Let's teamwork!

Das Intendanzmodell ist noch immer unangefochten als ultima ratio von Theaterleitung. Warum eigentlich? Längst gibt es auch andere Ansätze.

Von Esther Boldt

17. Juni 2015. Es herrscht heute eine überraschende Einigkeit darüber, wie ein Haus auszusehen hat und wie ein Spielplan. An der Spitze steht ein Intendant, seltener eine Intendantin, flankiert von Dramaturgen, häufiger Dramaturginnen, gesäumt von Administration und Technik. Man spielt (fast) jeden Abend, im Stadttheater Repertoire, im Freien Theater en suite, und der Letzte macht das Licht aus. Woher kommt diese Gleichförmigkeit, dieses große Einverständnis darüber, wie Theater auszusehen habe, strukturell wie programmatisch, ja, diese Fantasielosigkeit?

Oft genug gleichen die deutschen Theater des 21. Jahrhunderts kleinen Fürstentümern, deren Intendant*innen als Alleinherrscher*innen romantisiert werden, bei gleichzeitiger Ausblendung der dunklen Seite der Macht – setzt es nicht gerade Skandale wie im letzten Jahr in Düsseldorf und Wien. Unter der Annahme, dass organisatorische Strukturen und programmatische Setzungen in einer unmittelbaren Beziehung stehen, lohnt es sich, andere Führungsmodelle wie Teamleitungen und Doppelbesetzungen zu untersuchen, deren dialogische Disposition andere Programmatiken und auch andere Reaktionsweisen auf gesellschaftliche Veränderungen hervorbringen können.

Befragung der eigenen Praxis

Denn schließlich steht zu Beginn des 21. Jahrhunderts die Frage überdeutlich im Raum, wie sich bürgerliche Institutionen neu formieren können, wenn sie entbehrlich zu werden drohen – hat sich doch der gesellschaftliche Kontext, aus dem sie einst hervorgingen, in den fortlaufenden Globalisierungs- und Ökonomisierungsprozessen sehr verändert. Wo sie die Fähigkeit entwickeln müssten, ihre Strukturen infrage zu stellen, um ihre Offenheit und ihr Reaktionsvermögen zu bewahren, legen Theater aber vielmehr ein erstaunliches Beharrungsvermögen an den Tag.

BrueckentagÜberbrückung gesucht auf dem Weg ins 21. Jahrhundert

Um Theater neu zu (er)finden oder zunächst: neu zu denken, gilt es, die Routine auszusetzen und die eigene Praxis zu befragen. Gerade dies scheint zurzeit schwer zu fallen: Der Außendruck vonseiten der Politik wächst stetig, finanzielle Einschnitte drohen, und anstelle kunstnaher Politiker mit eigenen Visionen sitzen vielerorts furchtsame Bürokraten. Zugleich wächst der Innendruck, in der Theaterszene(n) wird eine vorwiegend konkurrierende Haltung gepflegt und jeder heimst so viele Positionen ein, wie er oder sie bekommen kann. Unablässiges Tätigsein und vollgeknallte Spielpläne werden zum Beweismittel der eigenen Relevanz. Produktiv ist dieses Hamsterrad aus Überproduktion und Selbsterschöpfung schon lange nicht mehr – und am Kern des Problems rollt es gänzlich vorbei in seinem blinden Weitermachen, wo Innehalten und Veränderungen angesagt wären: Bekannte Strukturen reproduzieren nur wieder Bekanntes.

