführung gebracht hat. Andererseits ist sie auch eine Außenseiterin. Ihrer Heimat Grönland fühlt sie sich entwurzelt. In der Großstadt, in der sie jetzt lebt, bleibt sie eine Fremde. Mit jedem Ermittlungs-Schritt erinnert sie sich ein Stück mehr an die Kindheit, deren frühen Verluste schmerzhaft ans Tageslicht treten. In einer der rührendsten Szenen des Abends hört sich Smilla von Tonband ihre eigene Stimme an, die von der Mutter erzählt: Staunend steht sie dann da, misstrauisch, verloren, mit der Zigarette schief im Mundwinkel. Die Krimigeschichte behält Armin Petras zwar auch im Visier, erzählt sie sogar in allen wichtigen Eckpunkten, doch den eigentlichen Rahmen des Abends bilden die Sorgen und Nöte einer arbeitslosen Wissenschaftlerin und einsilbigen Hobby-Ermittlerin.

Eisberge hinter Glas

Die Inszenierung bewegt sich in Smillas kleiner Schachtel-Wohnung. Rechts Bett und Schreibtisch, links eine Küchenzeile und ein hinter Glas beleuchtetes Foto von Eisbergen (Bühne: Susanne Schuboth). Ein Flurausgang nach hinten deutet die Welt draußen an und schneidet den Weg gleichzeitig ab. Alles ist kuschelig-weiß wie aus dem Ikea-Katalog eingerichtet, so dass man sich optisch erstmal an die Smilla der Susanne Wolff gewöhnen muss: mit schwarzer Perücke, grün-blauem Lidschatten, silbernen Lurexfäden im Pullover. Ein verlotterter Vamp und gleichzeitig Schwester im Geiste jener skandinavischen Ermittler, die fast an der Grenze zur manischen Depression agieren: von schweigsamer Traurigkeit, dann von plötzlicher Über-Agilität.

Vielleicht liegt es daran, dass Smilla in ihrer kleinen Wohnung die Natur abhanden gekommen ist. Die letzten Reste lagern in einer großen Tiefkühltruhe: Schnee. Der Stoff, aus dem ihre Träume sind. Zum Liebesakt steigt sie mit ihrem Nachbarn in die weiße Truhe, als sei das der Ort, der ihr Herzenswärme schenkt. In den Schnee legt sie sich auch zum Selbstmord. Der Nachbar rettet sie, und im Schneeflockenwirbel sieht es für einen Moment nach einem Happy-End aus, bis sich wieder eine frostige Trauer über Smilla legt. Man ahnt, aber erfährt es doch nicht so recht, dass der tote Junge, die zu früh verstorbene Mutter, der schwache Vater Schatten werfen, die mächtiger sind als die Zuneigung des lebendigen Nachbarn.     

Balzspiele für das ewige Fräulein

Für "Fräulein Smillas Gespür für Schnee" ist Petras, seit einem halben Jahr Leiter des Berliner Maxim Gorki Theaters, wieder an die Studiobühne des Hamburg Thalia Theaters zurückgekehrt. Hier entstand mit  "Fight City.Vineta", "zeit zu lieben zeit zu sterben" und "We are camera" die Trilogie aus Fritz-Kater-Stücken, die von brüchigen Familiengemeinschaften und Verlust von Heimat erzählt. An deren leichthändige und dichte Verbindung der Motive kann  "Fräulein Smilla" nicht anknüpfen. Smillas Elend ist zu dick aufgetragen, während der Thriller ohne sinnvolle Verbindung zu Smillas Leben nacherzählt wird. Am Ende entpuppt sie sich als wenig feinfühlig in Liebesangelegenheiten. "Heiratest Du mich oder gehst Du jetzt wieder in deine Single-Wohnung runter?", fragt sie patzig nach dem Liebesakt. Was als Slapstick Distanz schaffen soll, offenbart, dass Petras mit Smillas sinnlichen wie übersinnlichen Fähigkeiten dann doch wenig anzufangen wusste.  

Der Schauspieler Peter Jordan hat es folglich leichter, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Er schlüpft in alle restlichen Rollen. Hat als steifhüftige Buchhalterin die Lacher auf seiner Seite, persifliert den golfspielenden Vater und switcht als Jekyll-and-Hyde vom verrückten zum vernünftigen Wissenschaftler. Seine Anstrengungen sind auch Balzspiele, um das ewige Fräulein zu seiner Frau zu machen. Er serviert ihr sogar den Meteoriten als großen Schneeball auf einem silbernen Tablett – vergeblich. Das Fräulein ist depressiv, aber dennoch cold as ice. "Eines kann man unter anderem vom Schnee lernen: dass man die großen Kräfte und Katastrophen immer im Kleinformat im Alltag wiederfindet", heißt es in der Romanvorlage. Eine Lawine ist der Abend nicht. Ein paar Schneeflocken finden sich darin, immerhin. 

 

Fräulein Smillas Gespür für Schnee
nach dem Roman von Peter Høeg
Fassung: Armin Petras und Juliane Koepp
Inszenierung: Armin Petras, Bühne und Kostüme: Susanne Schuboth
Mit: Peter Jordan, Susanne Wolff

www.thalia-theater.de

 

Kritikenrundschau

Monika Nellissei in der Welt hält es mit Melvilles Bartleby und suggeriert: lieber nicht. "Schon wieder ein Roman, der nicht zwingend seiner Dramatisierung bedarf", ist ihr "erster Gedanke". Dem "sprunghaften Stationendrama", das Petras und die Dramaturgin Juliane Koepp aus Hoegs "geduldig und kunstvoll" erzählter Geschichte gemacht haben, kann sie entsprechend nicht viel abgewinnen. Auch die Inszenierung mit Susanne Wolff und Peter Jordan ist ihr zu "effekthascherisch", ja, man schrecke nicht einmal "vor grellem Klamauk" zurück!

Genau das nun kann Irene Bazinger in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung allerdings durchaus genießen. Sowieso findet sie es okay, sich etwas Vorhandenes anzuverwandeln und "Hoegs fortschrittskritische, poetisch-kriminalistische Nordlandsaga vor allem als behutsam sich entwickelnde Liebesgeschichte" erzählt zu bekommen. Amüsiert beschreibt sie das balzende Rollenspiel des "begnadet albernen" Peter Jordan, mit dem er Smilla ("Susanne Wolff zaubert ihr ein Herz aus Polareis") zu gewinnen versucht. "Warum eigentlich nicht, fragt man sich irgendwann vergnügt, wenn die leichtfüßige Aufführung dank der famosen Darsteller wieder einmal mit pubertär-charmanten Hallodri-Attitüden die Romanvorlage verlässt, um sie dennoch auf ihre eigene, verspielt-verträumte Manier zu würdigen. Und wenn auch alle im Grunde zu alt für solchen beschwingt gehobenen Nonsens zwischen Hüpfburg, Knut und Gefrierpunkt sind – ein großer Spaß ist es doch."

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