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Protest des Burgtheaters bei Gastspiel in Ungarn

Besorgt über die Entwicklung der Kulturnation Ungarn

Budapest/Wien, 20. April 2015. Von einem Eklat bei einem Gastspiel des Wiener Burgtheaters in Budapest berichten österreichische Medien, u.a. der ORF. Im Anschluss an eine Aufführung der Tschechow-Inszenierung Die Möwe (Regie: Jan Bosse) verlas der Burg-Schauspieler Martin Reinke im Ungarischen Nationaltheater überraschend eine Erklärung. Daraufhin habe der Direktor des Nationaltheaters, Attila Vidnyanszky, ein Sympathisant der Orbàn-Regierung, eine Erklärung von Burgtheater-Direktorin Karin Bergmann für diesen Vorgang verlangt.

Die Presseabteilung des Burgtheaters äußerte sich nachtkritik.de gegenüber zu den Ereignissen in Budapest: "Der Regisseur Jan Bosse konnte nicht vor Ort in Budapest sein, deshalb wurde das Publikumsgespräch nach der Vorstellung leider abgesagt. Das Ensemble der 'Möwe' hätte das Gespräch gerne genutzt, um mit dem Publikum ins Gespräch zu kommen, auch konkret über das Gastspiel und über seine Erwartungen und Einstellungen dem gegenüber. Die kulturelle Entwicklung Ungarns unter Orbáns Regierung ist in Österreich ein großes Thema und beschäftigt auch die Schauspieler des Burgtheaters, die mit ungarischen Künstlern in Kontakt stehen sowie die Veranstaltungen, die hier zu diesem Thema am Burgtheater stattfinden, verfolgen. Nachdem das Publikumsgespräch abgesagt wurde, war es dem Ensemble ein großes Anliegen, dennoch dem Publikum ihre Gedanken mitzuteilen. Das war eine Überlegung des gesamten Ensembles, die Martin Reinke vorgelesen hat."

Das Statement, das nicht im Wortlaut vorliege, habe ausgedrückt, dass die Schauspieler "besorgt sind über die Entwicklung der Kulturnation Ungarns, die sich von der Demokratie und auch von Europa entfernt. Dennoch sind sie aber gerne nach Budapest gekommen, um für Sie, das Publikum, Tschechows zu spielen, der wie kaum ein anderer Autor für einen gemeinsamen europäischen Geist steht. Ungarn gehört zu Europa. Und sie bedankten sich für die Einladung."

(chr)

 

Presseschau

In der Süddeutschen Zeitung (22.4.2015) informiert Wolfgang Kralicek über den Protest der Burgtheater-Schauspieler in Budapest und seine jüngere Vorgeschichte mit wechselseitigen Einladungen und Absagen von Gastspielen zwischen der Burg und dem Ungarischen Nationaltheater. Und er fügt an: "Das Budapester Nationaltheater war auf eine Intervention übrigens vorbereitet. Während Reinke das Statement des Ensembles verlas, wurden auf dem Übertitel-Monitor kommentarlos die Namen jener 13 ungarischen Generäle eingeblendet, die wegen ihrer Anti-Habsburg-Haltung 1849 hingerichtet wurden." Der "Konflikt Österreich-Ungarn" habe eben "eine lange Tradition", so Kralicek.

 

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Kommentare  
Burgtheater Protest in Ungarn: Video-Hinweis
https://vimeo.com/125487505

