Geweint. Glücklich

von Georg Kasch

Berlin, 7. Mai 2015. Im Theater gewesen. Geweint. Passiert selten, sehr selten. Und jetzt sogar beim zweiten Mal in "Common Ground" – nach der Premiere vor gut einem Jahr. Schon damals fand ich den Abend großartig, habe seitdem viele Menschen in die Vorstellungen geschickt, mich wiederholt für ihn eingesetzt. Nur direkt nach der Premiere klang meine Zeitungsrezension verhältnismäßig verhalten.

Ich hatte zuvor Yael Ronens Inszenierung Dritte Generation sehr gemocht und war angetan von Der Russe ist einer, der Birken liebt, ihrem Gorki-Einstand. Gerade meine Vorfreude aber, meine Grundsymapthie machte mich schon wieder skeptisch – ich wollte nicht dem Jubelpersertum erliegen und öffnete meine Augen besonders für die möglichen Schwächen des Abends. Hinzu kam, dass ich den spannenden Rollentausch der beiden jungen Frauen nicht kapierte: Die Täter-Tochter spielt die Opfer-Tochter und umgekehrt. Ich spürte, das da irgendwas nicht stimmte im Spiel von Mateja Meded und Jasmina Musić, hatte das aber eher auf zu viel Pathos geschoben.

commonground3 560 thomas aurin uFünf Vergangenheitssucher und zwei komische Personen: Orit Nahmias, Vernesa Berbo,
Dejan Bućin, Jasmina Musić, Aleksandar Radenković, Mateja Meded, Niels Bormann
© Thomas Aurin

Symbole einer schemenhaften Erinnerung

Diesmal habe ich den Abend wesentlich entspannter erlebt. Zu beobachten, wie Meded und Musić aufeinander reagieren, einander soufflieren oder die Worte übernehmen, war eine ebenso spannende Entdeckungsreise wie das Auffrischen von Erinnerungen. Klar wird viel über Klischees erzählt (und gelacht), die sich aber immer wieder äußerst geschickt auflösen. Die informationsballernde Überforderungsschlacht des Beginns mit ihrer brutalen Gleichzeitigkeit der geschichtlichen Ereignisse konnte ich zum Beispiel viel gelassener wahrnehmen, weil ich wusste, dass das nur die erweiterte Introduktion ist. Dass ich die dunkel leuchtenden Videos von Benjamin Krieg und Hanna Slak komplett verdrängt hatte, ist mir heute unverständlich. Dabei sind sie weniger Abbilder als Symbole einer schemenhaften Erinnerung, die plötzlich Gestalt gewinnt.

Ich habe sehr viel gelacht heute Abend – und an genau denselben Stellen geweint wie vor einem Jahr. Ich hatte wieder das Gefühl, viel über das Leben an sich zu begreifen. Ich hatte erneut den Wunsch, sie alle dort oben näher kennenlernen zu wollen, vor allem Vernesa Berbo, Dejan Bućin und Aleksandar Radenković. Wie zum ersten Mal hörte ich den (zentralen) Satz, dass die Menschen auf der Bühne erzählen, um keine Angst mehr zu haben. Und dann die herrlichen Lieder, in denen sie alle in einer Sprache zusammenfinden!

Ich könnte also notieren: im Theater gewesen. Geweint. Mindestens ebenso wahr ist: im Theater gewesen. Glücklich.

 

Zur Nachtkritik der Premiere von Common Ground in Berlin (4/2014)

Alles zum Theatertreffen 2015 gesammelt in der (mitwachsenden) Theatertreffen-Übersicht 

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