Die Ordnung beunruhigen

Gemeinsame Leitungen, Doppelspitzen oder Kollektive können eine Möglichkeit sein, die Ordnung des Theaters zu erneuern, sie zu beunruhigen und kritikfähig zu machen. Doch während Intendant*innen, Kurator*innen und Künstlerische Leiter*innen von Künstler*innen selbstverständlich erwarten, dass sie experimentieren, ihre Formen, Themen und Sprachen aufs Spiel setzen, gilt dieser Anspruch für die Institutionen selbst nur bedingt. Vielmehr hat die kapitalistische Logik der Markenbildung mithilfe einer Corporate Identity und eines klar erkennbaren Profils die Ikonisierung des Hausherren oder der Hausherrin noch befördert – wie jüngst auch in der Diskussion um die Volksbühne, die sich auf dem Ersatzschauplatz der Personalie Dercon abspielt. Dabei geraten die eigentlich wichtigen Fragen, welche Art von Theater hier denn vorstellbar und wünschenswert wäre, flugs in den Hintergrund – wo sie doch gerade hier und jetzt, wo sich so viele Politiker, Theatermacher und Feuilletonisten angesprochen fühlen, einmal produktiv und offensiv betrieben werden könnte.

Statt Denk- und Vorstellungsräume darüber zu eröffnen, was eine Volksbühne der Zukunft sein könnte, welches Theater die Gesellschaft heute und künftig braucht, wird die Fantasie gleich auf die Frage nach dem "Wer" beschnitten. So reproduzieren Politik und öffentlicher Diskurs die Schieflage, dass Entscheidungen am Theater, die stets maßgeblich einer Teamarbeit entspringen, letztlich auf eine*n Intendant*in zurückgeführt wird: Sie oder er wird als alleiniger Unterzeichner und Schöpfer des Programms rezipiert und primär dafür verantwortlich gemacht.

Stabilisierung neu schaffen

Seit den 1970er Jahren gab es in Deutschland verschiedene Versuche, Theaterstrukturen zu demokratisieren und zu öffnen, schon damals beklagten Schauspieler wie Kritiker die "Intendantenherrschaft als letzte Bastion des praktizierten Feudalismus" (DER SPIEGEL 30/1980). Zugleich erwiesen sich Mitbestimmungsmodelle vom Frankfurter Schauspiel bis zur Berliner Schaubühne am Halleschen Ufer als höchst abhängig von den jeweiligen Protagonisten in Politik wie Theater.

Sobald prägende Köpfe – wie Peter Palitzsch in Frankfurt – die Institution verließen und / oder der politische Wind sich drehte, standen die neu entwickelten Führungsmodelle wieder zur Disposition. Hier gälte es einerseits, politische Mittel der Stabilisierung zu entwickeln und andererseits, die Grenzen solcher Modelle anzuerkennen – ist es doch offenbar geworden, dass in einem Betrieb nicht jeder gleichberechtigt mitsprechen kann und am Ende jemand die Verantwortung für Entscheidungen übernehmen muss. Doch welche funktionierenden Teamleitungsmodelle gibt es heute, die Vorbild sein könnten?

Das Theaterhaus Jena und die Verteidigung der ästhetischen Fremdheit

Beim Skype-Interview mit der Künstlerischen Leitung des Theaterhaus Jena drängen sich fünf Personen vor dem Bildschirm, die sich bald als routinierte Teamsprecher erweisen, und es braucht nicht viele Nachfragen, um das gemeinsame Denken in Gang zu halten. Dramaturg Marcel Klett und Regisseur Moritz Schönecker bilden die Geschäftsführung, und gemeinsam mit der Kostümbildnerin Veronika Bleffert, der Dramaturgin Friederike Weidner und dem Bühnenbildner Benjamin Schönecker die Künstlerische Leitung. In Jena wird das Theaterhaus seit seiner Gründung 1993 von einem Team geleitet, das satzungsgemäß aus mindestens zwei Personen der Bereiche Kostüm, Bühnenbild, Regie und Musik besteht.