Hier das Video der Aktion.
Burgtheater Protest in Ungarn: Bravo
BRAVO!
Burgtheater-Protest in Ungarn: Gastfreundschaft missbraucht
Das Niveau dieser "Aktion" ist an Geschmacklosigkeit kaum zu überbieten. Dieses Ensemble hat Vidnyanszkys Gastfreundschaft ganz klar missbraucht.
Burgtheater-Protest in Ungarn: Meinung sagen
wenn ein Freund mich einlädt und dann rassistisch und homophob schimpft, werde ich ihm die Meinung sagen. Nichts anderes ist hier passiert.
Burgtheater-Protest in Ungarn: der eigentliche Sinn
Einen Theaterabend einem - den Höflichkeitsregeln unterworfenen - Besuch gleichzusetzen, halte ich für ein schweres Missverständnis. Er sollte wohl eher dem Publikum Gelegenheit geben andere Sichtweisen und Gefühle als die eigenen kennenzulernen oder aber auch Überzeugungen bestätigt zu finden. Die Reaktion, die Abwehr auf das Gezeigte bzw. Gesagte, die in Ungarn zwar auf Unterdrückungen im Jahr 1848 zurückgegriffen hat, ist der eigentliche Erfolg und Sinn des Theaterabends. Und nicht der höflich freundliche Small Talk anschließend am Buffet.
Burgtheater-Protest in Ungarn: wahrlich Seltsames
Es ist wahrlich seltsam, was da auf dem Video der Manifestation zu sehen ist. Es fehlen offenbar Mitglieder des Ensembles, die Kollegin Hörbiger geht, während Kollege Reinke die Stellungnahme vorträgt und aus dem Auditorium ein erster Applaus zu hören ist, wortlos von der Bühne - was eine verdutzte Frage des Kollegen Kirchner an den Kollegen Maertens zur Folge hat, die letzterer aber überhört. Dann erblickt man den (mit einem Präsent) auf der Seite wartenden Intendanten Vidnyánszky, und sieht auf einem seitlich am Portal angebrachten Bildschirm ungarische Namen flimmern - es sind (wie W. Kralicek uns in der SZ vom 22.4.2015 wissen läßt), „die Namen jener 13 ungarischen Generäle, die wegen ihrer Anti-Habsburg-Haltung 1849 hingerichtet wurden." Es ist sehr unwahrscheinlich, daß die zuständige Abteilung des Gastgebers diese Projektion spontan zustande gebracht hat, insofern scheint Kraliceks Einschätzung "Das Budapester Nationaltheater war auf eine Intervention vorbereitet“ zuzutreffen. Sollte dem tatsächlich so sein, kann man allerdings darüber streiten, welche der beiden Parteien - die gastgebende oder die gastierende - hier den Bogen überspannt. Im Weiteren hält Ignaz Kirchner, der die Projektion nicht wahrzunehmen scheint, dem auf die Übergabe des Geschenks wartenden Intendanten des Nationaltheaters ein auf der Bühne verbliebenes Kissen vor die Nase, eine ganz und gar rüpelhafte Geste, lieber Ignaz, die besser unterblieben wäre. »Budapest will Revanche. Vidnyánszky hat einen öffentlichen Brief an Karin Bergmann geschrieben: Die für das Publikum »unerwartete Message« sieht er als Zeichen »schlechten Geschmacks« - das teilt uns eine rechtslastige Webseite unter mit, und der Verfasser fährt fort: »Seine Wiener Widersacherin und Amtskollegin zeigt sich unversöhnlich: »Am Burgtheater herrscht Meinungsfreiheit. Und überall, wo wir spielen, ist die Burg.« Vertiefen wir uns nicht in lange Betrachtungen über die Frage, ob diese Bekanntmachung von Frau Bergmann nicht von einem quasi austriakisch-imperialistischen Habitus geprägt ist, der die Erinnerung an die 13 ungarischen Märtyrer (also den überlauten Böllerschuß aus der ungarischen Nationalismuskanone, den die Projektion ihrer Namen darstellt) noch nachträglich und unwillentlich rechtfertigen könnte. Fragen wir vielmehr: Warum hat sich die Direktion des Burgtheaters entschlossen, das unter Hartmann abgesagte Gastspiel wahrzunehmen? Warum hielten es gleichwohl weder die neue Direktorin noch der verantwortliche Regisseur für nötig, die heikle Mission zu begleiten und das Ensemble zu unterstützen? Warum wurde eine Publikumsdiskussion abgesagt? Es ist erinnerlich, daß die von Klaus Pierwoß in Gang gesetzte, von rund 40 überaus bedeutenden Angehörigen des europäischen Kulturschaffens (zu denen auch ich zähle) unterzeichnete Initiative „Stiftet Aufruhr!“ mangels Finanzierungsmöglichkeiten kläglich und blamabel verröchelt ist. Außerdem haben innereuropäische Verwerfungen, die des Kollegen Reinke selbstsicheren Verweis auf „europäische Freiheiten“, vorsichtig gesagt, stark belasten - wie beispielsweise die (durchaus auch in Ungarn wahrgenommene) Rücksichtslosigkeit, mit der die Interessen des griechischen Volkes, die sich in der Wahl von SYRIZA niedergeschlagen haben, beiseite geschoben werden - die ungarische Problematik weitgehend überlagert. Wäre es nicht schon aus diesem Grund angezeigt gewesen, den armen „Restprotest“ nicht allein auf die Schultern des Ensembles zu legen? Ich vermute, das Burgtheater hat bei dem Gastspiel Einnahmen erzielt. Was hat das Haus damit gemacht? Schulden beglichen? Und wo ist die gerahmte kleine Nationaltheaterfassade geblieben, als welche sich das Geschenk des bei der Überreichung grimmig wirkenden Herrn Vidnyánszky erwies? Hängt sie als Menetekel im Büro von Karin Bergmann?
Burgtheater-Protest in Ungarn: allein gelassene Schauspieler
Besser als es F.-P. Steckel tut, kann man die Aktion auf diesem Video nicht wiedergeben. Höchstens kürzer. Darum meine Kurzfassung: total verunsicherte, offenbar gespaltene, von der Theaterleitung allein gelassene Burgschauspieler, die sich nicht zu einem mutigen Statement durchringen können. Ein in geradezu lächerlicher Weise via Texteinblendung überreagierender Attila Vidnyanszky (Märtyrer von Arad! Ich bitte euch!). Sowie eine abwesenden Burgtheater-Direktorin, der von Anfang an nie an einer politischen Auseinandersetzung mit Vidnyanszky, Balog oder Orban gelegen war. Frau Bergmann sagt immer, wie wichtig ihr der Dialog mit Ungarn sei. Kann mir jemand sagen, welche mutige Aussage in einer mittelmäßigen Aufführung der "Möwe" auf dem ungarischen Nationaltheater liegt?
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