Showdown mit Staatsfeindin

von Otto Paul Burkhardt

Konstanz, 28. Februar 2008. "S'schillert", heißt es momentan am Stadttheater. An drei Spielstätten läuft Schiller – ziemlich geballt und gezielt außerhalb der Gedenkjahre (nach 2005 steht 2009 schon der nächste Schiller-Rummel an) – das schärft den Blick.

Zum Beispiel "Maria Stuart" in der Spiegelhalle, einem Fabrikbau am Hafen. Britta Geister entrümpelt Schillers hochtrabendes Trauerspiel und kürzt das Personal auf die Hälfte – also nichts mit Amme, Kammerfrau, Arzt, Haushofmeister und dergleichen. Sie lässt eine skelettierte Strichfassung spielen, in der von Schillers fünfaktiger Haupt- und Staatsaktion nur ein knapp zweistündiges, konzentriertes Stück Sprechtheater übriggeblieben ist.

Ping-Pong der Worte

Die leere Bühne (Stephan Testi) ist eine längliche Kampfbahn, wie eine Planche beim Fechten. Die Zuschauer sitzen links und rechts davon. Wenn die oft an entgegengesetzten Enden stehenden Protagonisten sich ihre Gehässigkeiten in geschliffenen Dialogen an den Kopf werfen, wirkt das wie Wort-Ping-Pong – entsprechend pendeln die Köpfe der Zuschauer wie beim Tennis hin und her. Nur dass es hier nicht um Punkte, sondern ums Leben geht. Die letzte Begegnung zwischen Königin Elisabeth und ihrer seit 19 Jahren gefangen gesetzten Gegenspielerin Maria Stuart, der Königin von Schottland, findet also in einer Art Kampfarena statt. Als Wort-Duell. Als Showdown ohne Waffen.

Doch Britta Geister mischt die gewohnte Geschlechterkonstellation (zwei starke Herrscherinnen, umgeben von zwielichtigen männlichen Beratern) deutlich auf. In der Konstanzer Fassung sind drei Schiller-Figuren zu Frauen umgemodelt worden, so dass wir es nun mit einer Gräfin von Shrewsbury, einer Baronin von Burleigh und einer Staatssekretärin Davison zu tun haben. Kurz, auch die Einflüsterer sind nun mehrheitlich weiblich.

Maria als asketische Religionskriegerin

Britta Geister will offenbar weg von einer Lesart, die Mann-Frau-Gegensätze in den Vordergrund rückt. Sie inszeniert einen abstrakten Fall, der, aller zeitgebundenen Details entledigt, jederzeit auch heute so denkbar wäre. In Konstanz ist das alles nun als karges, konzentriertes, solides Schauspielertheater zu sehen. Zwar kann die Spannungshöhe nicht durchweg gehalten werden. Doch Britta Geisters Inszenierung überzeugt trotz einzelner Durststrecken letztlich durch ruhige, unbestechliche Genauigkeit in der psychologischen Personenführung. Und immer steht die Schiller’sche Skepsis im Zentrum, sein Zweifeln an der Möglichkeit moralischen, politischen Handelns. Geister stellt Menschen auf die Bühne, die eher Opfer als Beherrscher ihrer Leidenschaften sind.

Auch mit liebgewonnenen Klischees – hier die zugeknöpfte Elisabeth, dort die sinnliche Maria – will die Regisseurin nichts zu tun haben. Kristin Muthwill ist Maria Stuart – eine eher asketische Staatsfeindin in Schwarz, eine Ex-Mörderin und Religionskriegerin, in der ein Feuer brennt: der Hass auf das puritanische Herrscherhaus. Nur selten löst sich Muthwills Maria aus ihrem Märtyrerinnen-Gestus – etwa, wenn sie die Pumps wegwirft und sich um die eigene Achse drehend "frei und glücklich träumen" will.

Elisabeth mit eruptiver Erotik

Anders Anja Panse, sie zeichnet ihre Elisabeth mit langen blonden Haaren als respektgewohnte Lady im blauen Königinnen-Kostüm. Mit einer unterdrückten, aber eruptiven Erotik: Ihren Lover, den Grafen von Leicester, greift sie sich lustvoll in stürmischer Umarmung. Die finale Begegnung der beiden Königinnen läuft in Konstanz übrigens nicht als quotenbringendes Zickenduell ab: Anfangs streichelt Panses überlegene Elisabeth der Kontrahentin noch nachdenklich die Wange, doch am Ende siegt Muthwills Maria, die sich ihr Leiden aus der Seele brüllt.