"Grundidee ist", so Benjamin Schönecker, "das künstlerische Team einer Produktion auf ein Haus zu übertragen." Ihre Zusammenarbeit beschreiben die fünf einerseits als eine Vielzahl von Gesprächen, die zu gemeinsamen Entscheidungen führen. Andererseits gibt es durchaus eine Aufgabenteilung nach professionellen Schwerpunkten: So sind Veronika Bleffert und Benjamin Schönecker Ansprechpartner der visuellen Bereiche, die Dramaturgie kümmert sich um das Geschriebene. Auf dem Papier gibt es zudem eine funktionale Hierarchie: Wenn es zu keiner künstlerischen Entscheidung kommt, kann Moritz Schönecker diese im Notfall allein treffen. Notwendig war das aber noch nie. Das Herzstück ihrer Zusammenarbeit sind Gespräche, geprägt von Vertrauen und Auseinandersetzungslust – ganz ähnlich wie bei der Künstlerischen Leitung des Festivals Favoriten 2014, von der später die Rede sein wird.

KuenstlerischeLeitungJena 560 Joachim Dette uKünstlerische Leitung Theaterhaus Jena: v.l.n.r. Friederike Weidner, Marcel Klett, Benjamin Schönecker, Veronika Bleffert und Moritz Schönecker © Joachim Dette

Das Team fungiert auch als Korrektiv: "Durch das Gespräch entwickelt man ein Verständnis für die Leidenschaft des anderen, doch diese zunächst artikulieren zu müssen, ist ein ganz guter Kontrollmechanismus. Man kann nicht einfach nur seine Interessen durchsetzen, man muss argumentieren", sagt Friederike Weidner. Entscheidungen und Vorlieben werden gemeinsam abgewogen und überprüft. "Jeder von uns hat einen sehr persönlichen Geschmack und eine sehr persönliche Sicht auf Theater, aber wir alle haben eine große Kompromissbereitschaft; wenn wir jemanden überzeugend und sein Konzept interessant finden, dann machen wir das auch. Wir brauchen eine gewisse ästhetische Fremdheit für uns selbst", erklärt Klett.
Grundlage dieser Gespräche, des Vertrauens und der Diskussionsbereitschaft ist der Wunsch, den Künstlern bestmögliche Arbeitsbedingungen zu bieten. Und die Machtverteilung auf fünf Schultern schätzen alle als Möglichkeit, sich Rat beieinander zu holen: "Jeder kann dem anderen in seinem Kernbereich beistehen, und das wird auch gern angenommen", sagt Benjamin Schönecker.

Das Festival Favoriten 14 und die Arbeit am Ethos

So werden Kompromisse nicht negativ als Mittelwege verstanden, sondern vielmehr produktiv als Möglichkeit, Spielpläne zu entwickeln, die ein Stückweit unabhängig sind von individuellen Vorlieben und Sichtweisen. Mit den durchaus aufwendigen Entscheidungsprozessen geht auch eine stete Reflexion der eigenen (Macht-)Position einher: "Es ist keine Arbeit einfach so eingeladen worden, sondern es wurde immer diskutiert, was sie mit dem Festival zu tun hat", sagt Johanna-Yazirra Kluhs von Favoriten 2014, dem Festival der freien Szene NRW, das 1985 unter dem Namen Theaterzwang gegründet wurde. "Letztlich ging es mir immer darum, die eigene Haltung ernst zu nehmen und sie als extrem wirkmächtiges Werkzeug zu verstehen", so Kluhs. "Es ist eine Arbeit am Ethos."

Johanna-Yazirra Kluhs und Felizitas Kleine hatten sich gezielt gemeinsam für die Künstlerische Leitung von Favoriten 2014 beworben. "Wir waren der Überzeugung, dass man keine kluge Position oder Moderation vielstimmiger Prozesse und Phänomene alleine vornehmen kann, wenn man keinen Counterpart hat, der einem mal wiederspricht", so Kluhs. Ähnlich wie ihre Jenaer Kolleg*innen beschreiben sie die geteilte Leitung als Korrektiv ebenso wie als Schutzraum. Und sie alle streben an, die auf Leitungsebene entwickelte Praxis des Dialogs und der Transparenz auf die Zusammenarbeit mit Mitarbeiter*innen und Künstler*innen zu übertragen.

