Je suis Stürmähr

von Esther Slevogt

31. März 2015. Kleines Gedankenspiel: Man stelle sich vor, im Februar 1933 hätten ein paar Inglorious Basterds eine Redaktionssitzung des "Stürmer" in Nürnberg überfallen und dort jeden umgebracht, der ihnen vor die Knarre kam. Zumindest retrospektiv, also aus der Sicht von heute, würde man angesichts der vom "Stürmer" in Umlauf gebrachten antisemitischen Hetzkarikaturen die Tat sicher mit einer gewissen Milde beurteilen. Selbst, wenn man Gewalttaten dieser brutalen Art sonst niemals billigen würde: Ziemlich wahrscheinlich würde man die "Basterds" sogar längst dafür feiern, auch ohne ein ausgewiesener Tarantino-Fan zu sein. Aber damals, also 1933, hätten die Leute gewiss den Mord an harmlosen Zeichnern und Zeitungsmenschen ebenso ruchlos und feige gefunden, wie wir den Mord an den Charlie-Hebdo-Zeichnern. Ist er ja auch. Ganz davon abgesehen, dass dieses Attentat in jenen Jahren auch gar nicht nötig war, um die Deutschen zum kollektiven Bekenntnis "Je suis Stürmähr", "Ich bin Der Stürmer" zu bewegen. Sie waren es längst.

Kultur verliert an Bedeutung, aber Witze lösen Kriege aus

Warum ich hier so etwas Gemeines schreibe? Ganz einfach, weil es mir seit dem Pariser Anschlag zu denken gibt. Weil ich natürlich ebenso entsetzt war, aber auch das lemminghafte Nachdrucken der dämlichen Karikaturen irgendwie würdelos fand. Was ja auch zu einem kleinen, aber bezeichnenden Unfall führte: als eine Berliner Zeitung in aller Unschuld zwischen die Mohammed-Karikaturen auch eine antisemitische Karikatur druckte. Für die sie sich später entschuldigte. Für die anderen nicht.

kolumne estherIn aller Unschuld? Kunst ist nicht harmlos, und wir leben in paradoxen Zeiten, in denen Witze Kriege auslösen können, gleichzeitig aber die Kultur einen radikalen Bedeutungsverlust erfährt. Bei den vielen Theaterbekenntnissen Je suis Charlie dachte ich daran, dass mit dieser so demonstrativen Solidarität mit den ermordeten Karikaturisten eben auch bürgerliche (westliche) Repräsentationspraktiken verteidigt wurden. Wer darf was über wen sagen? Wer wen wie darstellen? Auch das Schwarzanmalen weißer Schauspieler wurde ja im Sinne der Kunstfreiheit verteidigt. Egal, ob es Menschen kränkt oder herabsetzt. Das Recht auf Diskriminierung gibt man scheinbar ungern aus der Hand. Doch Freiheit, die bloß Privileg ist, aber kein Recht, ist eben keine Freiheit. Das hat schon Rosa Luxemburg gewusst. In diesem hilflosen Akt der Selbstverteidigung machten die Würdenträger der hiesigen Hochkultur jedenfalls einen unterkomplexen Eindruck.

Die Welt ist Karikatur genug

Gerade hat der PEN-Club die Charlie-Redaktion mit dem Preis für Meinungsfreiheit ausgezeichnet. Aber wessen Meinungsfreiheit eigentlich? Und kann man pawlowsche Reflexe wie diesen überhaupt als Freiheit bezeichnen? In einem ebensolchen Reflex hat der Iran kürzlich einen Holocaust-Karikaturen-Wettbewerb ausgelobt. Auch hier führte man die Meinungsfreiheit an, deren Grenzen es zu testen gelte. Es ist übrigens schon die zweite Veranstaltung dieser Art im Iran. Ein erster Karikaturenwettbewerb, der den Holocaust zum Gegenstand hatte, fand bereits 2006 nach den Anfangstumulten um die Mohammed-Karikaturen statt. Alles nicht wirklich komisch. Aber zum Lachen soll mit den Zeichnungen ja auch niemand gebracht werden. Zum Nachdenken leider auch nicht. Deswegen brauchen wir wahrscheinlich gerade auch keine Karikaturen, die am Ende doch immer nur verzerrte Darstellungen von Klischeebildern sind. Sondern wir brauchen differenziertes Hinschauen und Beschreiben. Die Welt ist gerade Karikatur genug.

Wie das mit dem bürgerlichen Heldenleben zusammenhängt? Es ist inzwischen über 100 Jahre her, dass dem Bürger der Hut vom Kopf geflogen ist. Diesem Hut rennt der Bürger seitdem hinterher. Er möchte ihn zurück. Damit auch die Repräsentationshierarchien wieder stimmen. Doch je hektischer er rennt, desto atemloser und blinder wird er scheinbar dabei. Sein Kopf ist inzwischen auch längst nicht mehr spitz (wie ihn Jakob van Hoddis sich noch dachte, der übrigens 1942 in Sobibor ermordet wurde). Sondern er hat Beulen bekommen, weil der Bürger in seiner Blindwut und Verzweiflung damit immer wieder irgendwo anstößt. Wenn er zwischendurch nur mal aufsehen, ja hinsehen würde! Aber das ist schon wieder eine andere Kolumne.

 

esther slevogtEsther Slevogt ist Redakteurin und Mitgründerin von nachtkritik.de. In ihrer Kolumne Aus dem bürgerlichen Heldenleben will sie eine Art Archäologie der Stadttheaterkrise von unten versuchen: Was ist eigentlich mit der bürgerlichen Öffentlichkeit und ihren Repräsentationspraktiken passiert?

 

Zur vorigen Ausgabe dieser Kolumne: Esther Slevogt über eine gestörte Beziehung.

 

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