Moderne Kostüme, aber keine wohlfeilen Aktualisierungen. Eine Staatsfeindin in der Gewalt des herrschenden Systems – eine Bedrohung, auf die der Staat mit der Einschränkung von verbrieften Rechten reagiert: Bezüge zu heute ergeben sich da sowieso wie von selbst.

Drehtüren und doppelte Moralbegriffe

Graf von Leicester ist bei Ingo Biermann ein aalglatter Opportunist, der selbst nach der Entdeckung seines riskanten Doppelspiels noch den seriösen Gentleman mimt. Theresa Berlages Hardliner-Baronin von Burleigh, Nico Selbachs hitziger Mortimer oder Jana Alexia Rödigers mit der Vollstreckung betraute und angesichts dieser Verantwortung völlig verängstigte Staatssekretärin Davison – Britta Geister karikiert nicht, sondern lässt jeder Figur ihre verletzliche Würde.

Am Rande der Kampfarena sind Drehtüren aufgebaut, die genauso flexibel rotieren wie die doppelten Moralbegriffe der Protagonisten. Und überall Spiegel, in denen sich alle irgendwann einmal betrachten, als müssten sie prüfen, ob ihnen ihr gesellschaftliches Rollenspiel auch einigermaßen gut steht. Oder als müssten sie prüfen, ob sie’s noch wirklich selber sind – nach all den Leiden und Kämpfen, Verbiegungen und Verletzungen.

 


Maria Stuart
von Friedrich Schiller
Regie: Britta Geister, Bühne: Stephan Testi, Kostüme: Justina Klimczyk.
Mit: Anja Panse, Ingo Biermann, Jana Alexia Rödiger, Kristin Muthwill, Nico Selbach, Otto Edelmann, Susi Wirth, Theresa Berlage.

www.theaterkonstanz.de

 
Kritikenrundschau

In der Thurgauer Zeitung (1.3.) schreibt Brigitte Elsner-Heller: "Die unbedingte Zuspitzung auf die beiden Frauen findet in der Konstanzer Inszenierung ihre Grenze in der Besetzung: so sind Elisabeths Berater Burleigh und Shrewsbury mit Schauspielerinnen besetzt, die allerdings «männlich» hart und verschlossen auftreten. Politisch korrekt mag es in der Gegenwart schon sein, die Rollen von Frauen und Männern innerhalb von Machtgefügen zu hinterfragen, dem Schillerschen Drama tut der Schachzug allerdings weniger gut." Und die beiden großen Frauenrollen? "Gross angelegt wurden sie in der Spiegelhalle durchaus, trotzdem bleibt das Spiel von Kristin Muthwill und Anja Panse merkwürdig kalt, der Zuschauer kann auf seinem Beobachterposten bleiben und ruhig dem Schafott entgegenblicken."

Man wisse nicht recht, schreibt Maria Schorpp im Konstanzer Südkurier (1.3.), "wieweit man psychologisch gestimmt sein soll, wenn man Britta Geisters 'Maria Stuart'-Inszenierung anschaut. Wie Anja Panse und Kristin Muthwill spielen, sind sie als Personen jedenfalls ausgefeilt. Weder ist Panses Elisabeth die reine kopfbestimmte Machtpolitikerin, noch hat Muthwills Maria wirklich das Zeug zur Königin der Herzen." Wie "Eruptionen" stiegen die Gefühle in den "von äußerer Beherrschtheit gezeichneten Figuren hoch", es seien "Ausbrüche, von denen sie überfallen werden", ein "aufregender Zweikampf zwischen Selbstkontrolle und Gefühlsausbruch". Viele "einzelne Denkansätze und Sichtweisen und ein gut gestimmtes Ensemble" gefielen in der Inszenierung. Einige "dunkle Stellen" finden sich in der Besetzung der Männerrollen mit Frauen: "Ganz davon abgesehen, dass Theresa Berlage und Susi Wirth die Politberater überzeugend mit dieser kalten Sachlichkeit ausstatten, weiß man nicht so recht, was die Regisseurin einem damit sagen will."