Transparenz durch Kommunikation

In Jena ist häufig mindestens ein Mitglied der Künstlerischen Leitung in Stückproduktionen eingebunden, und auch die Wege zu den Mitarbeitern sind kurz: "Weil wir die Leitung auf fünf Köpfe verteilen, haben wir es natürlich leichter als eine Person, denn wir sind einfach da und ansprechbar. Wir erfahren rasch von Problemen und können so schnell Lösungen finden", erzählt Dramaturg Klett. Regelmäßige Treffen und Gespräche mit allen 46 Mitarbeitern stellen weitere Versuche dar, Transparenz zu realisieren. In Sachen Managementstrategien, da sind sie sich einig, hat das Theater einerseits großes Potenzial, zu experimentieren – und andererseits großen Nachholbedarf.

Auch Kluhs und Kleine haben in NRW auf Transparenz durch Kommunikation gesetzt: Gemeinsam mit den Künstlern gingen sie auf die Suche danach, was die Freie Szene in NRW ist und sein kann und stifteten einen Austausch unter den Protagonist*innen an. Künstlerische Arbeiten wurden nicht nur eingeladen, sondern konnten im Vorfeld des Festivals auch weiterentwickelt werden. Und durch den Spielort, ein ehemaliges Museum, das zugleich als Ort für Aufführungen, Installationen und Begegnungen fungierte, wurde auch das Publikum in diese kommunikativen Prozesse einbezogen. "Wir haben uns für das Festival genauso ein Feld der Begegnung gewünscht, wie wir es selbst im Arbeitsprozess exzessiv betrieben haben", sagt Felizitas Kleine.

Jenseits der Gewissheiten

Organisations- und damit Führungsstrukturen üben einen großen Einfluss aus: Temperatur und Tonart, die auf Leitungsebene gepflegt werden, sind auch auf der Bühne, auch im Foyer spürbar. Um darüber nachzudenken, wie das Theater in einer ungewissen Zukunft aussehen könnte, erscheint es lohnenswert, die Selbstverständlichkeit des Modells "Ein Mensch, ein Haus" infrage zu stellen. Denn die Notwendigkeit, Entscheidungen auf Augenhöhe argumentieren und vertreten zu müssen, setzt Übersprünge und angebliche Selbstverständlichkeiten aus, sie fordert die Reflexion der eigenen Position ein und stärkt in einer politisch schwierigen Lage die Protagonist*innen.

Teamleitungen sollten eines der Modelle sein, wie eine Institution geführt werden kann – umso mehr im Theater, das immer schon Resultat einer künstlerischen Zusammenarbeit ist. Für eine ungewisse Zukunft kann es sich nur wappnen, indem es Offenheit und Stabilität zugleich realisiert, und die Institution als Behauptung auch mal aufs Spiel setzt: Es gilt, die mit ihr einhergehenden Begriffe zu verwerfen und zu ersetzen. Es gilt, mehr Mut an den Tag zu legen für Differenzierungen und Kompromisse. Und es gilt, ein anderes Verständnis dessen zu ermöglichen, was ein Haus sein kann, wenn wir uns in die Lage versetzen, von vermeintlichen Gewissheiten abzusehen.

 

Boldt kleinEsther Boldt schreibt als freie Autorin, Tanz- und Theaterkritikerin u.a. für die taz, nachtkritik.de, Theater heute und tanz Zeitschrift. Sie war zudem in verschiedenen Jurys tätig, u. a. beim Hörspiel des Jahres 2009, beim Nationalen Performance Netz (2009–2012) und bei der Tanzplattform 2014.

Alles zur Debatte um die Zukunft des Stadttheaters hier. Zuletzt schrieb Thomas Bockelmann darüber, warum Ensembletheater tragende Säulen der deutschsprachigen Theaterlandschaft sind. Er antwortete damit unter anderem auf einen Text von Matthias Weigel, der im Zuge der Volksbühnen-Diskussion um Chris Dercon für alternative Ensemble-Modelle plädiert hatte.

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