Matthias Lilienthals Pläne für die Münchner Kammerspiele
Geigenschrott hat keine Chance
von Sabine Leucht
München, 7. Mai 2015. Vor seiner "Liebeserklärung an die Stadt München" und sein neues Haus reichte der künftige Intendant arabisches Hochzeitsgebäck herum. Und auch sonst galt bei dieser ersten Pressekonferenz der Intendanz Matthias Lilienthal zur Spielzeit 2015/16: Falls sich irgendwer vor der mit dieser Personalie vermeintlich einhergehenden Auflösung des Ensembletheaters zugunsten einer Abspielstätte von auf Zuruf produzierten Freie-Szene-Performances gefürchtet hat, konnte die oder der sich gleich entspannen.
Lilienthal plant sichtlich keine feindliche Übernahme des Münchner Stadttheater-Flaggschiffs. Er setzt nur seine Duftmarken, wie es vor fünf Jahren auch Johan Simons tat, als er mehr oder weniger Logo und Look des NT Gent auf die "MK" übertrug. Lilienthal hat ebenfalls ein neues Corporate Design von einem alten Designer-Weggefährten im Gepäck (Chris Rehberger/Double Standards), und "obwohl man in München nichts machen darf, wie es in Berlin war", macht er es irgendwie doch: Schauspielhaus, Spielhalle und Werkraum heißen künftig Kammer 1, 2 und 3 (siehe HAU 1, 2, 3 in Berlin). Das ist, mit Verlaub, ziemlich wurscht und wird weder neue Zuschauer anziehen noch alte verprellen.
Rimini Protokoll meets "Mein Kampf"
Wobei die neue Crew auf Ersteres hofft. "Wir wollen auf keinen Fall unter uns bleiben", sagt Lilienthal. Oder war das schon Benjamin von Blomberg? Mit dem Neuzugang aus Bremen hat Lilienthal einen Chefdramaturgen an Bord, der anschaulich und klug als Dialektik verkleidet, was der Intendant selbst als seine "Freude am Widerspruch" formuliert und was man auch als Versuch deuten könnte, es jedem recht zu machen oder – positiv formuliert – erst einmal das Terrain zu sondieren: Lilienthal, der auch in München und mittlerweile hochdotiert von seinem Edelpenner-Image nicht lässt, freut sich am Spielzeitheft mit dem Hochglanzcover und dem groben Zeitungspapier im Inneren und darüber, dass die ab September zum "Probewohnen" geöffneten (und schon in Mannheim erprobten) "Shabbyshabby-Apartments", für die deren Erfinder shabbyshabby wenig Geld bekommen haben (aus Beteiligten-Kreisen verlautet, dass es praktisch nur 250 Euro Baukosten gab) mit der Eröffnungsinszenierung am 9. Oktober – Shakespeares "Kaufmann von Venedig" in der Regie von Nicolas Stemann – in Kontrast treten.
Er freut sich auf die Sängerin Peaches allein am Flügel, die "den ganzen Schrott der Geigen von Andrew Lloyd Webber die Isar runterspülen wird", auf die Konfrontation mit Hitlers "Mein Kampf", das Rimini Protokoll bearbeiten werden, wie auf die von ihm schon lange avisierte Umsetzung von Josef Bierbichlers "Mittelreich" – und darauf, dass Reinhard Jirgl seinen Roman "Nichts von euch auf Erden" selbst für die Bühne umarbeiten wird. Vieles klingt spannend und – für München – neu, aber als Ganzes ist das Programm überraschungsarm und fast so unübersichtlich wie das künftige Layout.
Kontinuität mit Jelinek und Flüchtlingen
Neu sind eine Flatrate für Studenten, die englische Übertitelung vieler Inszenierungen und eine auf Zuwachs angelegte Gruppe junger Stamm-Regisseure um die Dreißig (Christopher Rüping, Simon Stone, Anna-Sophie Mahler, Felix Rothenhäusler und Alexander Giesche). Mit ein paar alten Namen, immerhin elf Simons-Schauspielern von Thomas Schmauser über Annette Paulmann bis zu Brigitte Hobmeier, und mit weiteren Jelinek-Uraufführungen (die aber dann vom Hausregisseur Nicolas Stemann kommen) sowie einem Flüchtlings-Projekt in den Händen der Ex-Kammerspiele-Dramaturgen Björn Bicker und Malte Jelden wird aber auch auf Kontinuität gesetzt.
Wo Simons holländische und belgische Akteure mitgebracht hat, setzt Lilienthal auf international-interdisziplinären Zuwachs durch den jungen Schauspieler Hassan Akkouch, Gundars Āboliņš aus dem Rigaer Ensemble von Alvis Hermanis oder die serbische Jazzsängerin Jelena Kuljić. Aus seiner Freie-Szene-Vergangenheit bringt er das Kollektiv She She Pop und Gastregisseure wie Philippe Quesne mit – und wo Simons sich für den Tanz und die klassische Musik geöffnet hat, wird bei Lilienthal David Marton Opern inszenieren.
Noch stellt die neue Mannschaft Fragen wie "Wer kann sich diese Stadt leisten?", ist aber mit Ideen wie die zur Gründung eines Mini-Opernhauses für einen Zuschauer schon im Schlaraffenland des "anything goes" angekommen: "Ich habe an diesem Haus noch nie das Wort 'Nein' gehört", schwärmt Lilienthal und beschließt: "Die Kammerspiele sind für mich die bestgelaunteste freie Gruppe der Welt." Das Leben im Widerspruch, es hat schon begonnen.
Eine Übersicht über alles bisher Bekanntgegebene bietet die Webseite der Münchner Kammerspiele hier.
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