Showdown mit Staatsfeindin

von Otto Paul Burkhardt

Konstanz, 28. Februar 2008. "S'schillert", heißt es momentan am Stadttheater. An drei Spielstätten läuft Schiller – ziemlich geballt und gezielt außerhalb der Gedenkjahre (nach 2005 steht 2009 schon der nächste Schiller-Rummel an) – das schärft den Blick.

Zum Beispiel "Maria Stuart" in der Spiegelhalle, einem Fabrikbau am Hafen. Britta Geister entrümpelt Schillers hochtrabendes Trauerspiel und kürzt das Personal auf die Hälfte – also nichts mit Amme, Kammerfrau, Arzt, Haushofmeister und dergleichen. Sie lässt eine skelettierte Strichfassung spielen, in der von Schillers fünfaktiger Haupt- und Staatsaktion nur ein knapp zweistündiges, konzentriertes Stück Sprechtheater übriggeblieben ist.

Ping-Pong der Worte

Die leere Bühne (Stephan Testi) ist eine längliche Kampfbahn, wie eine Planche beim Fechten. Die Zuschauer sitzen links und rechts davon. Wenn die oft an entgegengesetzten Enden stehenden Protagonisten sich ihre Gehässigkeiten in geschliffenen Dialogen an den Kopf werfen, wirkt das wie Wort-Ping-Pong – entsprechend pendeln die Köpfe der Zuschauer wie beim Tennis hin und her. Nur dass es hier nicht um Punkte, sondern ums Leben geht. Die letzte Begegnung zwischen Königin Elisabeth und ihrer seit 19 Jahren gefangen gesetzten Gegenspielerin Maria Stuart, der Königin von Schottland, findet also in einer Art Kampfarena statt. Als Wort-Duell. Als Showdown ohne Waffen.

Doch Britta Geister mischt die gewohnte Geschlechterkonstellation (zwei starke Herrscherinnen, umgeben von zwielichtigen männlichen Beratern) deutlich auf. In der Konstanzer Fassung sind drei Schiller-Figuren zu Frauen umgemodelt worden, so dass wir es nun mit einer Gräfin von Shrewsbury, einer Baronin von Burleigh und einer Staatssekretärin Davison zu tun haben. Kurz, auch die Einflüsterer sind nun mehrheitlich weiblich.

Maria als asketische Religionskriegerin

Britta Geister will offenbar weg von einer Lesart, die Mann-Frau-Gegensätze in den Vordergrund rückt. Sie inszeniert einen abstrakten Fall, der, aller zeitgebundenen Details entledigt, jederzeit auch heute so denkbar wäre. In Konstanz ist das alles nun als karges, konzentriertes, solides Schauspielertheater zu sehen. Zwar kann die Spannungshöhe nicht durchweg gehalten werden. Doch Britta Geisters Inszenierung überzeugt trotz einzelner Durststrecken letztlich durch ruhige, unbestechliche Genauigkeit in der psychologischen Personenführung. Und immer steht die Schiller’sche Skepsis im Zentrum, sein Zweifeln an der Möglichkeit moralischen, politischen Handelns. Geister stellt Menschen auf die Bühne, die eher Opfer als Beherrscher ihrer Leidenschaften sind.

Auch mit liebgewonnenen Klischees – hier die zugeknöpfte Elisabeth, dort die sinnliche Maria – will die Regisseurin nichts zu tun haben. Kristin Muthwill ist Maria Stuart – eine eher asketische Staatsfeindin in Schwarz, eine Ex-Mörderin und Religionskriegerin, in der ein Feuer brennt: der Hass auf das puritanische Herrscherhaus. Nur selten löst sich Muthwills Maria aus ihrem Märtyrerinnen-Gestus – etwa, wenn sie die Pumps wegwirft und sich um die eigene Achse drehend "frei und glücklich träumen" will.

Elisabeth mit eruptiver Erotik

Anders Anja Panse, sie zeichnet ihre Elisabeth mit langen blonden Haaren als respektgewohnte Lady im blauen Königinnen-Kostüm. Mit einer unterdrückten, aber eruptiven Erotik: Ihren Lover, den Grafen von Leicester, greift sie sich lustvoll in stürmischer Umarmung. Die finale Begegnung der beiden Königinnen läuft in Konstanz übrigens nicht als quotenbringendes Zickenduell ab: Anfangs streichelt Panses überlegene Elisabeth der Kontrahentin noch nachdenklich die Wange, doch am Ende siegt Muthwills Maria, die sich ihr Leiden aus der Seele brüllt.

