Ohne Pause auf Entschleunigungstour

von Hartmut Krug

Berlin, 20. April 2015. Am Anfang der viertägigen Theaterreise der "Staatsministerin für Kultur und Medien" Monika Grütters stand ein Augenblick herzerwärmenden Glücks. Denn der Ministerin und ihrer Begleitung (BKM-Mitarbeiter, etliche Reise-Organisatoren vom Theatertreffen mit Leiterin Yvonne Büdenhölzer an der Spitze sowie rund zehn Theaterjournalisten) saßen im Nationaltheater Mannheim dessen fünf untereinander gleichberechtigte Leiter gegenüber und jubelten über ihr auf Leitungsebene radikaldemokratisches Modell: Kein Generalintendant, sondern je ein Intendant für das Schauspiel, die Oper, das Ballett, die Geschäftsführung und eine Intendantin für das Kinder- und Jugendtheater Schnawwl.

Mit ihrem schwärmerischen Bericht von produktiven neuen Leitungsstrukturen, von direkter Kommunikation und einem kulturbegeisterten Oberbürgermeister verblüfften sie ihre Gäste. Natürlich gab es Skepsis, schließlich ist das Modell von den Personen abhängig, und die können wechseln. Doch so optimistisch ging es mit neuen Gesprächsteilnehmern weiter: Mit der Autorin Theresia Walser, mit Dramaturgen des Hauses und mit den Leitern der Kinder- und Jugendtheater auch aus Karlsruhe und Heidelberg. In Mannheim, so die Darstellung, wird in allen Sparten (und spartenübergreifend) zeitgenössisches Theater gewagt und vom Publikum angenommen. Und auch, was für viele Theater mittlerweile selbstverständlich ist, also partizipative Projekte, Bürgerbühne und Autorenlabor, ein Festival für Migrationsfragen sowie ein innovativer Ansatz für Kinder- und Jugendtheater, all das funktioniere hier gut. Fazit: In Mannheim wurden eine Erfolgsbilanz und Optimismus vermittelt.

Gruetters ua 560 Christian Kleiner uGroßes Tischgespräch mit der Staatsministerin in Mannheim © Christian Kleiner

Weniger überzeugend war die abendliche Vorstellung, Burkhard C. Kosminskis Uraufführungsinszenierung von Roland Schimmelpfennigs Das schwarze Wasser, ebenso wie anderntags in Mülheim "Vom Schlachten des gemästeten Lamms und vom Aufrüsten der Aufrechten" der freien Gruppe vorschlag:hammer, oder auch die Premiere in Bad Godesberg von Goethes "Faust" in der allzu ambitionierten Regie von Alice Buddeberg (mit drei Mephistos). So ist das mit knappen Stichproben; sie zeigen ein ausschnitthaftes, letztlich auch zufälliges Bild. Im Vordergrund der Reise standen ohnehin die Gespräche über die Organisations- und Produktionsbedingungen der Theater.

Eine Theaterreise zehn Jahre nach der Tour durch Ostdeutschland

Vor zehn Jahren ging Christina Weiss, damals als "Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien", in Begleitung von einigen Journalisten auf theaterpolitische Entdeckungsreise in die neuen Bundesländer. Eine außerhalb Ostdeutschlands weitgehend unbekannte Theaterlandschaft geriet mit ihren vielen neuen Problemen in den Fokus der Öffentlichkeit. Die Reise brachte Theater nicht nur in die Öffentlichkeit (Senftenberg wurde im selben Jahr in der Umfrage des Fachmagazins "Theater heute" zum "Theater des Jahres" gewählt), sondern half auch kulturpolitisch. Mannheim hilft sich wohl selber. Das heißt, die Kommune und das Land als die Geldgeber sowie eine lebendige Bürgergesellschaft scheinen sich mit den Künstlern einig. Ein nächster Lackmustest auf ihre Loyalität wird die für 2020 anstehende Generalsanierung des Theaters sein.

Als Monika Grütters ihre Theaterreise mit den Zielen Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen bekanntgab, war die Irritation groß. Es müsse wieder in den Osten gehen, hieß es. Am besten nach Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt, weil dort die Theaterlandschaften (durch die Politiker) akut bedroht seien.

Nun kann die Kulturstaatsministerin, und das wiederholte sie bei jedem Gespräch mantrahaft, keine Theaterpolitik machen. Die institutionelle Förderung liege bei den Ländern, und sie könne allenfalls an einigen "Stellschrauben drehen". Also mit Förderinstrumenten wie der Bundeskulturstiftung und ihrem Doppelpass-Projekt (für die Zusammenarbeit von Stadttheatern mit freien Gruppen), mit dem Fonds Darstellende Künste, mit dem Tanzplan und den Berliner Festspielen.

Anregung für einen neuen Theaterpreis

Frau Grütters Theaterreise verdankt sich dagegen der Tatsache, dass der Bundestag ihr unvorhergesehener Weise einmalig eine Million Euro zur Verfügung gestellt hat. Die möchte sie für einen Theaterpreis nutzen. Nicht für einen Rankingpreis à la "Faust", also nicht für den/die/das Beste. Sondern, nun ja, wofür eigentlich? Für Versuche, für Entwicklungen, für Pläne, für Erfolge?
Ulrich Khuon hat als Vorsitzender der Intendantengruppe des Deutschen Bühnenvereins Dilemma und Chance eines solchen Preises in der 3sat-"Kulturzeit" benannt: Natürlich sei "ein Preis, der was hervorhebt, schon der richtige Preis. Weil, sobald man eine bestimmte Sache unterstützt jenseits der Bundeskulturstiftung, ist er gleich wieder ein Eingreifen in bestimmte Länderhoheiten. Als ermunternder Akzent der für eine Sichtbarkeit sorgt und der auch so Exzellenz deutlich macht, kann ich es nur begrüßen."

Frau Grütters liebt das Theater, das wurde auf der Reise überdeutlich. Und sie blieb bei den vielen Gesprächsrunden auf der Reise nicht dabei stehen, eigene Erfolge und politisch-organisatorische Schwierigkeiten hervorzuheben. Auch wenn sie das, wie alle Politiker*innen, durchaus gern tat. Doch sie hörte zu, fragte nach, wollte etwas erfahren. Von den Theatermenschen, aber auch von den Theaterkritikern. Nicola Bramkamp, Bonner Schauspieldirektorin: "Die Strukturgespräche, die wir geführt haben, fand ich ja gut. Ich habe das Gefühl, dass wir da jemanden im Ministerium sitzen haben, der durchaus um die Nöte weiß, die wir Theaterschaffenden im Moment auszuhalten haben."

Gruetters ua1 560 Mulheim Stephan GlaglaVor dem Ringlockschuppen Mülheim: Staatsministerin Monika Grütters (Mitte) mit Matthias Frense (Leiter des Ringlockschuppens) und Yvonne Büdenhölzer (Leiterin des Berliner Theatertreffens)
© Stephan Glagla

Ich gebe zu, auch ich bin beeindruckt von einer Kulturstaatsministerin, die sich deutlich als an der Sache interessiert zeigte und eine zugleich kompetente wie offene und unkomplizierte Gesprächspartnerin war. Selbst die Busfahrten wurden so produktiv genutzt. Ihre Theaterreise war eine Arbeitsreise und ein Schnellkurs über den Zustand und die Probleme des deutschen Theaters.

Säulen der deutschen Kulturlandschaft und ihre Probleme

Auch abseits der aktuellen Brennpunkte der Theaterlandschaft war ein breites Spektrum von Theatern mit spezifischen Situationen zu entdecken. An jedem Ort begannen die Gesprächsrunden mit Monika Grütters' Bekenntnis für die Theater als "wichtige Säulen der deutschen Kulturlandschaft" und dem Hinweis, lernen zu wollen: "Kriterien für einen solchen Theaterpreis zu entwickeln, sollte ja auch die Fragestellung dieser Reise sein. Weil ich mir als Bundespolitikerin gar nicht anmaßen möchte, Stellschrauben zu richten für etwas, was die Akteure ja selber beschreiben können. Insofern habe ich mir erhofft, dass auch Anregungen, Kriterien für einen solchen Preis aus der Theaterszene selber kommen."

Die kamen reichlich. Ob im Ringlokschuppen Mülheim, wo Vertreter freier Theater sich gegen diesen Begriff wandten und eine ausführliche Strukturdebatte anzettelten. Oder ob im Theater Bonn, wo die Überproduktionskrise und, in einer Runde von Ensemblevertretern, die Arbeitsbedingungen der unterbezahlten Schauspieler drastisch zur Sprache kamen, so dass deren Situation für mich wie eine moderne Leibeigenschaft erschien. Auch die Initiative "Art but fair" stellte sich vor.

In Bonn wurde aber auch deutlich, dass nicht immer die gesamte Bürgerschaft das Theater liebt: Hier gibt es ein Bürgerbegehren für die Schließung und den Abriss der Oper, und Eltern schicken ihre Kinder mit Plakaten "Schwimmbäder statt Oper" auf die Straße.

Die Atmosphäre dieser Reise und ihre vielen Programmpunkte sind nur schwer zu beschreiben: Drei pausenlose Tage voller Informationen und Diskussionen. Manches nur angetippt, allzu vieles nicht ausdiskutiert: Und doch nahm man von der Reise mehr Anregungen mit als von einem Theaterkongress.

Die Theaterleute haben geliefert. Nun ist die Ministerin dran. Im Mai, wohl im Rahmen des Theatertreffens, soll das Konzept des Theaterpreises bekannt gegeben worden. Es wird eine Jury geben, und vielleicht bekommt der Preis auch einen Namen. Vorschläge gab es schon aus Theaterkreisen: Entschleunigungspreis oder Mutpreis.

 

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