Moderne Kostüme, aber keine wohlfeilen Aktualisierungen. Eine Staatsfeindin in der Gewalt des herrschenden Systems – eine Bedrohung, auf die der Staat mit der Einschränkung von verbrieften Rechten reagiert: Bezüge zu heute ergeben sich da sowieso wie von selbst.

Drehtüren und doppelte Moralbegriffe

Graf von Leicester ist bei Ingo Biermann ein aalglatter Opportunist, der selbst nach der Entdeckung seines riskanten Doppelspiels noch den seriösen Gentleman mimt. Theresa Berlages Hardliner-Baronin von Burleigh, Nico Selbachs hitziger Mortimer oder Jana Alexia Rödigers mit der Vollstreckung betraute und angesichts dieser Verantwortung völlig verängstigte Staatssekretärin Davison – Britta Geister karikiert nicht, sondern lässt jeder Figur ihre verletzliche Würde.

Am Rande der Kampfarena sind Drehtüren aufgebaut, die genauso flexibel rotieren wie die doppelten Moralbegriffe der Protagonisten. Und überall Spiegel, in denen sich alle irgendwann einmal betrachten, als müssten sie prüfen, ob ihnen ihr gesellschaftliches Rollenspiel auch einigermaßen gut steht. Oder als müssten sie prüfen, ob sie’s noch wirklich selber sind – nach all den Leiden und Kämpfen, Verbiegungen und Verletzungen.

 


Maria Stuart
von Friedrich Schiller
Regie: Britta Geister, Bühne: Stephan Testi, Kostüme: Justina Klimczyk.
Mit: Anja Panse, Ingo Biermann, Jana Alexia Rödiger, Kristin Muthwill, Nico Selbach, Otto Edelmann, Susi Wirth, Theresa Berlage.

www.theaterkonstanz.de

 
Kritikenrundschau

In der Thurgauer Zeitung (1.3.) schreibt Brigitte Elsner-Heller: "Die unbedingte Zuspitzung auf die beiden Frauen findet in der Konstanzer Inszenierung ihre Grenze in der Besetzung: so sind Elisabeths Berater Burleigh und Shrewsbury mit Schauspielerinnen besetzt, die allerdings «männlich» hart und verschlossen auftreten. Politisch korrekt mag es in der Gegenwart schon sein, die Rollen von Frauen und Männern innerhalb von Machtgefügen zu hinterfragen, dem Schillerschen Drama tut der Schachzug allerdings weniger gut." Und die beiden großen Frauenrollen? "Gross angelegt wurden sie in der Spiegelhalle durchaus, trotzdem bleibt das Spiel von Kristin Muthwill und Anja Panse merkwürdig kalt, der Zuschauer kann auf seinem Beobachterposten bleiben und ruhig dem Schafott entgegenblicken."

Man wisse nicht recht, schreibt Maria Schorpp im Konstanzer Südkurier (1.3.), "wieweit man psychologisch gestimmt sein soll, wenn man Britta Geisters 'Maria Stuart'-Inszenierung anschaut. Wie Anja Panse und Kristin Muthwill spielen, sind sie als Personen jedenfalls ausgefeilt. Weder ist Panses Elisabeth die reine kopfbestimmte Machtpolitikerin, noch hat Muthwills Maria wirklich das Zeug zur Königin der Herzen." Wie "Eruptionen" stiegen die Gefühle in den "von äußerer Beherrschtheit gezeichneten Figuren hoch", es seien "Ausbrüche, von denen sie überfallen werden", ein "aufregender Zweikampf zwischen Selbstkontrolle und Gefühlsausbruch". Viele "einzelne Denkansätze und Sichtweisen und ein gut gestimmtes Ensemble" gefielen in der Inszenierung. Einige "dunkle Stellen" finden sich in der Besetzung der Männerrollen mit Frauen: "Ganz davon abgesehen, dass Theresa Berlage und Susi Wirth die Politberater überzeugend mit dieser kalten Sachlichkeit ausstatten, weiß man nicht so recht, was die Regisseurin einem damit sagen will."

Kommentare  
Maria Stuart in Konstanz: souveräne Kritik
Auch Intendanten dürfen sich mal freuen, oder?
Z.B über eine so souveräne Kritik, die uns befreit aus dem regional-feuilletonistischen Gejammer. Die Provinz ist im Kopp und bei Männern oft noch eine Etage tiefer. Danke Christoph Nix
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